Montag, September 25, 2006

Das ist etwas für die Verrückten

Die Aussenseiter.
Die Rebellen.
Die Schwierigen.
Die Pflöcke, die am falschen Platz stehen.
Die, die Dinge anders sehen.
Die, die Rollen nicht lieben.
Und die, die keinen Respekt vor dem "Status quo" haben.

Du kannst sie loben,
ihnen widersprechen,
sie zitieren,
ihnen nicht glauben,
sie verherrlichen oder
sie verabscheuen.
Aber das Einzige, was du nicht kannst ist, sie ignorieren.
Weil sie Dinge verändern.
Sie erfinden.
Sie haben Vorstellungen.
Sie heilen.
Sie erforschen.
Sie kreieren.
Sie inspirieren.
Sie bringen die menschliche Rasse vorwärts.
Vielleicht sind sie verückt.
Wer sonst kann auf eine leere Leinwand starren und ein Kunstwerk sehen?
Oder in der Stille sitzen und ein Lied hören, das nie aufgeschrieben wurde?
Oder einen roten Planeten anstarren und ein Labor auf Räder sehen?
Wir machen Tools für diese Art von Leuten.
Weil einige sie als die Verrückten ansehen, deshalb sehen wir sie als genial.
Weil nur Leute, die genug verückt denken, können die Welt ändern,
es sind die Einzigen, die es tun.

(Der englische Text wurde im August 2005 von Danny Gandy geschrieben)

Labels: , , , , , , , ,

Donnerstag, September 21, 2006

Zählen tut, was man nicht rechnen kann!

In der letzten Zeit stosse ich immer wieder auf Stimmen und Texte, die mich darauf hinweisen, dass unsere westliche und hyperkapitalistische Gesellschaft fehlgeleitet worden ist. "Geld" ist eigentlich nur ein banales und vereinfachendes Medium zum Tauschen von Waren und Dienstleistungen. Doch es ist zum bestimmenden Faktor unserer Gesellschaft geworden: Was bringt dies? Was kostet es? Rechnet sich das?
Zählen tut aber letztlich nur, was man nicht unbedingt sehen und berechnen kann: nämlich LIEBE! Liebe kann man nicht einfordern, kaufen, verkaufen und anhäufen. Liebe geschieht und ereignet sich. Liebe geht letztlich auf Gott zurück, der von sich sagt: ICH BIN DIE LIEBE! Und diese Liebe schenkt das Leben und alle wichtigen "Dinge" im Leben: Eltern, Geschwister, Bezugspersonen, Beziehungen, Freunde, Partner etc.
Wenn man schon immer über Kapital sprechen will und muss, sollte vielmehr über Sozialkapital gesprochen werden. Das sind Werte, von denen sehr viel abhängig ist, die man schnell beschädigen und zerstören, aber nicht auf Befehl aufbauen kann. Das sollte jeder Verantwortliche bedenken , da auch ihm alles Wesentliche geschenkt worden ist und wird!

Labels: , , , , , , ,

Mittwoch, September 20, 2006

Was ist "Gehorsam"?

Kapitel 10: Gelassenheit in Vielfalt (Seite 423-446)
Die Chancen der Kirche(n) im ökonomischen Paradigma der Zukunft
Seite 426: „Das Wort Gehorsam ist belastet, seit es in Kadavergehorsam umgewertet wurde. In der 1500 Jahre alten christlichen Regel des Benediktinerordens jedoch wird Gehorsam verstanden als genau hinhorchen, oft auch übersetzt mit „Bereitschaft zum Dialog“, also Kooperationsfähigkeit.“
Mit dieser Definition schliesse ich die Zusammenfassung von Erik Händeler: Die Geschichte der Zukunft. Und meine, das ist ein bedenkenswertes Schlusswort!

Labels: , , , , , ,

Samstag, September 16, 2006

Informationsarbeit

Kapitel 4: Die neuen Spielregeln im Management (Seite 245-272)
Künftig überleben nur jene Firmen am Markt, in denen Menschen produktiver mit Informationen umgehen
Seite 252: „Qualitativ hochwertige Informationsarbeit dagegen braucht viel Zeit, bringt aber dann auch mehr, als die investierte Zeit kostet. Diese Zeit nehmen wir uns aber nicht, weil sie als vertane Arbeitszeit gilt. Wir sollten daher die Wochenarbeitszeit erhöhen – und mit mehr Kollegengesprächen und Pausen füllen. Reflexion und Innehalten muss zur Arbeitszeit gehören.“
Seite 260: „Zu viele und zu grosse Konflikte nehmen zwar die Sicherheit, die für jede Art des Zusammenlebens notwendig ist. Arbeit braucht ein Mindestmass an Stabilität. Werden Konflikte aber nur als Störung empfunden, dann fehlt die Chance einer Weiterentwicklung, die in jedem Konflikt steckt. Wer nicht anfängt, sich um eine redliche Streitkultur zu kümmern, der wird vom Markt verschwinden. Denn nur wer eine innerbetriebliche Meinungsvielfalt ermöglicht, wird das gesamte Organisationswissen und die unterschiedlichen Sichtweisen für das Ueberleben des Betriebs nutzen. Im Christentum hat das – entgegen mancher heutiger, fundamentalistischer Auslegung – eine lange praxiserprobte Tradition: „In alten Orden wurden und werden wichtige Entscheidungen immer unter Beteiligung aller gefällt – im Rat der Brüder, dem Konvent-Kapitel, der gewissermassen wie ein Aufsichtsrat funktioniert“, erklärt Benediktinerpater Josef Kastner vom Kloster Ettal die Benediktinerregel.
Seite 266: Die Menschen sind keine Rädchen mehr in Organisationsmaschinen, sondern – im günstigen Fall – mehrfachqualifiziert, mobil, mitgestaltend und menschlich.
Die Mitarbeiter sind besser informiert und kompetenter, die fachliche Weisungsbefugnis der Manager hat an Bedeutung verloren. Teams übernehmen Verantwortung auf allen Ebenen von der Produktion bis zum Marketing. Der Informationsfluss läuft nicht ständig über den Chefschreibtisch, sondern direkt. Führung heisst nun, den Informationsfluss zu moderieren, die informationelle Wertschöpfung zu koordinieren, Sinn zu stiften, Neugier und Fantasie, Ziele und Visionen für die Gruppe zu vitalisieren, die Geister zu motivieren du nicht konsensfähige Fälle zu entscheiden. Doch diese nötigen, flacheren Strukturen funktionieren noch nicht richtig, weil sich die Menschen nicht so schnell ändern wie die formalen Organisationsstrukturen.
Seite 268: Im sechsten Kondratieff (d. h. im zukünftigen Aufschwung) ist es genau umgekehrt: Je höher die Position, umso entscheidender wird das Beziehungs-Management.
· Wir brauchen mehr Reflexion und Ruhe für kreative und produktive Informationsarbeit
· Wir spüren Konflikte auf und lösen sie
· Nicht der „Chef“, sondern die Wirklichkeit führt
· Wir investieren in die Gesundheit der Mitarbeiter (genügend Bewegung/Fitness und gesunde Ernährung)
· Wir entwickeln Gesundheitsprodukte

Kapitel 5: Was wir uns künftig ersparen könnten (Seite 273-294)
Die grössten Produktivitätsreserven liegen in der Ueberwindung destruktiver Verhaltensweisen
Seite 273: „Es sind die wachsenden Innenweltprobleme, die die Aussenweltprobleme verursachen (sinngemäss nach Hans Millendorfer)“
Seite 284: „Es gibt kein eigenes Glück. Zum Glück gehören immer auch die anderen und die eigene Umwelt.“
Seite 288: „Längst ist die überzogene Orientierung am Eigennutz für die Wirtschaft der Informationsgesellschaft zum grössten innerbetrieblichen Wachstumshemmnis geworden...“
· Familienarbeit und Kindererziehung aufwerten
· Fragwürdige öffentliche Wertevermittlung (Materialismus, Oekonomisierung) kritisch filtern und entgegentreten
· Positive Entwicklungen fördern, stärken und unterstützen

Kapitel 6: Der Weg aus der Zahlungsunfähigkeit (Seite 295-338)
Wie Gesundheits-Innovationen und gesunderhaltende Strukturen zum Wachstumsmotor werden
· Gesundheitssystem völlig reorganisieren: Krankenkassen zahlen (mehr) für Gesundheitserhaltung und Patienten beteiligen sich (höher) im Krankheitsfall
· Höhere Gesundheitsausgaben für Gesunderhaltung führen zu niedrigeren Lohnkosten und zu längerer, produktiverer Lebensarbeitszeit
· Marktdynamik zwischen Anbietern im Krankheitswesen verstärken
· Investition in neue Produkte und Dienstleistungen zur Gesunderhaltung
· Private Ausgaben für Gesunderhaltung steuerlich absetzbar machen
· Gesundheitssysteme öffnen für private Zuzahlung bei neuen, teuren medizinischen Verfahren, die die Krankenkassen nicht finanzieren (können)

Kapitel 7: Börsenausblick (Seite 339-352)
Immaterielle Faktoren entscheiden, welche Aktien künftig Gewinn abwerfen
· Geschäftsleitungen dürfen nicht mehr primär nach der Rendite beurteilt werden
· Sozialbilanz wird Teil der Gesamtbewertung (eines Unternehmens)
· Investitionen in Menschen (Bildung, Gesundheit, Beziehungen)

Kapitel 8: Wissen für die Zukunft (Seite 353-378)
Wie wir lernen, effizient mit Informationen umzugehen

Kapitel 9: Chancen und Perspektiven (Seite 379-421)
Welche Regionen der Welt in den nächsten 20 Jahren prosperieren werden
Seite 381: „Was in Zukunft zählt, ist Sozialkapital: Dazu gehören eine legitime Regierung, ein funktionierendes Rechts- und Sozialsystem, Vereine und Initiativen, Nachbarschaftshilfen, Familienqualität.“
Seite 383: „Je stärker der Einfluss der Religion auf das Denken der Menschen, desto weniger staatlicher Zwang ist nötig, um in einer Gesellschaft ein erwünschtes soziales Verhalten herbeizuführen... Mit ihrer Transzendenz produziert Religion Vertrauen effizienter als der Staat: Geschäftsleute, die nicht ständig Angst haben müssen, über den Tisch gezogen zu werden, brauchen nicht jede Unwägbarkeit absichern. Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern vertrauen, müssen nicht jeden Arbeitsschritt überwachen. Der Markt kann ohne ethische Elemente nicht funktionieren.“

Labels: , , , , , , , , , , , , , , , ,

Donnerstag, September 14, 2006

Kooperationsfähigkeit

Händeler zieht daraus den Schluss, dass eine kooperative Spiritualität ist gefragt ist, die der Universalethik (Liebe deinen Nächsten wie dich selbst) entspricht. Er schlägt am Schluss vieler Kapitel Stichworte zur Umsetzung vor, die zwar manchmal sprachlich etwas eigenartig formuliert, im Kern aber zutreffend sind. Deshalb habe ich sie formal etwas verändert:

Einleitung: Die Krise ist da (Seite 9-28)
These: Erst eine neue Kultur der Zusammenarbeit lässt in der Informationsgesellschaft den Wohlstand wieder steigen
· Verantwortlich sein über den eigenen Bereich hinaus
· Errichten einer kooperativen Arbeitskultur
· Lenken der Ressourcen der Gesundheitspolitik in Richtung Gesunderhaltung

Kapitel 1: Die Zukunft beginnt in der Vergangenheit (Seite 29-176)
Was die Geschichte über ähnliche Situationen wie heute erzählt
· Geschichte und Wirtschaftswissenschaft müssen sich wieder annähern, damit sie eine Hilfe werden bei der Zukunftsgestaltung
· Die Geschichte der langen Abschwünge kann uns dazu bewegen, heutige Verteilkämpfe zu minimieren und freiwillig auf Konsum zu verzichten, um mehr in die Zukunft zu investieren

Kapitel 2: Kondratieffs Globaltheorie und unsere Wirtschaftspolitik heute (Seite 177-220)
Warum es nicht um Geld geht, sondern um Produktivität, und warum dabei kulturelle Faktoren stärken wirken als Löhne, Zinsen und Staatsausgaben

Seite 182: „Denkmodelle gehen den Fakten immer voraus und werden nicht deshalb zur Gewohnheit, weil sie wahr sind, vielmehr weil sie geglaubt werden“ schreibt der Volkswirtschaftsprofessor Karl-Heinz Brodbeck...

