Freitag, August 06, 2010

Herabsteigender Gott - zunehmende Offenbarung


Gottes Offenbarungen, wie sie in der Bibel, insbesondere im Alten Testament, aufgezeichnet sind, sind erstaunlich vielfältig und spezifisch zugleich. Sie gehen vom allgemeinen Gottesbegriff „Elohim“ über seine Macht als „El Schaddai“ bis zu seiner liebevollen Herabneigung und Zuwendung zu den Menschen, gerade auch zu wenig geachteten Frauen (Hagar, Hanna, etc.) . In den Profeten verstärkt sich diese mitfühlende, freundschaftliche, eindringliche und eifernde Zuwendung Gottes noch im Bild der Mutter (in Jesaja 49) und des Ehepartners (in Jesaja 54, Hosea 1-11). Danach ist die Offenbarung und Fleischwerdung Gottes in seinem Sohn Jesus Christus nicht mehr weit entfernt!

Der biblische Gott hat also zahlreiche Namen, Bezeichnungen und Facetten, aber nur einen Eigennamen: „JHWH“, der mit Jahwe oder seltener und fälschlicherweise mit Jehova vokalisiert wurde. Die Juden hatten damals in ihrer Konsonatenschrift keine eigentlichen, vollständigen Vokale, erst die Masoreten im Mittelalter „vokalisierten“ die hebräische Schrift. „JHWH“ ist kaum übersetzbar, die zentralste Bedeutung wird allgemein mit „ich bin (da)“ wiedergegeben. Sie weist darauf hin, dass Gott einfach ist, gegenwärtig, unaussprechlich, unerklärlich, unergründlich und auf nichts zurückzuführen. „Seine Gegenwart nimmt zu, je mehr seine Abwesenheit erfahren und anerkannt wird“ (Miskotte). Dieser Name wurde erstmals Mose beim brennenden Dornbusch in der Wüste offenbart (Ex/2 Mo 3, 14).
Aus Scheu und Ehrfurcht vor Gott, seiner Grösse und Heiligkeit wurde JHWH von den Juden später nicht mehr ausgesprochen, stattdessen wurde "adonai" und heute „ha-schem“ (der Name), „ha-makom“ (der andere Ort oder Seite nach Esther 4,14) oder „adoschem“ gelesen. In unseren Bibelübersetzungen wurde JHWH oft nur reduziert und undifferenziert mit "Herr" übersetzt, das aber eher nur für „adonai“ angemessen wäre. Dadurch ging viel vom Reichtum der Offenbarung und auch der hebräischen Sprache verloren und griechische philosophische Einflüsse nahmen zu. Zudem sind Name und Wesen im hebräischen Denken weitgehend identisch. Die hebräische Ausdrucksweise lebt auch stark von Bildern und Parallelismen. Das sind Wiederholungen, die gleiche Sachverhalte und Aussagen durch andere Worte machen und dadurch nochmals bestärken und verstärken wollen. Besonders in den Psalmen findet man zahlreiche dieser Parallelismen.

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Donnerstag, August 05, 2010

Robiei

Was den Tessin auszeichnet, sind grosse klimatische Gegensätze. Man kann innert Stunden wechseln von mediterranem Flair mit Palmen, Strand und See zu hochalpinem Charakter mit Felsen, Gletscher und Schnee. Diesen Wechsel vom warmen, pulsierenden Leben in die kühle Einsamkeit mache ich regelmässig. Letzten Monat war ich für einen halben Tag in Robiei, das im Cristallinagebiet zuhinterst im Maggiatal liegt. Es ist zu Fuss oder mit einer imposanten Seilbahn ab San Carlo im Bavonatal erreichbar. Von der Bergstation eröffnet sich bei schönem Wetter eine weite Sicht auf den mächtigen Basodinogletscher. Und da wollte ich hin (und kam auch an...)



Was ich unterwegs sah, kaum war ich vom Wanderweg abgewichen, möchte ich nicht vorenthalten. Auf gut 2'000 Meter über Meer traf ich unerwartet auf ein Rudel mit etwa zwölf Steinböcken, die ich auf wenige Meter Distanz minutenlang beobachten konnte...


Einige Hundert Meter unter dem Gletscher haben sich erst kürzlich letzte, farbenfrohe und widerstandsfähige Pflanzen einen Platz in den Steinen erobert...

