Mittwoch, Januar 26, 2011

Die Hunde vom Ararat


Der Untertitel dieses 374seitigen Buches lautet: Eine armenische Kindheit in Amerika. Es ist auf deutsch im Paul Zsolnay Verlag Wien im Jahr 2000 unter der ISB-Nummer 3-552-04951-7 erschienen; "Black Dog of Fate. A Memoir." heisst die Originalausgabe, die 1997 bei Basic Books New York aufgelegt wurde.

Der Autor Peter Balakian wurde 1951 als Sohn von armenischen Einwanderern in New Jersey USA geboren. Wie viele Amerikaner erlebte er eine unbeschwerte Kindheit in einer typischen, wachsenden Vorstadt der Sechzigerjahre. Seine gebildeten Eltern wollten den amerikanischen Traum leben und deshalb nicht aus dem gesellschaftlichen Rahmen fallen. Nur das Zuhause war etwas anders, denn hier kümmerte sich seine Grossmutter rührend um ihn und sprach zwischendurch liebevoll in armenischer Sprache. Das rührte ihn zwar irgendwie an, blieb ihm aber auch zutiefst fremd und unerklärlich. Manchmal, in vertrauten Momenten beim gemeinsamen Kochen und Backen, begann sie einfach zu erzählen und sagte: „Es war einmal oder war nicht, vor langer Zeit.“ Worte waren für die Grossmutter wie Freunde, die ihr in schlechten Zeiten Gesellschaft leisteten (Seiten 21 und 22).

Nach seinen Schuljahren ging Balakian an die Universität, studierte im unruhigen Nachgang von 1968 Literatur und begann zu schreiben. Erst als Erwachsener und nach dem Tod seiner Grossmutter kam er ihrem streng gehüteten und eingeschlossenen Geheimnis auf die Spur: Denn sie überlebte 1915 als eine der wenigen den Völkermord der Türken an den Armeniern. Doch davon erzählte sie ihm nie, denn sie konnte nicht über den „aghet“, die grausame und traumatische Verwüstung, reden.
Peter Balakian begann, sich für seine Herkunft zu interessieren und entdeckte in alten Dokumenten die unsägliche Leidensgeschichte seines armenischen Volkes, die im Genozid von 1915 endete. Das armenische Volk wurde damals von den Jüngtürken und ihren Helfershelfer aus seiner alten Heimat vertrieben. Die Männer wurden gefangen genommen, meist schnell hingerichtet oder ausserhalb der Dörfer und Städte systematisch ermordet. Frauen und Kinder wurden schutzlos in Richtung syrischer Wüste geschickt, sie wurden aber unterwegs ausgeraubt und vergewaltigt, und viele starben wegen diesen Strapazen und Entbehrungen. Nur wenige erreichten das sinnlose Ziel, Balakians Grossmutter war eine davon.
Auch ein Verwandter, Bischof Krikoris Balakian (1873-1934), konnte aus einem Gefangenenlager fliehen und schrieb später das Buch „Armenisches Golgatha“, das aber erst 1977 neu aufgelegt wurde.