· Wegkommen von rein monetären Themen (Lohndebatten, Zentralbankschelte)
· Steuerreform vorziehen
· Realwirtschaftliche Themen beachten (z. B. Investitionen in Bildung und Gesunderhaltung und konstruktives Denken und Handeln fördern)
· Schaffen von kreativen Informationsarbeitsplätzen
· Keine niedrigproduktive, materielle Arbeitsplätze mehr subventionieren


Kapitel 3: In Zukunft viel Arbeit (Seite 221-243)
Die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen wird zur wichtigsten Quelle der Wertschöpfung

Seite 231: „In einer Welt, die ihr Wissen in weniger als fünf Jahren verdoppelt, kommt es darauf an, über die richtigen Informationen zu verfügen und produktiv anzuwenden. ... Wer reale Güter wie Autos herstellt, benötigt immer mehr Informationsarbeit – also Informationen sammeln, sortieren, gewichten, organisieren, aufbereiten, darstellen, beobachten, zusammenführen. Knapp ist dabei nicht so sehr, neues Wissen zu schaffen. Selbst Spezialisten können die veröffentlichten Aufsätze und Publikationen zu ihrem Spezialgebiet nicht mehr überblicken. Während sich die Informationsflut mit Hilfe des Computers technisch noch bewältigen lässt, fehlt es künftig an kompetenten Leuten, die Daten in Erkenntnisse und Problemlösungen umwandeln.“

Seite 242 & 243: „Im nächsten Strukturzyklus werden diejenigen Firmen und Regionen produktiver sein, die ein kooperatives Klima haben. Damit werden sie auch über ausreichende Ressourcen verfügen, Probleme zu lösen. Dafür müssen Unternehmen nicht mehr ... die Informationsflüsse zwischen Mensch und Maschine optimieren, sondern zwischen Menschen. Es geht darum, mit anderen – Kollegen, Kunden, Lieferanten, ständig wechselnden Partnern – weltweit vertrauensvoll und effektiv zu kooperieren, damit Informationen reibungslos fliessen. Firmen mit unkooperativem Betriebsklima werden mit der Zeit vom Markt verdrängt werden, der Wohlstand ihres Umfeldes wird zurückfallen. Dort, wo ein Team sowohl auf der Fach- als auch auf der Beziehungsebene reflektieren kann, was gut läuft und wo man noch zulegen kann, kommt es zu Höchstleistungen.
... Nur eine bessere seelische Gesundheit schafft mehr Wohlstand – das ist etwas Immaterielles in einer zunehmend immateriellen Wirtschaft. ... Seelische Gesundheit wird destruktive Verhaltensweisen verringern, die Produktivität im Umgang mit Information erhöhen, die Kooperationsfähigkeit steigern und auch die körperliche Gesundheit und das Wohlbefinden stärken.“

· Die Zukunft bringt mehr (Informations)Arbeit als wir bewältigen können!
· Uebergeordnete Probleme lassen sich erst dann lösen, wenn sich die Mehrheit nicht nur für den eigenen Bereich verantwortlich fühlt
· Informationsarbeit muss effizienter werden

Labels: , , , , , , , , , , ,

Erik Händeler: Die Geschichte der Zukunft

Der Journalist Erik Händeler hat ein beachtenswertes Buch zu Gesellschaft und Wirtschaft der jüngeren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geschrieben. Der Titel lautet: Die Geschichte der Zukunft. Untertitel: Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen. Kondratieffs Globalsicht. Es ist im Verlag Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers, im Jahr 2003 erschienen (ISBN: 3-87067-963-8).
Erik Händeler, Jahrgang 1969, ist verheiratet, hat eine Tochter, studierte Wirtschaftspolitik und Volkswirtschaft. 1997 wurde er freier Journalist, um die Kondratiefftheorie und deren politische Konsequenzen in die öffentliche Debatte zu bringen.

Was bedeuten „Kondratiefftheorie“ und „Kondratieffs Globalsicht“? Das führt uns auf Nikolai Kondratieff zurück, der 1892 in Russland geboren wurde und ein bedeutender Oekonom war. Nach seinem Studium in St. Petersburg arbeitete er als Direktor für Statistik und Wirtschaft. Er hatte sich an der Februarrevolution 1917 beteiligt, die die Absetzung des Zaren bewirkte. Unter der neuen Regierung war er Vize-Ernährungsminister. Nach der Machtübernahme der Bolschewiken, der Kommunisten unter Lenin, gründete er 1920 in Moskau ein Konjunkturinstitut. Bereits 1928 wurde sein Institut geschlossen, weil unter Stalin nur noch Planwirtschaft zählte. 1930 wurde er verhaftet und kam in einen Gulag, wo er 1938 zum Tode verurteilt und erschossen wurde.
Sein umfangreiches Gesamtwerk wurde aus ideologischen Gründen wenig beachtet. Der amerikanische Oekonom Joseph Schumpeter bezeichnete 1936 die langen Konjunkturzyklen als Kondratieff-Wellen. (Schumpeter verlor aber im Wettbewerb der Modelle gegen den Engländer Keynes, so dass Kondratieff und seine Erkenntnisse bald in Vergessenheit gerieten.)

Als Eingangswort zu seinem 463 seitigen Werk bringt Händeler den folgenreichen Satz von Max Planck an: „Eine wissenschaftliche Erkenntnis setzt sich nicht deshalb durch, weil die Vertreter des alten Systems überzeugt wurden, sondern weil sie aussterben und eine neue Generation an ihre Stelle tritt, die mit den neuen Gedanken aufgewachsen ist.

Händeler beginnt mit der gegenwärtigen Krise (in Deutschland) und behauptet, dass erst eine neue Kultur der Zusammenarbeit in der Informationsgesellschaft den Wohlstand wieder steigen lassen wird. Dann beschreibt er nachvollziehbar wichtige Meilensteine der Wirtschaftsgeschichte der letzten 240 Jahre, um seine These zu belegen. Dabei zeigt er auf, dass sich Gesellschaft und Wirtschaft seither in grossen Wellenbewegungen von 40 bis 60 Jahren weiterentwickelt haben, indem vorhandene Grenzen und Engpässe überwunden wurden. Engpässe führten zur Verknappung eines wichtigen Guts, dadurch wurden Organisationen gebremst, weniger produktiv und blockiert. Daraufhin verloren Menschen ihren Erwerb und verarmten. Erst ein solcher Notstand und Leidensdruck führte zu intensivem Hinterfragen, Forschen und Entwickeln auf dem "kritischen" Teilgebiet und Innovationen, Erfindungen und neue Techniken entstanden nach und nach: Ab 1769 trieb die Dampfkraft anstelle des Menschen die Spinnräder an und leistete damit bis zu 200-mal mehr mechanische Energie! Textilien wurden somit viel billiger und mehr Menschen konnten sich diese leisten. Ab 1820 wurde der aufwändige Transport mit Kutschen zu einem grossen Problem und schränkte die gesamte Produktivität ein, worauf Stagnation, Rückgang und grosse Arbeitslosigkeit folgte. Erst als die Eisenbahn gebaut werden konnte und die Transportkosten dadurch billiger wurden, setzte ein erneuter Aufschwung mit teilweise ganz neuen Arbeitsplätzen ein.

Da Händeler viele Problemstellungen sehr treffend erfasst und meistens auch prägnant formuliert hat, möchte ich ihn selber zu Wort kommen lassen. Zur Situation der Gegenwart schreibt er auf Seite 12: „Und das ist die gute Nachricht: Die Entwicklung des Computers ist nicht das Ende der Entwicklung der Menschheit. Auch heute gibt es knappe Produktionsfaktoren, die sich nicht einfach von heute auf morgen vermehren lassen und der Wirtschaft weltweit den Atem abdrücken: die computerisierte Gesellschaft hat aus eine ökonomischen Notwendigkeit heraus flachere Strukturen in der Arbeitswelt geschaffen. Doch die Menschen, die in der Blütezeit der Industriegesellschaft gross geworden sind, haben nicht gelernt, partnerschaftlich, sachlich und zielorientiert so zusammenzuarbeiten, zuzuhören oder sich gegenseitig so zu fördern, dass Probleme zu angemessenen Kosten gelöst werden können. Umgang und Lebensstil machen die Menschen so krank, dass sie mit den bisherigen Mitteln nicht wirksam genug geheilt werden. Erst wenn wir ein produktiveres Gesundheitssystem aufgebaut und unsere Kultur der Zusammenarbeit den neuen wirtschaftlichen Anforderungen angepasst haben, werden wir die ökonomischen Probleme bewältigen (Arbeitslosigkeit, Bildung, Rente, Krankheitskosten, Steuerausfälle – denn diese Probleme gehören alle zusammen). Wir sind der Krise daher nicht ohnmächtig ausgeliefert. Wir haben die Wahl.“

Seite 14 und 15: „Denn das ist das Besondere an der Kondratiefftheorie: Wirtschaft ist nicht nur ein ökonomischer, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Vorgang. Wenn eine grundlegende Erfindung die Wirtschaft über viele Jahre hinweg antreibt, dann berührt sie alle Bereiche des Lebens. Denn es gibt neue Spielregeln und Erfolgsmuster dafür, wie man Wohlstand schafft; die neue grundlegende Erfindung verändert die Art, wie sich eine Gesellschaft organisiert – schliesslich wollen die Menschen die neue Basisinnovation optimal nutzen...
Das macht die Kondratiefftheorie im Gegensatz zu den mechanistisch-monetären Denkmo-
dellen der etablierten Wirtschaftswissenschaft so brisant: Wie stark oder schwach die Wirtschaft eines Landes prosperiert, entscheidet sich demnach an der Frage, wie sehr seine Bewohner die neuen technischen, aber eben auch sozialen, institutionellen und geistigen Erfolgsmuster verwirklichen.“

Seite 24 bis 28: „Die Informationsgesellschaft ist weit mehr als eine Fortsetzung der alten Industriegesellschaft mit Computern. ... In einer Welt, die ihre Wissensmenge alle fünf Jahre verdoppelt, geht es nicht mehr in erster Linie um ein Mehr an Information, sondern darum, sie effizient zu verwalten, um schnell an jene Infos zu kommen, die man braucht, um ein aktuelles Problem zu lösen. Nur dort, wo Menschen Informationen sammeln, recherchieren, aufbereiten, präsentieren, vermitteln, nur noch dort entstehen neue Arbeitsplätze: der quartäre Arbeitsmarktsektor nach Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistung.“
Wettbewerb findet nicht mehr vor allem über den Preis, sondern über Qualität und Zeitvorsprung, also über den Umgang mit Information, statt. Produktlebenszyklen haben sich dramatisch verkürzt. Geld verdient häufig nur noch, wer als Erster auf den Markt kommt... Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung hängen erstmals vom effizienten Umgang mit Information ab: von Informationsflüssen zwischen Menschen und im Menschen, von Fortschritten im Menschlichen. Firmen, in denen derjenige als starker Mitarbeiter gilt, der sich auf Kosten anderer profiliert, werden am Markt nicht bestehen. Wo Informationsflüsse gestört sind – wo Platzhirsche regieren, Meinungsverschiedenheiten zu Machtkämpfen ausarten, wo Mobbing das Klima bestimmt – stagniert die Produktivität...
Der einzige Standortfaktor, durch den sich die Regionen der Welt künftig noch voneinander unterscheiden, ist die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Information umzugehen.
Und das ist nicht nur eine intellektuelle, sondern eine soziale Fähigkeit; hier geht es um die Frage, wie gehe ich mit mir selbst und anderen um. In den Kulturen wird sie beantwortet durch die vorherrschende religiöse Ethik und das letzte Ziel, das sie dem Leben setzt...
Die Art, wie Menschen miteinander umgehen, wie sie sich organisieren, das wird zum Kernproblem wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in der Informationsgesellschaft.
Wir stehen daher als ganze Gesellschaft vor der immer drängender werdenden Aufgabe, Innenwelt-Probleme zu verringern...
Da rücken ausgerechnet die veränderten ökonomischen Anforderungen religiöse Fragen wieder in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Debatten:
· Wie sollen wir uns in der Firma verhalten?
· Was ist seelische Gesundheit?
· Wie finde ich wieder zu meiner Ausgeglichenheit zurück (früher nannte man das „Frieden“)?
Die Themen, die jetzt aufbrechen, gehören zum Erfahrungsschatz der christlichen Kirchen... Die Wirtschaft benötigt ... den verantwortlichen und kooperativen Informationsarbeiter, der ein neues gruppenübergreifendes Zusammenleben verwirklicht.“