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Mittwoch, August 04, 2010

Gott und Natur (Seiten 421-458)


„Höchste Macht in Verbindung mit höchster Güte ist ein Attribut, das Verehrung nahe legt.“
Dieses „Königsmodell“, dass Gott allmächtig, allwissend und herrschend sei, wurde vor allem von Thomas von Aquin portiert, der auf aristotelische und biblische Quellen zurückgegriffen hat. Auch reformatorische wie Johannes Calvin und dialektische Theologen wie Karl Barth vertraten die Herrschaft Gottes über die Natur. Sie steht mit einigen Zügen des biblischen Zeugnisses im Einklang, jedoch nicht mit allen. Nicht oder schwer vereinbar sind nach Barbour:
· Freiheit des Menschen
· Das böse und das Leiden
· Barmherzigkeit, Fürsorge und Mitgefühl Gottes
· Liebe und Hingabe Christi
· Fortdauernde Schöpfung und Evolution
· Zufall in der Natur

"Wenn Gott die Welt nicht weiter erhalten würde, so würde sie ins Nichts zurückfallen." So sieht Barbour Gott als Bestimmer der Unbestimmtheiten. Gott stattet seine Geschöpfe mit den Fähigkeiten aus, Dinge zu verursachen. Gott ist auch Informationsübermittler, nach Polkinghorne ist Gottes Handeln energielose Informationszufuhr. Das hebräische Verständnis von „Wort“ (davar) schliesst auch Schöpfungsmacht ein. Dann beschränkt sich Gott zugunsten der Freiheit und Entwicklung der Menschen. Künstler- und Eltern-Kind-Analogien verdeutlichen dies; zudem verspricht uns Gott nicht, dass wir vor den Uebeln des Lebens geschützt werden. Vielmehr verspricht er, dass er treu ist und uns Durchhaltevermögen und Einsicht geben wird. Wirkliche Liebe geht immer mit Verletzlichkeit einher, authentische Liebe ist prekär und birgt das Risiko der Ablehnung. Sie fordert Anteilnahme und macht verwundbar (nach W.H. Vanstone). „Leben und Sterben Christi enthüllen die umwandelnde Macht der Liebe. Es ist uns freigestellt, sie zu erwidern, denn die Gnade ist nicht zwingend.“
Letztlich ist Gott der Handelnde, aber Handlung durch Absicht ist etwas anderes als Wirkung durch Ursache. Denn Absichten können nie direkt wahrgenommen werden. Gott handelt im Rahmen und durch die Struktur der Natur und den Verlauf der Geschichte. Die Entstehung des Lebens, das Aufkommen der Menschen und die Entwicklung der Kultur treten als Phasen einer Gesamthandlung auf, die auf grössere Bewusstheit, Freiheit und Gemeinschaft zielt. Unsere Wahrnehmung und Empfänglichkeit ist vermutlich unterschiedlicher und eingeschränkter als Gottes Wirken und Eingreifen (nach Maurice Wiles).

Prozessdenken oder Prozessphilosophie führte zum Prozesstheismus, der aber für mich eher zu abstrakt und spekulativ bleibt. Hier wird Gott als schöpferischer Partizipierer gesehen, als Führer einer kosmischen Gemeinschaft, im Extremfall wird der Kosmos als Gottes „Leib“ angeschaut.
Barbour bleibt aber auch hier zurückhaltend und warnt vor verfrühten und auferlegten Synthesen. Unsere Bemühungen sollen vorläufig, erforschend und offen sein. Er ist auch ein Vertreter des kritischen Realismus, worin alle Modelle als partiell und beschränkt angeschaut werden. Keines liefert ein vollständiges oder angemessenes Bild der Realität, wir brauchen also verschiedene Modelle. Am Schluss schreibt er: „Komm, Heilige Geist, erneuere die ganze Schöpfung. Er wird uns helfen, den Sinn für das Heilige in der Natur wieder zu entdecken, das heute ein grosses Umweltengagement motivieren kann."

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Prozessdenken (Seiten 388-420)



Wir leben heute in einer Zeit konkurrierender Paradigmen. Das Mittelalter hatte noch eine feste und hierarchische Ordnung: Gott – Mann – Frau – Tiere – Pflanzen – unbelebte Materie. Die Neuzeit, die nach Barbour mit Newton begonnen hat, brach diese Ordnung auf, sie war deterministisch, atomistisch und reduktionistisch. Die Welt und das Universum wurde wie eine riesige Maschine angeschaut. Im 20. Jahrhundert zerbrach auch diese Sicht, denn es gelten sowohl Gesetzmässigkeit als auch Zufall. Die Komplexität der Welt zwingt uns zu einer ganzheitlichen, ökologischen, relationalen und systemischen Sichtweise. Das Universum als Netzwerk und Gemeinschaft zu sehen, erscheint uns angemessener. Vielstufigkeit hat die duale Weltsicht abgelöst.
In diesem Kapitel zitiert und verarbeitet Barbour oft den britischen Mathematiker und Philosophen Alfred North Whitehead, der als Begründer des Prozessdenkens gelten kann, und macht dabei folgende Aussagen: „Jedes Wesen ist Gemeinschaftsprodukt vergangener Ursachen, göttlicher Absichten und der eigenen Aktivität des neuen Wesens... Vergänglichkeit, Unbestimmheit und Ganzheitlichkeit sind Merkmale der subatomaren Welt... Naturwissenschaften sind beschränkt, selektiv und abstrakt; individuelles Erleben in der Natur können sie nicht ausmachen, kein Ziel und keine Kreativität in der Natur finden. Deshalb sind sie ergänzungsbedürftig durch Einbezug von Metaphysik und Erfahrung.“

