Freitag, November 02, 2007

Ist der Mensch eine würdige Hülle?

Da schuf Gott den Menschen in einer seiner würdigen Hülle,
in Gottes würdiger Hülle hat er ihn geschaffen.“ Genesis 1,27

Das ist einer der bekanntesten Sätze am Anfang der Bibel gemäss der Uebersetzung des Juden Samson Raphael Hirsch. Es geht hier um die Erschaffung des Menschen. Im hebräischen Grundtext steht für „würdige Hülle“ der Begriff „zälam“. Dieser Begriff kann auch mit folgenden Worten ausgedrückt werden: Bild, Ebenbild, Figur, Relief oder Standbild. Er wird nicht nur für den Menschen, sondern auch für Götzenfiguren verwendet, das kommt zum Beispiel im Buch des Profeten Daniel vor. Dass der Mensch ein Bild oder Ebenbild Gottes ist, ist vielen eigentlich gut bekannt und geläufig. Die möglichen Folgen zeigen sich in der Gemeinschafts-, Beziehungs-, Kommunikationsfähigkeit, Kreativität und Produktivität des Menschen. Doch oft bleibt es im abstrakten Wissen stecken und hat wenig Auswirkung für unsere Lebenspraxis und den Umgang mit den Menschen, denen wir begegnen oder mit denen wir zu tun haben. So finde ich es hilfreich, gewohnte Formulierungen abzustreifen und neue Begriffe zuzulassen. Das Ungewohnte kann helfen, neue Gedanken und Taten zu alten Themen zu erhalten:

Der Mensch ist von Gott geschaffen und damit eine würdige Hülle Gottes und daher nicht nur Produktionsfaktor und schon gar nicht Wegwerfprodukt!

Damit würdigt Gott jeden Menschen ausserordentlich, auch in Psalm 8 spricht er davon, dass der Mensch grossen Wert besitzt. Gott schuf generell nichts, ohne dass er es für gut befunden hätte. Und den Menschen befand er sogar für sehr gut! Bevor wir jeweils vom „Sündenfall“ zu sprechen beginnen, sollten wir diese grundlegende Tatsache beachten und bewerten.
Den „Sündenfall“ sollten wir danach auch nicht verschweigen, aber er lässt sich aus einer etwas anderen, weniger moralischen Perspektive anschauen: Manfred Seitz, der deutsche Theologe, spricht treffend vom „Beziehungszerfall“ im Paradies. Durch das bewusste Nichtbeachten von Gottes Anweisungen gab er die direkte, ungetrübte Beziehung zu Gott auf und Scham, Schuld und Distanz stellte sich nun ein. Einige Juden sprechen in diesem Zusammenhang vom Weg des Todes, den die Menschen gegangen waren.
Aus Erde, hebräisch „adam“, wurden die Menschen geschaffen und zu Erde werden sie wieder zerfallen, sobald Gott den Atem oder Geist, hebräisch „ruach“ wegnimmt. Wir sind also äusserst kurzlebig und vergänglich. Das wird im Buch Hiob (in Kapitel 5, 7, 10, 12, 21-26, 34 und 38), in den Psalmen (in Kapitel 39, 49, 62, 90, 94, 103, 104 und 144), im Prediger 3 und Jesaja 38 und 65 beschrieben. Ausser im Buch Daniel gibt es daher im Ersten Testament kaum einen Hinweis auf ein ewiges Leben der Menschen im Himmel bei Gott.

Das ist etwas vom ganz Neuen, das der herabgestiegene und menschgewordene Gott, Jesus Christus, verkündigt und versprochen hat und uns im Johannesevangelium überliefert worden ist. Dieses ewige Leben bezieht sich aber nicht primär auf eine „unsterbliche“ Seele, die Platon, der grosse griechische Philosoph propagiert hatte, sondern auf den ganzen Menschen! Deshalb ist Jesus auch auf die körperlichen Bedürfnisse der Menschen eingegangen, denen er begegnet war. Und auch Paulus hat, vor allem in den Korintherbriefen, vom Leib als Tempel des Heiligen Geistes und von der Auferstehung des Leibes gesprochen!

Behandeln wir die andern und uns selber doch wieder vermehrt als würdige Hülle! Das ehrt Gott und drückt auch ihm gegenüber Dankbarkeit und Respekt aus. Die Antwort auf den unangemessenen Körperkult und Jugendwahn von heute heisst eben nicht Vergeistigung oder Vergeistlichung, sondern Hingabe an Gott und ein ganzheitlicher Lebensstil, der alle Bereiche des Menschlichen umfasst und einschliesst.
Zudem wird Gott in der Bibel oft mit menschlichen Eigenschaften und Körperteilen beschrieben, um sein Herabsteigen und seine Zuneigung zu uns zu dokumentieren, so dass wir sie auch annehmen können! Bereits im Alten Testament gibt es über hundert Begriffe für den menschlichen Körper, wovon ganze 27 auch auf Gott bezogen werden. Der häufigste Begriff, der dabei auch für Gott gebraucht wird, ist „rächäm“, was Eingeweide, Gebärmutter oder Mutterschoss heisst, aber gleichermassen auch Barmherzigkeit, Mitgefühl oder Mitleid bedeutet.
Auf dieses tiefe Erbarmen treffen wir bei Jesus selbst, nachzulesen im Matthäus- (9,36; 14,14 und 20,34), im Markus- (1,41; 6,34) und im Lukasevangelium (7,13). Drei zentrale Gleichnisse, die Jesus seinen Zuhörern erzählt hatte, haben diese bewegende Barmherzigkeit zum Thema: Der barmherzige Herrscher (Mt 18,27), der barmherzige Samariter (Lk 10,33) und der barmherzige Vater (Lk 15,20). Möge Gottes Barmherzigkeit uns erreichen und uns wiederum in Bewegung setzen!

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