Labels: , , , , , , , , , , , , , ,

Mittwoch, September 13, 2006

Dieter Brandes: Einfach managen

Dieses Buch von Dieter Brandes heisst: Einfach managen. Klarheit und Verzicht – der Weg zum Wesentlichen. Es ist erschienen in Redline Wirtschaft bei Ueberreuter Frankfurt/Wien 2002.
Dieter Brandes war Geschäftsführer und Verwaltungsrat von Aldi Nord. Heute ist er selbständiger Berater für Strategie und Organisation sowie Buchautor. Dieses Werk von Brandes finde ich deshalb interessant, weil er es versteht die wesentlichen Elemente des Managens herauszuschälen, ohne plakativ zu werden. Ihm geht es, wie der Untertitel sagt, um zielorientierte Klarheit und bewussten Verzicht. Interessantes Detail ist, dass er auf ein Vorwort verzichtet und so auch hier seinem Credo nachlebt. Seine Beispiele, die er im Buch verwendet, sind sehr anschaulich, konkret und somit lehrreich. Seine treffenden Zitate regen zum Nachdenken an und zeigen, dass es dem Autor um mehr geht, als nur ökonomisch erfolgreich und gewinnorientiert zu sein. Er kritisiert die Pseudokomplexität, die heute zu Bürokratie, Blockierung und Mittelmässigkeit führt. Eine der Hauptfragen, die er immer wieder aufwirft ist, „Warum sollen die Kunden bei mir einkaufen?“ Ein Buch, das einen Bogen schlägt von allgemeingültigen Einsichten bis zu konkreten Handlungsanweisungen. Um einen Einblick in dieses Buch zu geben, gebe ich die wichtigsten Zitate und Einsichten des Autors wieder:
„Vollkommenheit entsteht nicht dann, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern, wenn man nichts mehr wegnehmen kann.“ Antoine de Saint-Exupéry
„Das Gehirn mit 500 Billionen Verkehrsknotenpunkten ist die komplexeste Materie des Universums.“ Wolf Singer
Das entscheidende Mittel der Komplexitätsbeherrschung ist die Reduktion der Möglichkeiten.
Einfacher machen bedeutet: Man muss so lange streichen, bis man nichts mehr weglassen kann, ohne das Wesen zu verändern.
„In den nächsten paar Jahren werden wir vorrangig um Vereinfachung bemüht sein.“ Jack Welch
„Menschen mit einfach und klar strukturiertem Denken und Wissen werden den Informationssüchtigen langfristig klar überlegen sein.“ Hugh Heclo, Virginia
„Der erste Schritt zu einem Roman ist eine Kurzfassung auf einem einzigen Blatt.“ John Steinbeck
Macht alles so einfach wie möglich, aber nicht einfacher“ Albert Einstein
Verbringe nicht die Zeit mit der Suche nach einem Hindernis, vielleicht ist keines da“ Franz Kafka
„Nur wer seiner Tante und seinem Onkel den Geschäftsplan in wenigen Sätzen erklären kann, verfügt über eine erfolgsversprechende Strategie.“ Jörg Kühnapfel
Nur eine drastische Reduktion der Informationen kann den Umgang mit Komplexitäten ermöglichen. Nur so können wir das Wesentliche erkennen, das Muster, den Wald und eine Orientierung... Wer Orientierung sucht, muss bereit sein zum Verzicht.
„Für ein Schiff, das seinen Hafen nicht kennt, weht kein Wind günstig“ Seneca
„Die Grenze ist der Ort der Entwicklung“ Heinrich Fallner
Vertrauen ist ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Wer misstraut, wird von immer weniger Leuten immer mehr abhängig.“ Niklas Luhmann
Die Redensart „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ ist dumm und falsch ... und ungeeignet für das moderne Management... Kontrolle ist ein Mittel, Leistungen wahrzunehmen, zu sehen, was der Mitarbeiter geschafft hat. Kontrolle ist ein Dialog über Aufgaben und Ergebnisse, über Abweichungen von Vorstellungen und ein Austausch über Einschätzungen und Bewertungen. Kontrolle sollte nur Stichprobenprüfung sein, ob Regeln eingehalten werden. Kontrolle soll Vertrauen bestätigen.
„Wir brauchen auch ein gewisses Mass an Dummheit im Sinne des Verzichts auf Informationen. Sonst können wir zwar alles gut erklären, analysieren. Aber noch nicht die Lösungen für die Zukunft finden.“ Gerd Binnig, Physik-Nobelpreisträger
Kultur, Sinn und Ziele werden durch Fakten verdeckt. ... Sinnfragen können nicht aus Informationen abgeleitet werden. ... Phantasie und gesunder Menschenverstand sind notwendig bei der Entdeckung und beim Verstehen des Wesens und der Elemente von Systemen. ... Alle Daten brauchen am Ende eine bewusste Bewertung und die Ableitung einer Entscheidung und Handlung.
„Den meisten Leuten helfen all die Daten nicht weiter. Was sie wissen müssen, ist: Welche strategischen Fragen muss ich beantworten? Welche Variablen sind zu berücksichtigen?“ Jack Welch
Je mehr wir mit Fakten eingedeckt werden, desto weniger erschliesst sich uns der Hintergrund oder Zusammenhang einzelner Botschaften“ Neil Postman, Technopolis
Ein Uebermass an Informationen wiegt uns in falscher Sicherheit. Man glaubt sich gut informiert, aber die Genauigkeit von Urteilen und Einschätzungen nimmt ab. Zu viele Informationen führen zur Orientierungslosigkeit.“ Peter Sloterdijk, Philosoph
Faktenreichtum führt zur Theoriearmut. Die Wissenschaftler überschwemmen sich selbst mit Informationen aus zahllosen, weltweit durchgeführten Experimenten. Eine "Zusammenschau“ wird immer schwieriger. Verzweifelt werden Theorien gesucht, mit denen sich die Informationen zu einem sinnvollen Ganzen integrieren lassen.“ Karl-Heinz Voigt, Neurobiologe
„Was nicht zu verstehen ist, kann nicht auf Verständnis hoffen.“ Roman Herzog
"Kontinuierliche Verbesserungen sind besser als hinausgezögerte Vervollkommnung.“ Mark Twain
Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.“ Martin Heidegger
„Nicht allen alles bieten. Sondern wenigen vieles. Das Wesentliche im Ueberfluss.“ Adrian Stalder, Hotelier in Pontresina

Labels: , , , , , ,

Dienstag, September 12, 2006

Anbetung? Anbetung!

