Mittwoch, Dezember 14, 2005

Hektik als Wachstumskiller


John Ortberg, der bekannte geistliche Autor aus den USA schrieb in seinem Buch "Das Leben, nach dem du dich sehnst" folgendes:

Kurz nach meinem Umzug nach Chicago bat ich einen weisen Freund um geistliche Richtungsweisung. Ich beschrieb das viel zu hohe Tempo, in dem sich die Dinge in meiner gegenwärtigen Situation bewegten. Ich erklärte ihm den hektischen Rhythmus unseres Familienlebens und meine momentane innere Verfassung. Was, so fragte ich ihn, musste ich tun, um geistlich gesund zu sein?
Lange Pause.
"Du musst konsequent alle Hektik aus deinem Leben verbannen", sagte er schliesslich.
Wieder eine lange Pause.
"Okay, ich habe mir diesen Punkt notiert", erklärte ich ihm, schon etwas ungeduldig. "Das ist schon ganz gut. Was noch?"
Ich hatte noch eine Menge Dinge zu erledigen, ausserdem war es ein Ferngespräch. Ich wollte also so viel geistliche Weisheit wie möglich in so wenig Zeit wie nötig aus ihm herausquetschen.
Noch eine lange Pause.
"Es gibt nichts anderes", sagte er.

Hektik, Schnelllebigkeit und eine überhöhte Lebensgeschwindigkeit gehören meiner Meinung nach zu den grössten Gefahren der Gegenwart. Viele Menschen im Westen sind davon betroffen und diese schleichende Seuche macht auch vor uns Christen nicht halt. Wir lehnen zwar Gott nicht ab, aber wir haben fast keine ausschliessliche Zeit für ihn, weil wir zu beschäftigt sind.
Wer kennt das nicht: müde, erschöpft und ausgelaugt nach Hause kommen oder bereits dort sein, weil uns Alltag und Familienleben soviel abverlangen? Wir werden heute stark gefordert, aber das hat einen hohen Preis. Schnelllebigkeit ist niemals neutral. Früher bedeutete "fast living" nicht nur schnelllebig, sondern auch ausschweifend! Und das stimmt heute noch: ein zu schneller Lebensstil gefährdet unsere Beziehungen, beeinträchtigt unsere Gesundheit und bedroht unsere Seelen.
Genau gleich wie in der Physik erfordert eine hohe Lebensgeschwindigkeit letztlich viel mehr Aufwand, Energie und verursacht viel "Abgase" und Lärm. Es ist nicht mehr möglich im Flüsterton und entspannt miteinander zu sprechen. So auch im geistlichen Leben: die flüsternde Stimme des Heiligen Geistes wird übertönt und ist nur mehr schlecht zu hören oder wir sind zu angespannt.
Wenn wir Gott wirklich begegnen wollen, müssen wir die Geschwindigkeit herunterfahren. Jesus Christus hastet nicht einfach mit uns durchs Leben. Er ist nicht einer, der einfach alles mitmacht, sondern er fordert uns vielmehr immer wieder auf, umzukehren! Damit wir zur Ruhe kommen. Dort ist er besonders gegenwärtig und zeigt uns seine unendliche Liebe.
Das verlangt von uns Christen oft "nein" zu sagen! Ich verweigere dem Stress von Aussen den Zutritt zu meiner Personenmitte oder werfe diesen Eindringling möglichst bald wieder hinaus. Nein zu einer überhöhten Lebensgeschwindigkeit und zum Rasen durch Raum und Zeit. Die pulsierende Welt kommt auch ohne uns zurecht. Wir sind ganz gut im geölten Räderwerk zu ersetzen und das ist auch gut so. Selbst Gott ist nicht auf unsere Arbeit, Fleiss und Tüchtigkeit angewiesen. Aber er sehnt sich danach, dass wir als seine geliebten Kinder bei ihm sind und ihm wirklich zuhören.

"Errettet sein heisst, Gott in den Rhythmus meines täglichen Lebens hineinwirken zu lassen und ihm dann gehorsam zu sein. Das bedeutet, dass euer Leben anders ist, als es sonst sein würde." Daniel Taylor

Fragen zum Thema und zur Umsetzung in den Alltag:
 Ist mein Leben mehr von "sein" oder von "tun" und "haben" geprägt?
 Lasse ich mir von Gott wirklich etwas sagen oder laufe ich immer im gleichen Schema?
 Plane ich Zeiten mit Gott in meine Agenda ein?
 Was passiert, wenn ich einen Bus oder Zug verpasse oder gar ein Autopanne erleide?
 Erlaube ich mir zweckfreie Zeiten im Alltag?