Peter Balakian beschreibt die Ereignisse von damals ausführlich, verständlich und konkret, so dass einem zwischendurch fast der Atem stockt. Er zeichnet die Geschichte seiner Familie nach, interpretiert aber auch deren Schweigen und die Leugnung durch viele Türken und deren Einflussnahme auf Geschichtsschreibung und internationale Politik. Auf Seite 267 schreibt er treffend: „Und nach 1923 kümmerte sich niemand mehr um Armenien. Für die Armenier war es eine Pille, zu bitter, als dass sie sich hätte schlucken lassen, ein Schmerz, zu stark, als dass er sich hätte fühlen lassen.
Einer der Hauptgründe, weshalb es sich lohnt, dieses erschütternde Werk zu lesen, ist Balakians Umgang mit Erinnerungen und seine Beschreibungen der traumatischen Erfahrungen und dem Schweigen der Grossmutter. Er nennt diesen Vorgang „die steinerne Tür zu ihrer eigenen Vergangenheit schliessen“ (Seite 366). Judith Herman, die sich intensiv mit Trauma und Genesung auseinandergesetzt hatte, prägte den Satz: „Die bestimmende Reaktion auf Gräueltaten besteht darin, sie aus dem Bewusstsein zu verbannen. Das ist die Bedeutung des Wortes „unsäglich““. Auf Völkermord können Direktbetroffene eigentlich nur mit Betäubung reagieren, das tat Balakians Grossmutter mehr als zwei Jahrzehnte lang, was sich gegen aussen in Schweigen manifestierte. Nur zwischendurch tauten ihre eingefrorenen Emotionen bei ihrem Enkel ein wenig auf. Aber Peter Balakian ist mit diesem Buch zum respektvollen und würdigen Sprachrohr seiner schweigenden Grossmutter geworden! Ein wirklich informatives Buch über Armenien, Anatolien und Amerika, aber auch über Ahnenforschung, Achtundsechzig und Achtsamkeit.

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Sonntag, Januar 23, 2011

Vom Gewissen - wie es gebildet wird und wirkt


„Das Ziel der Unterweisung ist: Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.“ 1. Timotheus 1,5

Habt Ihr schon viele Predigten über das Gewissen gehört? Ich jedenfalls nicht, obwohl das Gewissen damals und heute eine wichtige Angelegenheit ist und doch jeder eines hat! Hier im Text des Paulus ist die Liebe das wichtigste, die aber auch von einem guten Gewissen genährt wird. Und über dieses Gewissen möchte ich heute reden:
Das Wort „Gewissen“, griechisch „syneidäsis“, kommt als Begriff ungefähr dreissig Mal im NT vor. Es könnte aber auch mit Bewusstsein, Gewahrwerdung und Mitwisser übersetzt werden. Vor allem der gebildete Paulus gebrauchte es in seinen Briefen recht häufig (Römer, Korinther, Timotheus, Titus und Hebräer).
Johannes dagegen verwendete stattdessen „Herz“, so wie es im AT, bei den Juden und Jesus gebräuchlich war. So steht in 1. Johannes 3,19b&20: „Und vor ihm werden wir unser Herz beschwichtigen, wenn unser Herz uns verurteilt, denn Gott ist grösser als unser Herz und weiss alles.“
Im AT galten zudem die „Nieren“ noch stärker als eigentlicher Ort oder Organ des Gewissens. David drückte dies ein paar Mal in den Psalmen so aus, beispielsweise in 26,2: „Prüfe mich, Jahwe, und durchforsche mich, erprobe mich auf Nieren und Herz.“

Gerade bei der Vorbereitung auf diese Botschaft fiel mir erneut auf, dass es nicht nur ausdrückliche (explizite) Bibelstellen zum Gewissen gibt, sondern auch umschreibende (implizite) Texte, die den Umgang mit dem Gewissen und Gewissensfragen beschreiben. Das gilt übrigens für andere Themen auch. Das Gewissen taucht erstmals in Genesis zwei und drei auf beim „Baum der Erkenntnis von gut und böse“ und dessen Frucht. Auch bei Jesus spielt es eine wesentliche Rolle, mir kommt das reine Herz in der Bergpredigt, Gleichnisse und Begegnungen im Lukas- und Johannesevangelium in den Sinn. In Johannes 21 wird beschrieben, wie Jesus den beschämten Jüngern begegnet und Petrus mit dem schlechtem Gewissen befreit. In der Apostelgeschichte behandelt Kapitel 15 mit dem Apostelkonzil in Jerusalem auch Gewissensfragen, ebenso Paulus im Römer- und 1. Korintherbrief, wo es um Reinheit, Gesetz, Essen und Rücksichtnahme geht.