S. 575: Anbetung ist vor allem Reaktion auf die Gegenwart Gottes.
S. 576: Der Mensch betet Gott an, sobald er ihn als Wirklichkeit wahrnimmt. Anbetung ist daher Unterwerfung des Menschen unter Gott und damit Anerkennung dessen, dass der Mensch nicht Gott ist. Zwei Dinge habe ich in meinem Leben herausgefunden: dass es Gott gibt, und dass ich es nicht bin. Die Konsequenz heisst Anbetung.
Auf den verbalen Lobpreis folgt das Auf-die-Knie-Fallen.
S 577: Idealtypischer Ablauf (der Anbetung): Lobpreis; Demütigung als körperliches Zeichen; Sammlung vor Gottes Gegenwart; Einbezug der Christenheit/Kreatur; Hinhören auf das, was Gott sagt; ev. selbstformuliertes Gebet
S. 585: Sünde ist masslos gewordener Egoismus. Gewiss braucht der Mensch Lust, um leben zu können. Sünde ist erst dort gegeben, wo der Mensch die geschaffene und lebensnotwendige Lust ins Masslose überschreitet und egoistisch werden lässt. ...
S. 586: Sünde kommt von aussen in den Menschen hinein. Sie spiegelt ihm etwas vor, nämlich Lebensgewinn, Erfüllung der vitalen Bedürfnisse. Aber weil wir schwach sind, vergessen wir unsere Grenzen, werden wir masslos. ... Sünde ist daher eine Sucht zum Tode, vergleichbar einem dunklen, wilden Strudel, der den Menschen in Richtung Tod mitreisst. ... Sünde ist eine wilde Sucht zum Tod. Spiritualität heisst: Das Leben des Menschen und er selbst gewinnen Gestalt von innen her.
S. 596: Verschollenes Gebet des Mittelalters: "Herr, du hast deine Kirche gegründet auf die Briefe des Paulus und auf die Tränen des Petrus ..."
S. 606: Dass einer an die Stelle des anderen treten kann, ist immer Gnade. ... Stellvertretung ist immer schon Gottes Gnade, denn er lässt Unverhältnismässigkeit zu, ja, er stiftet dazu an, dass eine grosse Schuld durch einen kleinen Aufwand, durch ein unverhätnismässiges Zeiche des guten Willens beseitigt und aus der Welt geschaffen wird. ... Und als Gott den Gekreuzigten sah, stellte er auch dieses Geschehen in die Reihe der Dinge, die im Tempel zu geschehen pflegten.
S. 611: "Ich wünsche dir nicht ein Leben ohne Entbehrung, ein Leben ohne Schmerz, ein Leben ohne Störung. Was solltest du tun mit einem solchen Leben? Ich wünsche dir aber, dass du bewahrt sein mögest an Leib und Seele. Dass einer dich trägt und schützt und dich durch alles , was dir geschieht, deinem Ziel entgegenführt." Jörg Zink
S. 624: Sie (=Ostkirche) ist im Ganzen eine österliche Kirche geworden. Sie kann Ostern verbinden mit dem eindeutigen Sieg über den Tod. Es wird Zeit, diese Theologie der Hoffnung auch im Westen sich anzueignen.
S. 625: Ich denke, wir können uns darüber einig werden, dass der Fall Jesus von Nazareth eine Art Höhepunkt von Justizmord und Grausamkeit war. Gekreuzigte sterben einen Nerventod nach Stunden unvorstellbarer Schmerzen und Erstickungsängste.
S. 629: Welche Neuigkeiten sind für uns in dem Satz erhalten: "Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!" Ich möchte es in zehn Punkten sagen:
1. Gott verwandelt
2. Gott berührt unseren Leib
3. Nicht glauben, sondern wahrnehmen!
4. Zwei Standbeine: hier und dann
5. Befreiung
6. Kein privates Geschehen
7. Wunder
8. Sinn des Daseins in ein neues Licht rücken: Freude
9. Jesus ist die Auferstehung (wie ein Leuchtturm)
10. Wird durch das Martyrium bezeugt
S. 634: Ich denke bei dem Stichwort "Freude" an das Gottesbild der drei Freudenfeste, von denen Lk 15 berichtet. ... Das ist einmalig in der Bibel – drei Freudenfeste hintereinander! Das gemeinsame Freudenfest lenkte jeweils die Herzen der Mitfeiernden nach vorne und liess sie nicht länger rückwärts gerichtet sein. Gott also " ist ganz aus dem Häuschen", wenn ein Verlorener den Weg gefunden hat. Wie die Frau, die die Nachbarinnen einlädt, wenn sie das Cent-Stück gefunden hat. Diese Züge im Gottesbild sind ganz unerhört und bei Jesus sehr neuartig. In keiner Religion finde ich einen Gott, der ausser sich ist vor Freude über einen Menschen, der zu ihm findet. ... Wir glauben an einen Gott, der sich über die Umkehr jedes Einzelnen nicht mehr einkriegt vor Freude. Und der dann nichts weiter will und erwartet, als dass wir uns überschwänglich mitfreuen. ... Deshalb darf man sagen: Gott hat wohl überhaupt beschlossen, uns zu erlösen, weil er "süchtig nach Freude" ist, nach dieser Begeisterung über einen, der den Weg in die Gemeinschaft derer findet, die Gemeinschaft der Freude heissen sollte.
S. 640: Glaube kann nur grenzenlos oder gar nicht sein
S. 643: Denn spätesten ab Ostern ist Gott absolut und grenzenlos freigiebig mit Leben.
S. 644: Weder Argumente noch Therapie noch liebevolles Hinführen oder Streicheln der Seele sind der Weg der Aufhebung der Zweifel, sonder überwältigende Erfahrung der Gegenwart des persönlichen Gottes in Jesus selbst.
S 647: Die Bibel unterscheidet nicht zwischen Angst und Schrecken einerseits und der domestizierten Furcht vor Gott andererseits. Nein, das alles ist eins und wird mit demselben einen Wort beschrieben. So heisst Gott auch im Alten Testament der "Schrecken Jakobs". Und seine Herrlichkeit und unfassbare Grösse ist zunächst einmal erschreckend, beängstigend. Wer das nicht erfahren hat, versteht nichts vom biblischen Gott. Wer es zudeckt, mogelt sich an dem vorbei, was gerade Aufbruch zu neuer, realistischer Einschätzung der Welt und des Menschen sein kann. Gott ist nicht einfach nur "die Liebe", sondern zunächst einmal schrecklich.
S. 652: Wer von Jesus nicht viel hält, kann mit seinem Werk, seinem mystischen Leib, Schindluder treiben. Sage mir, was du von Jesus hältst, und ich sage dir, was dir die Einheit der Christen wert ist.
S. 656: Gott bewegt die Geschichte durch Frauen. Und dabei ist Schwangerschaft je und je ein Bild der noch andauernden Verhüllung des Zukünftigen. Das Grosse, das sein wird, ist noch nicht da in erdrückender Herrlichkeit, doch wohl in Umrissen zu erahnen. Das ist die Stunde der Mütter des Heils. Das ist auch unsere Gegenwart. Zeit der Hoffnung, die nicht trügen wird.
S. 657: Wenn die Menschen gottlos werden, sind die Regierungen ratlos, die Lügen grenzenlos, die Schulden zahllos, die Besprechungen ergebnislos, die Aufklärung hirnlos, die Politiker charakterlos, die Christen gebetslos, die Kirche kraftlos, die Völker friedlos. (Antoine de Saint-Exupéry).
Unser hedonistisches, letztlich a-theistisches Durchwursteln in der gesamten westlichen Welt ist am Wendepunkt angelangt. Wir können es schlicht nicht mehr bezahlen. Und es ist auch nicht mehr erträglich geworden in einer Welt ohne Gott. Ganze Kontinente sind zum Ausschlachten freigegeben. Die Natur wurde zerstört, die Menschen ihrer Würde beraubt. In der Arbeitswelt sind neue Formen der Sklaverei entstanden. Politiker und Manager bringen ihre Schäfchen ins Trockene. Ausbeutung wird zu globalen Firmenstrategien. Und es werden keine Kinder mehr geboren. Wozu auch? ...
Der Islam – er ist mehr und anderes als El-Kaidah – ruft uns ein unüberhörbares: So nicht! zu. ... Wenn irgendetwas Indikator für den inneren Zustand unseres Volkes ist, dann die Mechanismen des Verbietens, Nicht-Hinguckens und Nicht-Wahrhabenwollens. Wir unterscheiden uns in der inneren Situation kaum von den christlichen Ländern Türkei und Nordafrika im siebten und achten Jahrhundert, in denen ein morsches Christentum einfach überrannt wurde.
S. 659: ... nur die drei "K" werden uns in dieser weltgeschichtlichen Auseinandersetzung rettend notwendig werden: Katechismus, Kultur und Kinderfreundlichkeit. Mit Katechismus meine ich ein klares und verständliche Begreifen der eigenen Position des Glaubens. Das betrifft ... Dreifaltigkeit und Sühnetod Jesu.
S. 669: Nicht aus dem Unendlichen ins Unendliche läuft die Geschichte. Sie hat die Form und Eigenart eines Mandelhörnchens, ist gekrümmte Zeit. Die beiden Schokoladenspitzen sind Präexistenz und Himmelreich. Sie liegen einander gegenüber, sind aber nicht identisch. Sie sind auch nicht vertauschbar, weil zwischen ihnen die ganze Geschichte des Heils liegt.
S. 670: Präexistent sind für das Judentum so wichtige Dinge wie die Thora und der Name des Messias. Erst im neuen Aeon (kommende Welt) werden die Gerechten, gekleidet in Gottes Herrlichkeit, befreit und erlöst sein.
S. 673: Kirche erscheint damit als eine Gegen-Oeffentlichkeit
S. 674: Offenbarung des Johannes ist das am stärksten jüdisch orientierte Buch des Neuen Testaments. Wenn Offenbarung 13 statt Römer 13 der massgebliche Text für das Verhältnis von Kirche und Staat gewesen wäre, die Kirchengeschichte wäre anders verlaufen.
S. 678: Wer Menschen zu Märtyrern macht, wollte selbst anstelle Gottes angebetet werden. Der Märtyrer hat es ihm verweigert. ... Der Märtyrer bewahrt sich für Gott allein und verteidigt mit seinem physischen Leben das Kostbarste, das man ihm rauben will: Anbetung... die Freiheit zu "abgöttischer Liebe". Die Wut des Tyrannen rührt daher, dass ihm diese Liebe und Achtung der Freien versagt bleibt. Der Märtyrer siegt, indem er sich diese Freiheit vor allem irdischen Anspruch bewahrt und sie allein Gott "anheimgibt".
S. 679: Das Thema der Apokalyptik ist nicht, Angst zu machen, sondern keine Angst zu haben, denn wer den Schatz gefunden hat, von dem her und für den er lebt, den kann nichts in seiner Identität wirklich bedrohen.
S. 682: Denn wenn man fragt, wozu Gott Welt und Menschen wohl erschaffen haben könnte, bleibt auch nichts anderes übrig als zu sagen: zu seiner Freude. ... So ist wohl Freude der letzte Sinn von allem.
S. 685: ... in allen apokalyptischen Texten des Neuen Testaments steht am Ende eine Aussage über die erneuerte und sehr innige Gemeinschaft mit Jesus, so etwa das Bild der Hochzeit in der Offenbarung des Johannes.
S. 687: Schlusswort. Das Grösste aber ist die Liebe. Jesus lieben?
"Solus amor" heisst allein die Liebe (Wilhelm von St-Thierry, Zisterzienser-Theologe)
S. 688: Dass Gott uns zuerst lieb hat, spüren wir in schweigender Einsamkeit.
"Wenn es dir gut geht, lege ich meinen rechten Arm um dich, wenn es dir schlecht geht, meinen linken. Denn dann bist du meinem Herzen näher." Mechthild von Magdeburg
"Wenn ich mit offenen Augen betrachte, was du, mein Gott, geschaffen hast,
besitze ich hier schon den Himmel. Ruhig sammle ich im Schoss Rosen und Lilien und alles Grün, während ich deine Werke preise. Dir schreibe ich meine Werke zu. Freude entspringt der Traurigkeit, und Freude macht glücklich." Hildegard von Bingen
S. 691: Christus, herrlicher König, komm und bring uns Frieden! (Das ist Klaus Bergers Schlusssatz. Damit endet auch meine Zusammenfassung. Ob es dich angeregt hat, das gehaltvolle Buch "Jesus" ganz zu lesen. Mich jedenfalls würde das sehr freuen!)

Labels: , , , , , , , , , , , , , , ,

Montag, September 11, 2006

Jesus und die Kirche

S. 531: Gegen den religiösen Individualismus spricht: Jesus war Jude, und im Judentum geht es immer um das Volk Gottes, eine religiöser Individualismus ist dort undenkbar, geistesgeschichtlich, religionsgeschichtlich und von der Struktur der Religion her.
S. 534: Denn die Menschen sollen ja nicht nur bekehrt werden, sondern Gott wollte und will dauerhaft mit ihnen wohnen. Er will denen, die in der Kirche sind, bei sich Heimat geben, und er will auch in ihren Herzen Heimat finden. ...
Die Kirche ist daher darauf angelegt, dereinst im Reich Gottes aufzugehen.
S. 535: Die Kirche Jesu Christi hat Anteil am der Vitalität des Gottessohnes selbst. Sein Sieg strahlt aus auf die Kirche und die zu ihr Gehörigen.
S. 538: Weil der Tod immer zum Greifen nahe ist, hetzt Jesus und geradezu in das Leben hinein. Und er hat es eilig damit. Denn aus der Sicht der Bibel ist unsere Welt eine Notfallstation, in der es nur um eines geht, um Leben oder Tod. Und Jesus ist der Arzt, der wie jeder gute Arzt bedingungslos um das Leben kämpft.
S. 552 Kapitel 15.8: Jesus und die Verbrechen der Kirchengeschichte
... "Kirche" ist der Ort, an dem Gott sein möchte – der Ort, an dem Gott unter den Menschen auf besondere Weise anwesend sein will.
S. 557: Inspiriert sind, so hat es die Kirche befunden, nur Evangelien mit Leidensgeschichte. Und im Evangelium nach Johannes beginnt die Passion Jesu schon im Kapitel 2. ... Gott liebt die Welt nicht in der utopischen Fiktion des Gutmenschentums, sonden ebenso, wie sie real ist. ... Das Geheimnis des Leidens und das des Bösen in der Welt greifen wahrlich an die Wurzel. Gott wagt sich in und durch Jesus Christus mitten in diese bedrückende Welt, indem er sie (auch durch unsere Mithilfe) beständig umwandelt. Wer sich von Kirche wegen ihrer Verbrechen distanziert, distanziert sich von Gott, der die Verbrechen auf seinen eigenen Leib gebunden hat.
S. 561: Wer glaubt nimmt ihn (=Jesus) selbst ganz in sich auf. ... Das Heil ist unablösbar von der Person Jesu.