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Dienstag, Dezember 13, 2005

Neues Leben wächst in Trümmern


Geistliches Leben ereignet sich mitten im Chaos unseres Lebens. Diese Wirklichkeit zu sehen und wahrzuhaben ist ein gewichtiger Meilenstein im Leben eines Menschen. So werden wir aufhören nach Perfektion zu streben, unsere Zerbrochenheit und Fehler akzeptieren und beginnen ernsthaft Gott zu suchen. Er ist derjenige, der mitten in unseren Brüchen und unserer Gespaltenheit da ist und dort auf uns wartet. Wir dürfen aufhören, Dinge nur zu spielen und etwas vorzutäuschen. Viele religiöse und fromme Leute tragen unmerklich eine Maske, haben eine zu hohe Selbstkontrolle und alles muss einfach stimmen. Das entspricht aber kaum der Lebensrealität. Es fördert das Verstecken von Fehlern und das Verdrängen von Sünden.
Etwas vortäuschen ist anfänglich unkompliziert, schnell und vor allem effizient. Es ist eindeutig leichter zu sagen "Es geht mir gut" als zuzugeben, dass ich eigentlich enttäuscht, frustriert, verunsichert oder verärgert bin. Ehrlichkeit erfordert eine grössere Investition an Zeit, weil ich mich wirklich mit mir selber und meinem Gegenüber auseinandersetzen muss. Zu oft bleiben wir im Alltag bei Oberflächlichkeiten und Täuschungsmanövern stehen. Sie sind wie Fett für Scharniere, damit keine störenden Geräusche auftreten und alles seinen gewohnten Gang nimmt. Die Folge sind Scheinbeziehungen, Beziehungen, die in Wirklichkeit gar nicht existieren, sondern wo vieles nur gespielt wird. Wenn wir beginnen, echt zu werden, dann werden unsere Launen, Unausstehlichkeiten, unser Durcheinander und unsere Lebensbrüche spür- und sichtbar. Und die Wahrheit ist, dass wir alle ein Chaos sind. Keiner ist genau so, wie er erscheint. Wir alle haben unsere Geheimnisse, Probleme und Stolpersteine im Leben, keiner ist perfekt.
Geistliches Leben wächst dort, wo wir uns entscheiden, uns der Lüge und Täuschung zu verweigern und ihnen zu widerstehen beginnen. So erhält unser Image erste Kratzer und die Seifenblase des Scheins darf endlich zerplatzen. Wir stellen uns der Realität, die Gebrochenheit und Begrenztheit heisst. Weil jeder ein Gebrochener ist, hören wir auf mit guten, gar frommen Ratschlägen und geben lieber unsere Unwissenheit, Verunsicherung, Angst und Verwirrung zu. Dort entstehen neue Räume, Orte wo Fragen und authentische Gefühle Platz haben. Ich beginne auszudrücken, dass ich nicht mehr weiss und verstehe, warum und wie gewisse Dinge geschehen. Mein Bild von Gott ist unvollständig, ich lasse seine Wege stehen, ich schreibe ihm nichts mehr vor, Gott darf wieder Gott sein.
Geistliche Menschen geben zu, dass sie unvollkommen und unfertig sind. Dass vieles in ihrem Leben im Bau ist. Glaube ist nie nur Glattstrich und Glasur unseres Lebens, sondern eher ein Steinbruch, wo abgebaut und gemeisselt wird, wo Abfall und Staub entstehen. Das wertvolle Gestein ist bereits vorhanden, aber es muss mit viel Mühe und Arbeit herausgebrochen und bearbeitet werden. Gott hat in uns sein gutes Werk angefangen. Und sein Prozess mit uns schreitet lebenslänglich fort. Seine Arbeit an und mit uns ist erst nach unserem Tod zu Ende, wenn wir ihn von Angesicht zu Angesicht sehen werden. Noch ist es nicht soweit, doch es geht darum, ihm ganz in unserer Unfertigkeit zu vertrauen. Schwierigkeiten werden zwar nicht einfach aufhören, aber Gott ist da und geht mit uns hindurch.
Vertrauen in Gott ist niemals Beruhigungstablette oder Aufputschmittel. Es zeigt uns eher unsere Unzulänglichkeit, Abhängigkeit und Entfernung von Gottes Massstäben, ohne jedoch zu resignieren und zu verzweifeln. Wir werden selber nie ein heiliges Leben schaffen. Und wie man richtig betet bleibt uns fremd. Meine Hingabe ist nicht völlig, meine Glaube versetzt keine Berge. Doch Jesus hört gerne solche Geständnisse und wird antworten. Er liebt Sehnsucht und Leidenschaft nach ihm. Wir können ihn nie mit Kompetenz beeindrucken. Er sieht unser Unvermögen schon längst, er fühlt mit unserem verwundeten Herz. Er hat sich unserer Sünde bereits angenommen, unsere Unfähigkeit schreckt ihn nicht ab. Er heilt unsere Wunden und Verletzungen, die wir ihm zeigen und entgegenhalten. Das macht uns frei und offen für Neues und barmherzig gegenüber andern Menschen und uns selbst.
(Inspiriert durch einen Artikel von Mike Yaconelli, der im Jahr 2003 durch einen Autounfall starb)

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