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Die Natur des Menschen (Seiten 351-387)


Sowohl Aehnlichkeiten als auch Unterscheide des Menschen zu den Tieren sind gross. Es gibt eine ungefähr zwei Millionen Jahre alte Menschheitsgeschichte, die mit dem „Homo habilis“ begonnen hat. Zum Status des menschlichen Geistes schreibt Barbour auf Seite 358: „Wir wissen ungefähr, wie eingehende Information von Sinnesorganen verarbeitet werden und wie ausgesandte Signale die motorische Kraft der Muskeln kontrolliert. Aber wir wissen sehr wenig darüber, was dazwischen abläuft; wie die hereinkommenden Information mit dem Gedächtnis, den Gefühlsreaktionen und dem Verstand abgestimmt wird. Wir wissen, dass die linke Hemisphäre des Gehirns meistens mit analytischem, systematischem, abstraktem und logisch geordneten Denken verbunden wird... die rechte Hemisphäre eine grössere Rolle beim intuitiven, konkreten, kreativen und ganzheitlichen Denken spielt (Mustererkennung, künstlerisches Schaffen und Religion nach Eugene d’Aquili)."

Barbour beschreibt sehr tiefsinnig, wie die Bibel die Natur des Menschen beschreibt, nämlich dass wir keine Einzelpersonen sind, die ein Selbst besitzen, sondern dass uns unsere Beziehungen, unser soziales Selbst, ausmachen. Denn Sprache und symbolisches Denken wären ohne andere Menschen unmöglich. Eine grundsätzliche positive Einschätzung der menschlichen Natur aufgrund des „Imago Dei“ hat das Judentum über Jahrhunderte hinweg gekennzeichnet.
Der Sündenfall sei als historisches Ereignis mit der Evolutionstheorie nicht vereinbar. Trotzdem gelingt es Barbour Sünde treffend zu definieren: Die Sünde setzt sich aus Selbstsucht und Ungehorsam gegenüber Gott zusammen, später kommt soziale Ungerechtigkeit dazu. Wenn wir sündhaft soziale Strukturen erben, werden Ungerechtigkeit und Unterdrückung fortbestehen. In Anlehnung an die amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr und Paul Tillich definiert er Sünde auch als Entfremdung von Gott durch Selbstgenügsamkeit, von unserem wahren Selbst durch Schein und von anderen Menschen durch Ichbezogenheit. Sünde ist Verletzung der Beziehungen und des Eingebundenseins. Dazu gehört auch die Entfremdung von der Natur durch Leugnung ihres Eigenwerts und unserer Abhängigkeit. Diese Gebrochenheit und Gespaltensein kann nur durch Versöhnung, Heilung und Ganzheit überwunden werden. Auferstehung wird den ganzen Menschen betreffen als psychosomatische Einheit, er lehnt einen Leib-Seele-Dualismus vollständig ab. Die Rolle von Jesus Christus sieht er vielfältig:
· Verwirklichung wahrer Menschlichkeit
· Kraft zur Versöhnung geben
· Gesalbter – Messias – Christus (hebräische Sicht)
· Logos – Wort – göttliche Weisheit (griechische Sicht)
· Einzigartige Beziehung zu Gott (heutige Sicht)

Christi Tod hat zwei Seiten: Die objektive Interpretation, die Anselm vorschlug, war Gerechtigkeit Gottes für die Sünden der Menschen herstellen. Die subjektive Interpretation vertrat Abelard, indem er Jesus mehr als Beispiel sah. Barbour definiert Erlösung mit Erfüllung der Beziehungen.
Die Bedrohungen der Zukunft werden Nukleartechnologie, Gentechnik und Informationstechnologie sein. Dagegen empfiehlt Barbour Gerechtigkeit, Erhaltung der Umwelt und Partizipation.

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