Labels: , , , , , , , , , , ,

Jesus, die Wahrheit und Mohammed

Seite 497: 14.2 Ueber die Wahrheit der Logik und die Wahrheit Jesu
"Ich bin die Wahrheit", sagt Jesus in Joh 14,6. Biblisch gesehen ist Wahrheit nicht eine Frage des Erkennens, der Logik, der Sätze, die man als wahr oder falsch qualifizieren kann – so denkt die Neuzeit. Wahrheit in der Bibel ist: sich zeigende Kraft.
Seite 508: Gerechtigkeit heisst: einen Beitrag zum Miteinander leisten.
Himmel heisst: Gott setzt seine Herrschaft durch.
Erlösung heisst: Durch Jesu Blut wird die Welt erlöst, Aneignung durch Glauben, nicht Magie
Seite 510: 14.5 Jesus und Mohammed
Wir unterscheiden drei Arten von Offenbarung:
1. Die Offenbarung Gottes durch die Person Jesu Christi.
Diese Offenbarung nennen wir absolut, weil wir uns nicht vorstellen können, sie sei überbietbar. Intensiver als durch einen Menschen kann Gott sich nicht offenbaren.
2. Die Offenbarung Gottes nach dem Zeugnis der Propheten und Apostel
Diese Offenbarungszeugen sind uns durch den Kanon der Schrift erhalten.
3. Eine Fülle von Offenbarungen (Gottes?)
Innerhalb und womöglich auch ausserhalb der Grenzen der christlichen Kirche. (Davon spricht schon 1 Ko 14,26: Wieder ein anderer trägt mit einer Offenbarung zu eurer Versammlung bei) und davon ist die Kirchengeschichte übervoll. Im Unterschied zu 1. und 2. sind diese Offenbarungen weder allgemein anerkannt noch allgemein verpflichtend. Sofern die Kirche solche Offenbarungen nicht verurteilt und ihre Träger sogar heilig gesprochen hat (Brigitta von Schweden), gilt dies zumindest indirekt als Empfehlung der Nützlichkeit.
S. 515: Denn im Rahmen der Kategorie der Stellvertretung wird schon bei Paulus und im Hebräerbrief auch der Tod Jesu eingeordnet in interzessorisches (= für die Menschen eintretendes) Bitten Jesu vor Gott.
S. 522: Jesus Christus als unüberbeitbar endgültige Offenbarung Gottes? ... Als "Sohn" im trinitarischen Gott war er vor aller Zeit und Welt. Beides, Schöpfung und Offenbarung, kommen durch ihn, den einen Mittler, der ... vor zweitausend Jahren sichtbar wurde. Sein Geist hat schon die Propheten inspiriert. Nur Jesus kennt den Vater wirklich. Alle vor und ausser ihm hatten keine wirkliche Ahnung. Erst und nur in Jesus ist die endzeitliche Offenbarung ergangen. Gottes eigenstes Weltgeheimnis, dass er alle Völker erlösen will, ist durch Jesus Christus offenbar geworden. ...
Weil Jesus der Sohn, der Kyrios (Träger des Namens Gottes), der Menschensohn ist, deshalb ist eine weiter gehende Offenbarung Gottes gar nicht möglich. ...
Nach Römer 5,9-11 ist die entscheidende Rettung schon geschehen, steht nicht mehr aus. Das Grössere ist schon passiert.
S. 523: Was ist überhaupt Offenbarung? – und wir antworten: Jede zeichenhafte Enthüllung des verborgenen Geheimnisses Gott. Das geschieht in Anrede, Begegnungen, Zuwendungen an Menschen.
S. 525: Ich dagegen möchte – unter bestimmten Voraussetzungen – für eine Rehabilitierung von lebendigen Offenbarungen in der Kirche plädieren. Offenbarungen gehören zu einer lebendigen Religion dazu. Dass sie unterdrückt werden und nicht zum Zuge kommen, weist auf Vitalitätsschwächen des bestehenden Systems hin.
S. 527: Was ist wahr in der Kirche? Was hält zusammen?
a) die Person Jesu Christi (=absolute Offenbarung)
b) der Glaube an die lebendige Gegenwart des Geistes
c) die unauflösliche Verbundenheit von Wahrheit und Loyalität (loyal gegenüber der Schrift, den heutigen Rezipienten und Hörern)
d) auf Dauer und im ganzen froh macht: Freude

Labels: , , ,

Sonntag, September 10, 2006

Jesus und das Geld

S. 473: Es gibt drei "misslungene" Taten Jesu: Mk 6,4-6: keine Wunder unter skeptischen Landsleuten; Mk 10: Berufung des reichen jungen Mannes und die Katastrophe der Berufung des Judas Iskariot.
S. 474: So exklusiv wie Gott als Einziger angebetet werden will und Gehorsam verlangt, ja auch auf Mehrung aus ist, wie im Gleichnis von den anvertrauten Talenten, so exklusiv verfügt sonst nur noch die Liebe oder eben das Geld über Menschen. ...
Baal steht für Fruchtbarkeit und Reichtum ... Wer dem irdischen Kreislauf von Geben und Nehmen folgt, der hat kein Guthaben im Himmel. Denn Jesus sieht die Chance zur Veränderung der Welt zweifellos darin, dass der Kreislauf von Arbeit und Lohn durchbrochen wird. Wer sich für alles bezahlen lässt, der denkt rein diesseitig und kann kein Jünger Jesu sein.
S. 475: Der christliche Weg zum Glücklichwerden lässt sich am besten mit einer Umleitung im Strassenverkehr vergleichen ... Verschenkte Zeit, also solche, die wir anderen widmen, ist in Jesu Sinn doppelt und dreifach gewonnene Zeit.
S. 477: Geistlicher Tausch
Bürgerliche Normalität und Besitz gibt man weg. Freiheit und geistlichen Spielraum gewinnt man dafür.
S. 478: Spiritualität gibt es nicht zum Nulltarif. Sie muss jeden Tag erkauft werden durch Verzicht auf normale Lebensvollzüge und Annehmlichkeiten des "bürgerlichen" Daseins.
S. 483: In den drei ersten Evangelien, besonders im Werk des Lukas (Evangelium und Apostelgeschichte) tritt die Reichtumskritik Jesu deutlich hervor. Auffälligerweise fehlt sie im Johannesevangelium ebenso wie bei Paulus und im Rest der kanonischen Schriften, sieht man von wenigen Stellen in der Offenbarung des Johannes ab.
S. 484: Es ist aber interessant, dass Jesus auf das Verkaufen der Habe grösseren Wert legt als darauf, dass der Erlös dann den Armen zukommt. Denn für Jesus ist nur eines wirklich wichtig: Die Freiheit zu haben, den Willen Gottes tun zu können. Das meint Jesus mit "Suchen der Gerechtigkeit Gottes", zu dem alles andere hinzugegeben wird. Diese "alles andere" ist daher Zugabe, nicht Hauptziel. Die Aenderung der sozialen Verhältnisse ist daher sicher auf Dauer ein Ziel der Herrschaft Gottes.
S. 488 "Seid klug, kauft euch mit dem Geld aus der ungerechten Welt Freunde, die euch dann in die ewigen Häuser im Himmel aufnehmen, wenn hier alles vorbei ist." (Lk 16,9).
Es geht um nichts Anstössigeres als darum, sich mit Geld Freunde zu schaffen.
S. 489 Das Geld, das ihr habt, kommt immer aus Unrecht, das an ihm kleben. Irgendwo hat immer einer jemanden ausgebeutet, Zinsen genommen, Lohn geraubt oder zuviel verdient.
Kirche besteht nicht darin, dass einige für sich etwas Frommes denken. Vielmehr kann sie nur Wirklichkeit werden und die für sie geltende Verheissung nur dann lebendig werden, wenn Christen ganz real etwas Kostbares miteinander teilen. Zum Beispiel Zeit, Freude, Bewegug, Geld, Speise, Hobbys und Freunde. Je konkreter das ist, was ihr teilt, umso kompakter die Gemeinschaft. Jesus geht es immer um das übermorgen.

Labels: , , , , , , , , , , , , ,

Jesus und die Juden

S. 439: Die Propheten, vorab Jes 5, nennen Israel „Gottes Weinberg“. Bei Jesus ist das Bild verändert: Nicht Israel ist der Weinberg, sondern der Weinberg ist Israel geliehen und kann ihm genommen werden.
S. 440: Nichts auf dem Lande erfordert so viel Liebe wie der Weinberg. Daher ist er ein wirkliches Kulturprodukt – und alle Mühen um ihn setzen vor allem eines voraus: dass Frieden herrscht im Lande. Im Judentum ist daher der Weinberg und besonders der Weinstock ein Symbol für Frieden. …
In Mittel- und Nordeuropa ist die Ausbreitung des Christentums mit der Anlage von Weinbergen deckungsgleich. …
Der Weinberg ist vielmehr Gottes Herrschaft unter Menschen – dass Gott anerkannt wird, und zwar so, dass Lehrer und Schüler gemeinsam dies verwirklichen, die einen lehrend, beide Frucht bringend.
S. 450: Juden fordern Zeichen, Griechen Wunder (1 Ko 1,22), das heisst Judenmission plus Wunder und Heidenmission und Belehrung.
S. 451: Jesus ist zunächst und zuerst Messias Israels. Als Heidenchristen sind ... erst nachträglich in das Gottesvolk aufgenommen (wie die sekundär eingesetzten Zweige des Oelbaums in Röm 11).
S. 459: Die theologische "Ortsfindung" ist dabei ein wichtiges Stück des vierten Evangeliums. "Wo wohnst du?", fragen die Jünger schon zu Anfang, und Jesus sagt zu ihnen: "Kommt und seht." Denn Jesus wohnt dort, wo Gott ist, und dort ist Gott, wo Jesus präsent ist. Das Vierte Evangelium ist somit eine glänzende Einführung in das, was man Realpräsenz Gottes nennt.
S. 467: Deutlicher als alle übrigen Evangelisten stellt Lukas Jesus als den Leidenden, als Märtyrer dar. ... Das Kreuz ist ein Dokument des antiken Antijudaismus, denn nur die Römer durften die Todesstrafe vollziehen.
S. 468: Wie soll aus 130'000 Fraktionen je wieder eine Kirche werden? Nur wenn wir uns orientieren an der Tiefe des Leidens, die unser Begreifen übersteigt, und an der schier unglaublichen Herrlichkeit, mit der Gott Jesus verherrlicht hat und alle krönen will, nur wenn wir uns auf diese Tiefe und Höhe besinnen, die beide nicht menschenmöglich sind, bekommen wir die wahr Optik zur Lösung unserer kleinlich traktierten Kleinigkeiten.
S. 471: Jesus darf sein, was von ihm ankommt... alles Fremde, Steile, Anstössige, Unbequeme, Unverständliche, Mystische wird von Jesus abgelöst, bis nur noch ein allgemeines Vorbild von ihm bleibt – ein dünnblütiger, papierener "Schulbuch-Jesus", der 99 Prozent der Jugendlichen gleichgültig ist, weil sie sich nicht für antike Vorbilder interessieren, für Sokrates nicht und auch nicht für den anderen. Diesen "Jesus" sucht man glücklicherweise in den Quellen vergeblich. Hier liegt bei der Bewältigung der Schwierigkeiten der gefährlichste Punkt: Dass man sich ein Jesusbild nach Gutdünken zurechtlegt.

