Dienstag, April 09, 2019

Tom Burgis: Der Fluch des Reichtums

The Looting Macine heisst Burgis Erstlingswerk, das 2015 bei Collins in London erschienen ist. 2016 kam es bei Westend in Frankfurt unter dem Untertitel heraus: Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas (ISBN 978-3-86489-148-99). Kurz zum Autor: Tom Burgis war Auslandsreporter der Zeitung Financial Times im südafrikanischen Johannesburg und im nigerianischen Lagos. Er lebt in London, wo er ein Team für investigativen Journalismus leitet und als Kommentator für Radio- und Fernsehsender tätig ist. Der Fluch des Reichtums ist ein ambitioniertes Erstlingswerk. Es ist ein anspruchsvolles und herausforderndes Buch über Afrika, weil es einen tiefen Einblick in Mechanismen von Potentaten, Politikern, Unternehmer und Menschen gibt, die Widerstand leisten gegen Ausbeutung, Korruption und Ungerechtigkeit. Burgis hat dazu viele Afrikaner befragt, recherchiert und zeigt vorwiegend anhand konkreter Beispiele auf, welche fragwürdigen Vorgehensweisen und skrupellosen Machenschaften Konzerne, Staatsführer, Funktionäre und Berater anwenden, um an die wertvollen Rohstoffvorkommen in Afrika zu kommen und sich daran schamlos zu bereichern. Er gibt aber auch grundsätzliche Informationen über Afrika weiter, die es zu beachten gilt. So schreibt er auf Seite 17: Afrika hat 13 Prozent der Weltbevölkerung, generiert aber nur zwei Prozent des weltweiten Bruttoinlandproduktes. Hier lagern 15 Prozent der Rohölvorräte, 40 Prozent des Goldes und 80 Prozent des Platins des Planeten… Die reichhaltigsten Diamantenminen befinden sich in Afrika. Einer Berechnung zufolge beherbergt Afrika etwa ein Drittel aller Kohlenstoff- und Mineralressourcen der Welt. Dieser materielle Reichtum hat aber auch Kehrseiten, wie er auf Seite 97 schreibt, als er den englischen Ökonomen Paul Collier, der in Oxford lehrt, insbesondere zu Nigeria zitiert: Sobald der Anteil der Rohstoffrente acht Prozent des BIP eines Staates übersteigt, wächst die Wirtschaft eines Landes mit pluralistischem System im Durchschnitt jährlich um drei Prozentpunkte langsamer als die Wirtschaft einer ansonsten vergleichbaren Autokratie. Demokratie mit Wahlen und Rechenschaftspflicht kommt kaum zum Tragen, dagegen ein weit entwickeltes Patronagesystem mit Selbstbereicherung und Plünderung. Dieses dabei erworbene schmutzige Geld kann dann meistens nicht mehr offen und konstruktiv eingesetzt werden und verzerrt und schadet einer Volkswirtschaft. So gedeihen mafiaähnliche Organisationen und nichtstaatliche Stellen; die notwendige Infrastruktur, die allen dienen soll, Arbeitsplätze in Industrie und Landwirtschaft leiden. Ein Kapitel mit dem Titel Wenn Elefanten kämpfen, wird das Gras zertrampelt ist der Situation des westafrikanischen Staates Guineas gewidmet. Guinea, das heute demokratisch regiert wird, aber zugleich von einer ethnisch einseitig zusammengesetzten Elite geführt wird, verfügt über grosse Bauxit- und Eisenerzvorkommen. Die Firma Rusal, die dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska gehört, ist für den Abbau des Bauxits zuständig, was seit Jahren ohne grosses Aufsehen und weitgehend reibungslos zu funktionieren scheint. Dagegen wird ein riesiges Eisenerzvorkommen in Simandou von höchster Qualität, 110 Kilometer Länge und 2,4 Mia. Tonnen Umfang, das tief im Landesinnern liegt, noch nicht abgebaut, weil die 700 Kilometer lange Bahnlinie und ein entsprechender Hafen fehlen. Vorinvestitionen in der Höhe von bis zu 20 Mia Dollar wären nötig für einen professionellen, rentablen Abbau des hochwertigen Eisenerzes. Der Staat versucht mit dem Verkauf von Schürfrechten an Rohstofffirmen wie Rio Tinto, BSGR (Beny Steinmetz Group Resources) und Vale Einnahmen zu generieren, aber das Projekt kommt wegen politischen Unsicherheiten, rechtlichen Streitigkeiten und strategischen Überlegungen der Unternehmen nicht so richtig in Fahrt. Auch der China International Fund (CIF) hat mit Energie- und Infrastrukturprojekten in Guinea eine gute und starke Ausgangsposition geschaffen, um bei solchen Geschäften mitzuwirken. Die Bevölkerung jedoch ist arm geblieben, Infrastruktur, Gesundheitswesen und Bildung sind stark rückständig und mangelhaft. Noch heute haben die ehemaligen Kolonialmächte grossen Einfluss in Afrika. Erhellend ist, was Burgis auf Seite 172 zu Frankreich schreibt: Das französische System des Einflusses über Frankreichs ehemalige Kolonien geht auf Charles de Gaulle zurück… Das französische System in Afrika, das nach de Gaulles Tod (1970) vor allem von den Gaullisten fortgeführt wurde, entwickelte sich zu einem Netz von Rohstoffgeschäften, Schmiergeldkassen und Korruption, das durch seinen Spitznamen «Francafrique» treffend zusammengefasst wird… Die aus Norwegen stammende Pariser Ermittlungsrichterin Eva Joly deckte dieses System Ende der Neunzigerjahre auf und erschütterte damit das französische Establishment. Doch die Einschätzung zur heutigen Rolle Chinas, das inzwischen viel in Afrika investiert und tätig geworden ist, ist selbst in Afrika nicht unumstritten: Der nigerianische Gouverneur Lamido Sanusi sagte: China nimmt unsere Primärgüter und verkauft uns verarbeitete Ware. Das war auch der Kern des Kolonialismus (S. 184). Was Afrika heute fehlt, sind verantwortungsvolle, weitsichtige, unabhängige und unerschrockene Führungskräfte. Sie müssen dafür besorgt sein, dass genügend Erträge aus Rohstoffen gewonnen, gerecht verteilt und zweckmässig und effizient für die Allgemeinheit eingesetzt werden. In Sambia und in Kongo gehen zurzeit nur gerade 2,4 bis 2,5 Prozent der Exporterlöse des geschürften Kupfers an den Staat. Chinua Achebe, der nigerianische Literaturnobelpreisträger, hat es so ausgedrückt: Das Problem Nigerias ist schlicht und einfach ein Mangel an Führung (S. 261). Nach seinen langen Ausführungen nimmt Burgis auch seine Lesenden in Pflicht, denn er schreibt zum Schluss: Wenn wir in unsere Handys sprechen, unsere Autos betanken oder unseren Partnern einen Antrag machen, denken wir lieber nicht an die Mütter im Ostkongo, die Slumbewohner in Luanda oder die Bergarbeiter in Marange (Zimbabwe). Solange wir uns dafür entscheiden, unseren Blick von alldem abzuwenden, wird die Plünderungsmaschine weiterlaufen (S. 304). Und die nigerianische Musikerin Nneka hat in London ihrem Publikum zugerufen: Denkt nicht, ihr hättet nichts damit zu tun (S. 307). Mit diesem flammenden Aufruf endet Burgis informatives Werk.

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