Was ich heute besonders herausschälen und erhellen möchte, ist Entstehung und Wirkung des Gewissens. Dazu habe ich viel vom Missionologen Hannes Wiher gelernt, der über zwanzig Jahre in Afrika tätig war. Gerade dort hat er erlebt, dass die Menschen häufig anders reagierten als Europäer. Herausgefunden hat er, dass sie über ein anders geprägtes Gewissen verfügen. Ueber diese unterschiedlichen Gewissensformen möchte ich nun reden. Leider gibt es zusätzlich noch Menschen, die über gar kein ausgebildetes Gewissen verfügen, weil sie keine Erzieher hatten und somit keine Werte vorgelebt erhielten. Das ist eine ganz gravierende Missbildung, die schwer zu korrigieren ist.

Viele Mittel- und Nordeuropäer, besonders Protestanten und Pietisten, verfügen über ein sogenannt „schuldorientiertes“ Gewissen. Sie wurden von einzelnen Personen, der Kleinfamilie, erzogen, die nach gleichen Normen und Werten gelebt und gehandelt hatten. Das Kleinkind konnte dank dem diese Regeln verinnerlichen und das Gewissen wurde festgelegt. (Mit dem Gewissen ist es ähnlich wie mit der Sprache, es ist eine Anlage da, die aber in den ersten Lebensjahren ausgebildet und ausgefüllt werden muss, sonst verkümmert es!)
Wenn nun das Kind die Norm verletzt, beginnt es ein Schuldgefühl, ein „schlechtes Gewissen“ zu empfinden! Dies passiert auch, wenn der Erzieher nicht mehr anwesend ist. Das ist zwar unangenehm, aber wichtig für die Bewältigung und Entwicklung. Durch Rechtfertigung, Schuldbekenntnis und/oder Korrektur bekommt es wieder ein „gutes Gewissen“. Das schlechte Gefühl ist weg, die Schwierigkeit ist bewältigt, und alles ist wieder gut! Das ist eine gute Lösung, bei der auch konstruktive Kritik, persönliches Lernen und Heiligung Raum gewinnen und möglich sind.
Ein Problem bleibt jedoch, denn das Gewissen ist durch den „Sündenfall“ (mir gefällt besser: „Beziehungszerfall“ nach Manfred Seitz) nicht mehr die objektive, unverfälschte Stimme Gottes und kann daher auch zu überempfindlich und einseitig werden, gerade bei ängstlichen, sehr gewissenhaften Menschen! Man wird in einzelnen Dingen und Themen zu detailversessen, pingelig oder pharisäerhaft, zu zwanghaft oder rechthaberisch. Ich muss immer alles richtig machen und alles muss sofort in Ordnung gebracht werden. Doch Rettung, Gerechtigkeit und geistliches Leben beruhen auf erfahrener Gnade Gottes und unverdienter Liebe, deren ich nie würdig sein werde und entsprechen kann und sie trotzdem von Gott erhalten habe und bekomme! Jesus spricht sich klar gegen pharisäische Haltungen aus (in der Bergpredigt Mt 7,12 „Splitter im Auge“ und in Lk 18,21: Der reiche Mann hat alle Gebote gehalten und trotzdem fehlt ihm etwas, nämlich der Schatz im Himmel). Ebenso wendet sich Paulus in seinen Briefen gegen Gesetzlichkeit (Rö, 1Ko 8,1-11,1; Gal, etc.).

Die meisten Menschen im Süden und Osten hingegen kennen obgenannte Gewissensform kaum, weil sie anders erzogen wurden und in einem andern Umfeld leben. Hier herrscht die Grossfamilie, bei der viele Personen zur Erziehung der Kleinkinder beitragen. (Das gleiche gilt übrigens auch für Kibbuz und Kinderkrippen. Die jüngere Generation im Westen ist daher viel gruppenbezogener und schamorientierter, das verändert Gesellschaft und Gemeinden).
Wenn die Mutter da ist, gilt x, die Oma dagegen bestimmt y und die Tante sagt z. So kann das kleine Kind die Normen und Regeln nicht mehr verinnerlichen. Es stellt sich darauf ein, dass der Massstab personenbezogen ist und bleibt, ein "schamgeprägtes" Gewissen entsteht. Eine Normverletzung ist ein Versagen gegenüber der anwesenden Person und bewirkt ein Schamgefühl oder ein Gesichtsverlust. Die Normalisierung geschieht durch Versöhnung oder Vermittlung einer Person, auf die man angewiesen ist. So bestimmt also die Grossfamilie, der Clan, die „Group“ die gültigen Werte, die gelebte Ethik. Gut und richtig ist, was die Gruppe gutheissen kann, nicht was individuell und objektiv wahr und richtig erscheint.