Labels: , , , , , , , , , , , ,

Samstag, September 09, 2006

Jesus in Aktion

Es geht weiter mit Klaus Berger. Er schreibt in "Jesus" auf Seite 385:
Der Exeget sollte die Sperrigkeit des sperrigen Textes verteidigen und dem "Hinbiegen" einen Riegel vorschieben.
S. 391: Jesus und die Gewalt – einige Thesen: Religion ist mehr als Moral; Moral ist eingebettet in sie und empfängt von ihr her Massstäbe. Dann können Zeichenhandlungen sinnvoll werden, die sonst "gemein" sind. Als Störung der Normalität weisen sie auf den hin, vor dem alle irdische Normalität nur zerbrechliches tönernes Gefäss in der Hand des Töpfers ist.
S. 393 Schalom heisst Frieden und bedeutet: es fehlt an nichts, keiner fällt unter den Tisch und er ist ganz und auf Dauer. ... Das höchste Gut ist Gerechtigkeit. Sie ist Bedingung des Friedens.
S. 398: Geduld ist nichts Passives, sondern behutsame, schonende, zärtliche Aktivität – kraftvolles Aushalten im vorschnell nicht Lösbaren. ...
Die Welt lebt von Menschen, die langmütig sind und langfristige Visionen verfolgen.
S. 406: Jesus allein, nicht alle Menschen sind Gottes Bild, so ist die Auskunft des Neuen Testaments.
S. 408: Stuhlbeinmodell: Viele Christen tun so, als genügte ein Stuhl mit einem Bein, nämlich dem Bein der Bibelzitate. Vier Beine heisst: Es gibt für jede Frage nach der christlichen Wahrheit vier Instanzen, die zu hören sind:
· 1. Bein: geborene Instanz, die Schrift; sie ist zu hören nach dem Prinzip der Loyalität, der freien Treue zum Text (vorurteilsfrei, nicht gesetzlich)
· 2. Bein: Verstehen und auslegen in der kirchlichen Tradition... Wir beginnen mit unserer Auslegung des Textes nicht beim Punkt Null. Wenn wir heute so gut sehen, dann darum, weil wir auf der Schulter von Riesen stehen
· 3. Bein: Sachkunde, Sachverstand
· 4. Bein: Plausibilität oder das, was daraus werden kann, also die mögliche Wirkung
S. 410: Im Neuen Testament geht es "monomanisch" nur um das Eine, um das Reich Gottes, um die Herrschaft Gottes und das heisst konkret: Um die Frage nach Gottes Willen, um Gerechtigkeit, um Gottes Gebot, um das, was Gott ganz konkret von uns will, nämlich Gehorsam und Gerechtigkeit. Und dieses steht einer selbstbezogenen, allgemeinen Entfaltung der Persönlichkeit direkt entgegen.
S. 414: Das Menschenbild der Bibel kennt freilich "Leibeigenschaft": Wir sind Besitz Gottes... Im Alten und im Neuen Testament wird das Verhältnis von Gott und Mensch gesehen im Sinne des Verhältnisses vom Herrn und Sklaven. Paulus sagt von sich, er sei "Sklave Jesu Christi".
S. 418: Die Wahrheit der Bibel ist von der Qualität von Wahrheit, wie sie in einer Liebesgeschichte aufscheint. In der Liebesgeschichte sagt man: Diese Frau oder keine. Und so geht es in der Bibel um diesen Gott oder keinen. Um diesen Jesus Christus oder keinen. Das Thema der Bibel ist Liebe und Geborgensein.
S. 421: Literalsinn ist der wörtliche Sinn und bewahrt gegen Verflüchtigung; Allegorischer Sinn weist auf Dogmatik hin; Moralischer Sinn auf Ethik; Anagogischer Sinn auf Hoffnung.
Nicht die (biblischen) Geschichten sollten wir kleiner machen, sondern uns selbst vor den Berichten, und das nennt man Demut.
S. 422: Bei der "Vergeistigung" der Wundergeschichten ... sind zwei Tendenzen bestimmend: eine traditionelle Geringschätzung des Leiblichen (ein neuplatonisches "nicht so wichtig") und die Feigheit, zum Aergernis zu stehen ("nicht zumutbar", "lehnen die Leute ab"). Beide Linien finden sich genauso ... bei der Eucharistie und bei der Auferstehung der Toten. Auch hier wird der Gehalt der Aussagen rein symbolisch gefasst. Die Folge ist eine nicht wieder gutzumachende Entfernung Gottes von der Welt, eine Art Neo-Deismus. Der Deismus suchte Gott bekanntlich dadurch zu retten, dass er ihn weit in den Himmel verbannte.
S. 424: Die Wundergeschichten sind eben nicht zu 100 Prozent umzusetzen oder zu aktualisieren. Sie bleiben stehen als erratische Blöcke und weisen nach vorne ins kommende Heil. Sie sind Zeichenhandlungen, die als Teil der Verkündigung Jesu immer Einblick in das ganze Vorhaben Gottes geben, aber eben nur als Teil.
S. 429: Die Nähe Gottes zu den Menschen äussert sich nach dem Neuen Testament zeitlich (Das Reich Gottes kommt bald), persönlich (Alle Menschen dürfen zu Gott Vater sagen), räumlich (Wo Jesus auftritt, ist das Heil) und eben auch biologisch (Heilungsgeschichten).
Keine dieser Dimensionen darf schamhaft verschwiegen werden. Auch in der Gegenwart ist das Christentum Heilungsreligion. Aber der Weg ist nicht direkt die Erlösung von der Krankheit, sondern die Versöhnung mit Gott und den Nächsten.
S. 430: Seelsorge ist immer Spiegelbild unseres Glaubens an Jesus. Wir haben uns daran gewöhnt, Seelsorge als Summe aus pastoraler Psychologie, Soziologie, Medizin und Organisationskunde zu betreiben … Nur der geheimnisvolle Rest verkommt unter dem Rätselwort „Spiritualität“. Dahinter verbergen sich zumeist die schlechten Gewissens zugegebenen Lücken persönlicher Frömmigkeit.
S. 431: Jesus ist fremd und gefährlich. Wer ihn vereinnahmt, nimmt der christlichen Religion ihre Strahlkraft und ihre notwendige Faszination. Christentum ist mehr als eine ganz vernünftige Sache, und Kirche ist zum allerwenigsten Teil dieser Gesellschaft.

Labels: , , , , , , , , , , , , ,

Gott verfügt über uns!

Ich möchte fortfahren Klaus Berger zu zitieren und alle einladen, seine Sätze zu bedenken.
Er schreibt in "Jesus" auf Seite 308: Oder Gott lässt das Böse zu, weil er Besseres mit uns vorhat, so wie es mit Jesus und Lazarus in Johannes 11 war. Vielleicht soll unser Glaube mündig werden, erwachsen werden, sodass wir mit Jossel Rakover aus dem brennenden Warschauer Getto von 1944 sagen: "Ich glaube an dich, dir zum Trotz. Ich sterbe als von Gott Verlassener, auch wenn ich unerschütterlich an dich glaube."
Ist der Sinn des Leidens auch der, dass wir klagen lernen, dass unser Glaube nicht mehr naiver Kinderglaube bleibt, sondern in "die Trotzphase" kommt, die zum Erwachsenwerden notwendig ist?
Dann auf Seite. 312: Wo immer der Mensch sich selbst zur letzten Instanz macht, sich selbst zum Herrn des Lebens erklärt, sich selbst vergottet – da entsteht namenlose Barbarei. Der Glaube an den einen und einzigen Gott, den Schöpfer des Lebens und den Vater Jesu Christi ist daher absolut notwendig. Die absolute Herrschaft Gottes und die daraus folgende Entmythologisierung aller Menschenherrschaft ist das Geschenk des Glaubens an die Welt. Jede Alternative ist fürchterlich.
Auf Seite 325: Schätze im Himmel sind nicht ausgeübte Gewalt, nicht geltend gemachte Besitzrechte und nicht durchgesetzte Ansprüche (=freiwilliger Verzicht auf Erden, loslassen, vergeben).
Seite 327: "Sedaqah" (hebr.) bedeutet dem andren das Zusammenleben ermöglichen (Konvivenz, lat. convivium bedeutet Mahl)
Seite 334: Die positive Seite der Botschaft (Jesu) lautet: Werdet Gott ähnlich in seiner Schöpferfürsorge, Feindesliebe und Barmherzigkeit. Bleibt ihm um Gottes willen unähnlich in seiner Rolle als Richter und als der, der alles in Ordnung bringt und irdische Vaterschaft für sich reklamiert. Masst euch in dieser Hinsicht, also in Bezug auf die letzten Dinge, nicht Gottes Kompetenz an. Hier gilt es genau zu unterscheiden: Seid Gott ähnlich – bleibt ihm unähnlich, lässt ihm seine Heiligkeit, aber eifert ihm nach in seiner Liebe.
S. 343: Glaube ist biblisch gesprochen immer Anteilhabe an der Stabilität Gottes ... Glaube ist Anschluss an die Macht Gottes und darum in jedem Falle heilend. Glaube ist mehr als subjektives Vertrauen. Er ist objektive Teilhabe an der lebendig ordnenden Festigkeit Gottes. Glaube stellt den Menschen wieder her, da er jetzt dank Gottes Nähe ein geheiltes Kontrollzentrum besitzt ... Der Glaube heilt, weil im Blick auf Gott – und nur so – der Mensch seine Ordnung wieder-findet. Weil der Glaube durch Jesus hindurch auf Gott gerichtet ist, ist er in jedem Fall in dem hier beschriebenen Sinn rettend ... Rabbuni (aram.) bedeutet Mein Lehrer/Herr (Mk 10,51 & Jo 20,16) und ist deckungsgleich mit Kyrie (griech.)
S. 347: Ehrlichkeit im Umgang mit der Radikalität Jesu würde bedeuten: Wir verzichten auf ermässigende Manipulation der Texte. Wir stellen fest, dass diese Texte gelten und dass nur unser Herz oft nicht heiss genug brennt. Wir betrachten dann die Texte nicht als Gesetz, sondern als Herausforderung, sich immer mehr auf Gott einzulassen. Gott trägt uns dann auch durch.
S. 351: Aus den Bilder des Neuen Testaments jedoch spricht zum allerwenigsten Vernunft und Moral, sondern eben der lebendige, nicht einmal moralisch vereinnahmende Gott...
S. 352: Aber in der Religion ist Kant am Ende.
Moralisch ist:
- wenn jeder zu seinem Recht kommt
- jeder hat unveräusserliche Rechte
- angemessene Bezahlung, Urlaub, Freizeit und Eigenheim
- Menschenrechte und freie Gewissensentscheidung
- Toleranz
- Mein Bauch gehört mir
- Bloss keine Opfer!
Christlich ist:
- durch Leiden wurde die Welt erlöst
- wenn einer auf sein Recht verzichten kann
- mutig auch Unangenehmes fordern
- ohne alles auskommen, wenn es denn nötig
- Gott, der ruft und überfällt, der verstockt und Menschen als seine Instrumente einfordert und gebraucht
- ich gehöre Gott, inklusive meines Bauches. Auch ein behindertes Kind tragen wir Eltern gemeinsam
S. 359: Wer radikal Jesus nachfolgt, ist eben deshalb geborgen, weil er die menschlichen Sicherheitssysteme kappt und sich ganz auf Gott verlässt, der ihn trägt und in die Arme schliesst.
S 369: Das Wort Mystik kommt ursprünglich von myein, "die Augen schliessen". Hätte das Wort nicht einen Bedeutungswandel durchgemacht, dürfte man im Christentum nicht von Mystik sprechen. Das Christentum ist die Religion nüchterner Wachheit. Wegtauchen, Desensibilisieren ist nicht erlaubt. Dagegen sollten wir die Augen öffnen, um Gott und den Nächsten als Gegenüber wahrnehmen zu können – und so auch uns selbst zu gewinnen und eben gerade nicht loszuwerden. An diesem Punkt haben wir auch das klare Unterscheidungskriterium, das christliche Meditation von ostasiatischer Meditation unterscheidet: Das eine ist konzentrierteste Wachheit und intensivste Wahrnehmung von Wirklichkeit, das andere Entselbstung, Aufgehen des Individuums im All-Einen. ...
Was Jesus in den Gleichnissen der Evangelien einfordert, ist so radikal, so anspruchsvoll, dass man – im Blick auf seine schwachen Kräfte – manchmal am liebsten die Segel streichen würde. Im Alten Testament, im Buch Hiob, findet sich ein Text, der diese seelische Grundbefindlichkeit des Christen vor der Ungeheuerlichkeit des Geforderten gut zum Ausdruck bringt. Im Licht des Evangeliums wird dieser Text (Hi 14,1-6) daher zu einem Stück Evangelium.
S. 373: So ist das Wichtigste nicht der Kontrast zwischen deiner Grösse und unserer Schuld, sondern dass wir mit dir darüber sprechen können und dankbar sein dürfen für jedes Weggucken. So kannst du uns vor dir selbst schützen. Weil du so wegsehen kannst, bist du stärker als unsere Schuld. Denn es ist ja schon erwiesen, dass deine Güte grösser ist als aller Abgrund. Nur deshalb und unter dieser einzigen Bedingung ist reiner, kindlicher Jubel noch immer der einzige und absolute Sinn unseres Daseins.