Aufgrund meiner Beschreibung könnte man meinen, dass ein schuldorientiertes Gewissen besser sei als ein schamgeprägtes Gewissen. Doch dem ist nicht so, denn das hat mehr mit der eigenen Kind-heit, der erfahrenen Erziehung und Kultur zu tun, in der wir leben! Unser Ziel sollte sein, beide Gewissenformen zu kennen und vom Heiligen Geist in uns ausbilden zu lassen. Die Basis dazu ist, dass das Blut Christi unser Gewissen von toten Werken reinigt, dass wir dem lebendigen Gott dienen (Heb 9,14b). Und Denn die Bibel und speziell Jesus kennen Beispiele für beide Ausformungen:
· Adam und Eva schämen sich nach dem Essen der verbotenen Frucht (Genesis 3)
· Jesus beschämt und stösst die gesetzestreuen, einseitigen und teilweise heuchlerischen Pharisäer mehrmals vor den Kopf
· Jesus erzählt in den Gleichnissen von Schuld und Scham. Beispielsweise in Lukas 15,21ff bekennt der jüngere Sohn dem Vater: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heissen.“ Der Vater dagegen spricht nur von Entfernung der Schande, Versöhnung und Wiederherstellung (und nicht von Sünde und Schuld!): „Holt schnell das beste Kleid heraus und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an die Hand und Schuhe an die Füsse...“
· Jesus ist voll Gnade und Wahrheit (Joh 1,14 & 17)
· Jesus ist für Schuld und Scham (Schande, Unehre, Zerstörung der Gottesebenbildlichkeit) der Menschen gestorben, er vergibt unsere Sünde und stellt uns wieder her (Ehre, Wert, Würde)

Einige Fragen zum Schluss:
· Wie bin ich aufgewachsen, wie ist mein Gewissen geprägt worden? Bin ich eher auf Schuld oder auf Scham ausgerichtet? Bin ich vielleicht sogar übermässig gewissenhaft?

· Ist Jesus sowohl für meine Schuld als auch für meine Scham gestorben, gibt er mir Vergebung und Ehre? Oder bin ich einseitig und habe gar einen blinden Fleck?

· Wie gehe ich mit Menschen um, die eine andere Gewissensprägung haben? Anerkenne und verstehe ich unterschiedliche „Kulturen“ an, gerade auch in Beziehungen, Kleingruppe und Gemeinde?

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Samstag, Januar 01, 2011

Rettet die Christen im Orient!

Im November letzten Jahres war ich in Milano. Milano gilt nicht gerade als religiöse Hochburg, sondern als Wirtschaftszentrum Italiens. Was mich am Bahnhofsplatz beeindruckt hatte, war folgendes Plakat an einer prominenten Hochhausfassade:


Genaue Uebersetzung: "Retten wir das Leben der Christen im Irak und auf der ganzen Welt!" Wie wahr und profetisch! Hans-Peter Raddatz meint sogar, dass heute jährlich 160'000 Christen und Juden durch islamische Gewalt zu Tode kommen.

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Ghiffa und sein Sacro Monte


Ghiffa liegt am oberen Teil des Lago Maggiore zwischen Cannero und Intra. Eigentlich ein unbedeutendes Strassendorf am See, aber der Sacro Monte liegt einige Hundert Meter oberhalb auf einer natürlichen Terrasse umgeben von Kastanienwäldern. Bei meinem Besuch hatte es sehr wenige Besucher, vielleicht auch deshalb weil er etwas abseits wichtiger Städte, Verkehrswege und Touristenströme liegt. Aber er ist sehr schön gestaltet und gepflegt, ohne überladen und übertrieben zu wirken.

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