Labels: , , , , , , , , , ,

Donnerstag, September 07, 2006

Die zärtliche Hure und Gottes närrische Suche

Von den eindrücklichsten Sätzen im Buch "Jesus" von Klaus Berger stehen auf den Seiten 233 bis 238:
Jesus und die Zärtlichkeit der Hure
Mit derselben Masche, mit der die Hure immer Männer anmacht, versucht sie es auch bei Jesus: Die Berührung mit den Haaren, das Küssen und das Eincremen gehören dazu. Die Tränen, die sie vergiesst, sind zumindest vieldeutig. Sie sagt nichts dabei. Jesus verbietet es nicht, er wertet ihr Tun als Liebe. Er akzeptiert sie so, wie sie ist. Und vor allem so, wie sie liebt. Die Motive dieser Liebe werden nicht aufgeschlüsselt. Man darf sie wohl ambivalent nennen. Die legt daher auch nicht irgendein Glaubensbekenntnis ab, nicht das leiseste. Auch unsere Motive, zu Jesus Kontakt zu haben, dürften vieldeutig sein. ...
Denn reinen Glauben hat niemand, die reine Liebe wäre nicht von dieser Welt. Und das ist das Tröstliche an dieser Geschichte: Jesus akzeptiert auch unsere "gemischten Gefühle". ... er greift schon auf, was da ist. Er kann auch auf krummen Zeilen gerade schreiben. Das ist in Wahrheit Vergebung, dass eben auch unsere Glaube nicht perfekt sein muss. ...
Jesus ist in seiner Person das Heil, ... Die Gnade liegt darin, dass wir Gemeinschaft haben dürfen mit Jesus. Die Liebe zu Jesus hat viele Motive, wenn sie nur ihn meint und bei ihm endet. Denn das Heil ist physische Gegenwart Jesu, ohne dass Jesus Besonderes dazutut. Und diese Gegenwart Jesu ist wichtiger als die verschlungenen Motive des Liebens. Auf unserer Seite gibt es meistens eine ganze Menge schiefer und falscher Voraussetzungen, weshalb wir zu Jesus kommen. Er "heilt" sie alle von Grund auf, wenn wir nur bei ihm bleiben.

Das Gleichnis (vom verlorenen Groschen in Lukas 15,8-10) handelt aber von Gott. Im Bild dieser Frau steht seine närrische Suche im Zentrum, seine, Gottes wahn-sinnige Freude. Denn er, der Herr der Welten, ist auf der Suche nach jedem verlorenen kleinen Menschen. Er kehrt das Haus um, auf dass er den Letzten finden kann. Die normale Weltordnung ist hier verkehrt worden: Nicht wir müssen Gott suchen, den mächtigen und barmherzigen, sondern er sucht uns. Verzweifelt fast, um jeden Preis. Und wer sein Haus umkehrt, um einen Groschen zu suchen, der tut es auf Knien. Nicht wir knien hier, sondern Jesus schildert hier Gott auf Knien. Ein merkwürdiger Gott – versteht der denn gar nichts von Würde?

Labels: , , , , , , , , ,

Klaus Berger: Jesus

Klaus Berger ist einer der berühmtesten und zugleich einer der eigenwilligsten und pointiertesten Theologen Deutschlands der Gegenwart. Als katholischer Christ, stammend aus Hildesheim, studierte er in München katholische Theologie, wurde aber wegen Differenzen mit der Kirchenleitung nicht ordiniert. Darauf lehrte er viele Jahre Neues Testament an der evangelischen Fakultät in Heidelberg. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Werke zum Neuen Testament herausgegeben und hat sein Leben lang über "Jesus" geforscht. Mit dem Werk "Jesus" legt er nun seine reichen Erkenntnisse auf ganzen 691 Seiten vor, jedoch ohne nur eine Fussnote zu gebrauchen! Es ist im Pattloch-Verlag München 2004 erschienen unter der ISBN-Nummer: 3-629-00812-7.
Dazu sagt er schlicht und einfach: "Ich möchte modernen Menschen sagen, was sie von Jesus haben. Ich möchte Menschen antworten, die zu Recht fragen, ob Jesus noch irgendeine Bedeutung für sie hat."
Berger versteht es ausgezeichnet, komplexe (geschichtliche) Sachverhalte klar, einfach und nachvollziehbar darzustellen und auf den Punkt zu bringen. Er gibt auch seinen eigenen Standpunkt und seine Beeinflussungen unumwunden zu, plädiert aber für eigene Demut (in Kapitel "Biografische Verschränkung") und Gottes Recht, über uns zu verfügen. Dieses monumentale Werk strahlt für mich Kraft und Glaubwürdigkeit aus. Es ist übersichtlich in Haupt- und Unterkapitel strukturiert, verfügt aber über keine Grafiken und Bilder und verlangt deshalb dem Lesenden viel Ausdauer ab. Selber habe ich über ein Jahr darin gelesen. Nun lasse ich Berger mit wichtigen, prägnanten Textpassagen gleich selber zu Wort kommen:

Seite 14 unten: Ich gehe von der Fremdheit der Texte aus. Je fremder ein Text in unsere Zeit hereinragt, desto anstössiger, provokanter, letztlich effizienter und sprechender kann er für uns sein. Die Fremdheit gibt ihm die Chance zur Wirkung, zum Neuen im vertrauten Alten.
Seite 15: Mystik ist das Achten auf die erstrangige Wirklichkeit Gottes. Die biblischen Schriften über Jesus wurden ausnahmslos in einem mystischen Horizont verfasst und können daher auch nur in einem mystischen Horizont verstanden werden.
Seite 16: Diese Durchsetzungskaft von Texten von und über Jesus beruht weniger darauf, dass sie ein Appell an den menschlichen Willen sind, sondern dass sie die Liebesfähigkeit und Sehnsucht des menschlichen Herzens anrühren.
Seite 17: Mir erscheint es sachgemäss, die frühchristlichen Aussagen in der Art eines offenen Mosaiks zusammenzustellen.
Seite 27: Es gibt viele Wege zu Jesus, wie es Menschen gibt. Vier Wege möchte ich aufzeigen: Die Bibel, die anderen, die Zeit und das Leiden. Die Bibel handelt von der ersten bis zur letzten Seite von einer Sache: Wer Gott ist und wie man dort hinkommt. Sie ist ein Kompass auf dem Weg.
Seite 28: Die Bibel ist in Wahrheit ein fremdes Buch. Sie muss uns fremd erscheinen, sonst hat sie keine Kraft. Sie enthält eben nicht die Menschenrechte, sondern spricht von Gottes Recht über den Menschen.
Seite 29: Ich habe stets versucht, mich dem Text auszusetzen, mich von ihm lesen zu lassen, seine eigenen Regeln zum Sprechen zu bringen. Ich habe versucht, ihn selbst zu hören. Ich habe versucht, ihn nicht zu erdrücken durch mitgebrachte Regelsysteme, die ihm fremd sein müssen ... Diese wohlfeilen Regelsysteme verraten nichts über den Text, aber alles über die Hilflosigkeit der Ausleger.
Seite 40: Jeder Mensch leidet, der eine früher, der andere später. Es ist nur ein kleiner, entscheidender Schritt, sein Leiden zu teilen, weil man entdeckt, dass es einen gibt, der es mit mir teilen möchte.
Seite 60: Bei dem Terminus "Sohn Gottes" geht es immer um die Aehnlichkeit und Intimität der Beziehung, nicht um biologische Zeugung.
Seite 99: Die Heilige Schrift nähert sich Gott mit äusserster Distanz, mit Erschrecken vor dem ganz Anderen.
Seite 101: Daher mein Rat: Gott so lieben, dass man nichts anderes zu viel liebt. Gott so fürchten, dass man vor nichts anderem zu viel Angst hat.
Seite 103: Katastrophen "neben uns" werden zu Warnsignalen ... Denn wer wie wir, Abtreibung per Krankenkasse finanzieren lässt, die Geburt eines Kindes dagegen selbst bezahlen muss, hat die Kultur des Todes gesetzlich festgeschrieben.
Seite 107: Die Kultur der Betroffenheit ist tendenziell ein Pietismus ohne Gott.
Seite 110: (Junge Menschen brauchen) drei Dinge also: Orientierung und führende Hand, sichere Rituale, die jede Woche zur gleichen Zeit am gleichen Ort geschehen, und Sehnsucht nach Gesprächen.
Seite 151: Armut, Hunger und Weinen werden nicht im Geringsten spiritualisiert oder moralisiert. Jesus fragt nicht, warum diese Menschen arm, hungrig und traurig sind ... Wichtig in der Ansage an die Armen ist allein dieses, dass Gott ihr Geschick wendet.
Seite 154: Ich glaube an den Gott, der Gerechtigkeit will und der diese Gerechtigkeit durch seinen Sohn Jesus Christus uns kundgetan hat.
Seite 156: Die Armen im Geist sind gequälte Menschen, die man nervlich fertig macht.
Seite 157: Glaube bedeutet vom Griechischen her Einstellung, Treue, Geduld.
Seite 158: Menschen leben heute in "synchronisierten Einsamkeiten" (Klaus Hemmerle)
Seite 160: Gott ist Kind geworden – was besagt das in einer Gesellschaft, die so kinder-feindlich ist wie nie und nirgends je eine Gesellschaft? Es besagt zwangsläufig, dass noch nie Menschen so weit entfernt waren wie wir Heutigen von Gott.
Seite 166: Wer glaubt, beugt seinen Rücken nur noch vor Gott und nur noch für die Schwächeren. So sprach man im Mittelalter vom "Herrn Kranken".
Seite 181: Auch im Neuen Testament geht es nirgends (!) um den Gegensatz zwischen Leib und Geist, sondern immer um den Gegensatz zwischen irdisch und himmlisch, Vergänglichkeit und Heiligem Geist.
· Zeitordnung 1: Die Zeit, in der Jesus auf Erden wirksam ist – eine Phase der Freude
· Zeitordnung 2: Die Zwischenzeit, in der er nicht unter den Jüngern sein wird, ist die ernste Zeit der Vorbereitung
· Zeitordnung 3: Das Fest am Ende, wenn er wiederkommen wird, wo natürlich von Fasten keine Rede mehr sein kann, wo reine Freude herrscht
Seite 199: Die Sünde besteht immer darin, dass wir keine Zeit haben ... Alle Sünde ist kurzatmiges Raffen. Das Herz kann nicht mitwachsen, es wird buchstäblich überfahren. Durch das Raffen wird der Mensch nicht nur betrogen, am Ende macht dieses Handeln auch ihn selbst kaputt. ...
Man hat diesen Weg Jesu auch den indirekten genannt. Auch der Weg Jesu will Ganzheit, Lust, Fülle, Erfolg, Reichtum, Glück, Liebe, Herrschaft, Leben ohne Grenzen, das grosse Fest. Er will es in nie gekannter Radikalität. Wer den Weg Jesu wählt, wer leben will, kommt zum Leben, aber er kommt zum Leben durch Kreuz und Tod hindurch. Wer sich finden will, kommt zu sich, indem er ganz und gar nicht an sich denkt ... Der Weg Gottes führt durch das Gegenteil. Er geht auf die Nacht zu, um das Licht zu finden ... Glücklich wird, wer sich selbst vergessen kann ...
Seite 202: Im Neuen Testament dagegen soll niemand auf sich selbst verzichten, sondern sich nur lösen und befreit werden von Scheingütern und höchst vergänglichen Werten.
Seite 219: Wir sind glücklich, indem wir glücklich machen und uns am Widerschein freuen. Zu wissen, dass man glücklich macht, das ist das Glück. Und daher ist die Freude der einzige und der eigentliche Sinn jedes menschlichen Projekts, jeder einzelnen Lebensgeschichte.
Seite 220: Der Schenker gewinnt – sein Leben, seine Identität. Auferstehung ist der Erweis der unbesieglichen Liebe zum Leben. Auferstehung setzt diejenigen ins Recht, die Leben verstreichen lassen, ohne es krampfhaft und egoistisch raffen zu wollen. Und wo immer wir Freude wahrnehmen bei dem, der schenkt, ist es eine Freude, die für das steht, was fromme Leute das Ewige Leben nennen. Freude als Widerschein der Auferstehung in der Gegenwart, Freude als Sinn schon jetzt.
Seite 221: Alle Kreatur kann unsere Liebe nur begrenzt ertragen. Selbst menschliche Liebespartner brauchen hin und wieder Ruhe voreinander. Sie können nur begrenzt geben, weil nur begrenzt empfangen können. Wer in der Liebe vom anderen "alles" fordert, wird ihn garantiert überfordern (vielleicht boomen darum die Scheidungen?). Nur Gott kann "alles" geben, "alles" fordern. Gott ist die Selbstverwirklichung des Menschen.


Labels: , , , , , , , , , , ,

Mittwoch, September 06, 2006

Wie man einen störrischen Esel zum Laufen bringt

In einem Städtchen war Jahrmarkt angesagt und zwei Knaben wollten da unbedingt hingehen. Doch ihr Vater hatte ihnen befohlen, dass sie zuerst den Eselskarren mit Heu heimholen müssten. Hastig haben die beiden das trockene Heu auf den Karren gehoben und den Heimweg angetreten. Der Bauernhof lag bereits in Sichtweite, aber der Esel begann zu bocken. Die Knaben haben am Esel gezerrt, gestossen und ihn angebrüllt. Doch der Esel tat keinen Schritt mehr. Nun haben sie auf ihn eingeschlagen und ihm Fusstritte versetzt. Doch nichts davon hat genützt. Schliesslich hat einer die Heugabel genommen und den Esel gepiekst. Der hat geschrien und sich geschüttelt, Blut ist auf den Boden getropft, aber er hat keinen Schritt getan.
Endlich hat einer der Knaben die zündende Idee: er hat eine Handvoll Heu vom Wagen genommen, sie unter den Esel gelegt und angezündet. Der Esel hat darauf zwei, drei Schritte gemacht und ist so der Hitze ausgewichen. Doch das Feuer stand nun unter dem Karren und das Heu hat Feuer gefangen.
Dadurch ist auch der Vater aufmerksam geworden und angerannt gekommen. Er hat das brennende Heu vom Wagen gerissen und gelöscht. Danach hat er das eingetrocknet Blut am Hintern des Esels gesehen und eine Ohrfeige ist gefolgt. "Seid ihr völlig verrückt geworden?"
Nachdem sich alle wieder beruhigt hatten, sagte der Vater: "Ich zeige euch nun, wie man mit einem Esel umgeht, der nicht weitergehen will!" Er hat sich zur Erde gebeugt und seine Hand mit Staub und Dreck gefüllt. Mit der anderen Hand hat er dem Esel das Maul geöffnet und streicht ihm die Erde hinein. Nun hat der Esel gehustet, ist gerannt und ist so schnell beim Bauernhof angekommen. Dort stand nämlich sein Wassertrog, an dem er immer getrunken hatte. Nur so wurde er diesen ekelhaften, erdigen Geschmack wieder los.
(Diese Geschichte stammt aus Amerika, frei erzählt nach Berthold Hebel)

Labels: , , , , , ,

Spielen oder Sein?

Früher gab es in Mehrfamilienhäuser nur eine einzige Toilette draussen im Treppenhaus. An einem Samstagnachmittag beschloss ein kleiner Junge, er sei jetzt gross genug, um die Toilette alleine, ohne fremde Hilfe, zu benutzen. Er ging die Treppe hinauf, verriegelte hinter sich die Tür und kam sich für die nächsten Momente sehr erwachsen vor.
Dann wollte er wieder hinaus. Aber er bekam die Türe nicht mehr auf. Er versuchte mit ganzer Kraft, trotzdem schaffte er es nicht, den Schlüssel zurückzudrehen. Er geriet in Panik und dachte: „Ich muss den Rest meines Lebens in dieser Toilette verbringen!“ Und er fühlte sich plötzlich wieder wie ein kleiner Junge.
Die Eltern, Geschwister und Nachbarn hörten sein verzweifeltes Schreien. „Was ist los?“ rief die Mutter durch die Türe, die sich weder von innen noch von aussen wieder öffnen liess. „Bist du umgefallen? Hast du dir den Kopf angeschlagen?“
„Ich krieg die Tür nicht mehr auf!“ brüllte er.
Der Vater war bereits zur Garage gerannt, riss die Leiter runter, lehnte sie an die Hauswand genau unter dem Toilettenfenster. Er stieg hoch, stiess das Fenster auf und kletterte in die Toilette, in das Gefängnis des Jungen. Er ging an dem Jungen vorbei, drehte den Schlüssel zurück und machte die Türe auf. „Danke!“, sagte der Junge und lief zum Spielen davon.

So ähnlich funktioniert auch das Leben als Christ, denken wir oft. Wenn ich irgendwo feststecke, versuche ich erst einmal, mich selber zu befreien. Wenn das nicht geht, rufe ich Gott im Gebet um Hilfe. Gott hört dann mein Geschrei: „Hol mich hier raus, ich will wieder spielen!“ Er kommt und öffnet die Türe.
Manchmal tut er das tatsächlich. Aber jetzt, wo wir nicht mehr jung, sondern älter geworden sind, erkennen wir, dass Glaube nicht mehr ganz so funktioniert. Und wir fragen uns: Sind wir mit Gott zufrieden, lieben wir ihn noch, auch wenn er die Türe nicht aufschliesst? Wenn eine Ehe nicht wiederhergestellt wird? Wenn Kinder nicht aufhören zu rebellieren? Wenn gute Freunde uns im Stich lassen? Wenn finanzielle Sorgen drücken? Wenn der Gesundheitszustand trotz unseres Betens sich verschlechtert? Wenn die Einsamkeit oder eine Depression nicht enden will? Wenn eine gute Arbeit aufgegeben werden muss?
Lieben wir Gott auch noch, wenn er zwar durch das kleine Fenster in unsere düstere Kammer klettert, aber dann nicht vorbeigeht, um den Schlüssel zu drehen? Stattdessen hockt er sich zu uns auf den Boden und sagt: „Komm, setz dich zu mir!“
Es scheint, dass er der Meinung ist, dass es für uns wichtiger sei, zu uns zu kommen und bei uns zu sein, statt uns schnell zum Spielen rauszulassen. Oft sehen wir das nicht so wie er. „Hol uns hier raus!“ jammern wir. „Wenn du uns lieb hast, schliesst du endlich die Türe auf!“

Hier liegt viel an uns. Wir können Gott entweder weiter bitten, uns zu geben, wovon wir Glück und Erfüllung erhoffen – raus aus dem dunklen Raum, hin zum Spielplatz. Oder wir nehmen seine Einladung an und setzen uns zu ihm. Wir sind zwar noch im Dunklen, aber wir erhalten die Gelegenheit, ihn besser kennenzulernen. Es wird eine Zeit kommen, wo wir für immer „spielen“ dürfen, weil wir ganz bei ihm zu Hause sind.

Grundlage ist eine Geschichte von Lawrence Crabb. Buchempfehlung: Lawrence J. Crabb: Christsein ohne Krampf. Brunnnen Basel 2004

Labels: , , , , , , , , , ,

Freitag, September 01, 2006

Gott erleben im Alltag

Der Alltag ist voll von Dingen, die einfach funktionieren müssen. Das normale Alltagsleben mit seinen Anforderungen ist aber auch wichtiger Teil des geistlichen Lebens. Eine gute Voraussetzung, um nicht abzuheben, und eine gesunde Verankerung im Irdischen und Menschlichen zu behalten. Und das bietet jede Gemeinschaft: Die praktische Arbeit muss laufen, jeder muss sich nach dem Rhythmus des Arbeitstages und des Essens richten. Es gibt ein gewisses Mass an Zwang, selbst wenn dahinter eine freiwillige Entscheidung liegt, nämlich bei uns die Wahl, zur Hausgemeinschaft, zum Saisonteam der Casa Moscia zu gehören.
Gemeinsames Leben ist auch ein Versuch eine gesunde Struktur zu erhalten. Bestehend aus kleinen Dingen, die funktionieren und Routinearbeiten, die einfach getan werden müssen. Und dies immer wieder: täglich, wöchentlich. Nichts ist unbedeutend, jede kleine Handlung hat Teil am Ganzen und trägt zur Gemeinschaft bei. Der Teufel zielt auf Spaltung und Auflösung. Wir aber sind berufen, Gutes zu tun und Menschen zu sein, die zusammenhalten. Wenn wir die tiefere Bedeutung dieser kleinen Dinge vergessen, ermüden wir rasch. Aber in jeder kleinen Handlung gibt es eine Absicht, eine Tiefe, eine geistliche Dimension. Lena Bergström spricht vom "Edelstein im Alltag". Darin liegt ein Geheimnis und auch viel Energie: eine Ordnung schaffen, die schön ist, die erleichtert, die Freude bereitet und nicht Machtmittel ist. Eine gute Ordnung, die aber auch ein gewisses Mass an Chaos einschliesst, so wie zur Schöpfung auch Wildes und Ungebändigtes dazu gehört.
Durch die Zugehörigkeit zur Hausgemeinschaft wird meine individuelle Freiheit begrenzt. Abhängigkeit und Verantwortung lehren mich, dass ich nicht immer meinen Willen durchsetzen kann. Gewohnheiten entstehen und helfen, werden verändert und manchmal in Frage gestellt. Die Gemeinschaft als Ganzes und der Einzelne werden auf die Probe gestellt, daran können wir wachsen und reifen. Zu menschlichen Beziehungen gehört auch Widerstand. Oft ist es gerade dieser Widerstand, der uns wachsen lässt. Man kann in solchen Umständen aber auch stehen bleiben und aufhören zu wachsen. Man kann so aufgefressen werden durch das, was einen nervt, stresst oder was getan werden muss, dass man nicht mehr auf die Wachstumsmöglichkeiten achtet. Wachstum beginnt in den Gedanken: Wenn ich lernen will, mich und die Menschen um mich herum als Gabe Gottes anzusehen, dann kann charakterliche Reifung geschehen. Wenn ich mein Arbeitsteam und meine Wohnpartner dagegen als Hindernis für meine Entwicklung ansehe oder sie als Entschuldigung für meine Trägheit benutze, dann wird nicht viel passieren.
Die Lösung für mich besteht darin, Gott ins normale Leben in der Casa Moscia und anderswo einzuladen. Gott will uns dort begegnen und umwandeln, wo wir gerade sind. Er hört meine Lieder und meine Wutausbrüche. Er sitzt mit uns am Tisch und hört, wenn wir streiten. Mitten in alldem gehen meine Gedanken zu ihm, um mit ihm zu teilen, was geschieht. Da gehören auch Seufzer und Klagen dazu. Und ihn um Hilfe zu bitten für Situationen, die schwierig sind. Es wie ein Dialog, ich höre zwar keine Stimme, es ist nichts Dramatisches, aber ich erlebe seine Gegenwart, die Bestätigung und Korrektur anbietet. Gott ist einfach da, obwohl mein Intellekt sich oft dagegen sträubt.
Durch meine Nächsten bekomme ich eine Menge Einsichten, die mir sonst fehlen würden. Ich beginne auch Gott in den Menschen zu sehen, weil das Leben letztlich aus seinen Händen kommt. Aber Menschen sind keine Engel. Sie stellen meine Geduld und meine Grenzen auf die Probe. Das ist eine Gelegenheit, mit offenen Augen die eigenen Schwächen anzuschauen, den unverarbeiteten Aerger und den Unwillen, die Kontrolle über mein Leben loszulassen. Alles, was ich auf diese Weise unterwegs entdecke, kann ich ins Licht bringen und zusammen mit Gott anschauen, wenn ich will und es wage. Es ist ein Weg der Freiheit, auf den ich mich begebe. Bekennen und sich versöhnen mit dem, was gewesen ist. Vergebung empfangen und vergeben. Demut lernen. Um Vergebung bitten dort, wo ich ärgerlich geworden bin. Wege suchen, um respektvoll, wertschätzend und versöhnt miteinander zu leben. Das alles ist nicht einfach, aber es bewahrt mich vor falschen geistlichen Ambitionen.
(Bei diesem Text bin ich inspiriert worden von Lena Bergström, einer schwedischen Pfarrerin)

"Lieber Gott: Manchmal fällt es mir schwer, alles mit dir zu teilen. Lieber möchte ich allein mit meinen Schwierigkeiten fertig werden und selber für mich sorgen. Befreie mich von dieser falschen Sicht, denn du bist ja da und meinst es gut. Du kennst, hörst und siehst mich wie niemand sonst. Ich darf deine vielen Zeichen der Liebe wieder neu erkennen und schätzen lernen. Darum gehe ich mit dir in die Nacht und den neuen Tag hinein. Amen"

Labels: , , , , , , , , , , , , ,