Mittwoch, April 09, 2014

Nimm und iss... Die Bibel als Lebensmittel

Von Eugene H. Peterson habe ich schon lange und immer wieder viel Gutes gehört, doch noch nie ein Buch von ihm gelesen. Nun hat der Neufeld-Verlag im süddeutschen Schwarzenfeld - den ich sehr schätze - dieses Jahr ein Buch unter der ISB-Nummer 978-3-86256-045-5 von Peterson aufgelegt. Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel: „Eat this book – A Conversation in the Art of Spiritual Reading“ bereits im Jahr 2006. Die vorzügliche Uebersetzung besorgte Evelyn Sternad. . . . . . . Zum Autor: Eugen H. Peterson wurde 1932 geboren. Er gründete 1962 eine presbyterianische Gemeinde in Maryland USA und leitete sie 29 Jahre. 1993 bis 1998 war er Professor für spirituelle Theologie am Regent College in Vancouver, Kanada. 2002 erschien seine Bibelübersetzung „The Message“, an der er zehn Jahre gearbeitet hatte. Mit dieser Uebersetzung, mit seinen Bücher und Predigten will er die Bibel wieder und neu in die Herzen der Menschen pflanzen. Er hat über dreissig Bücher geschrieben und mehrere Ehrendoktortitel erhalten. Seine Frau und er haben drei Kinder und sechs Enkel, sie leben heute in Montana, wo er auch aufgewachsen war. Zum Buch: Der Titel bezieht sich auf die Bibelstelle in Offenbarung 10,9, wo der Engel Johannes gebeten hat, das kleine Buch zu nehmen und zu essen. Das ist eine der zentralen Aussagen über das Wort Gottes, die sich über die ganze Bibel hinweg ziehen. Denn es geht darum, die Bibel, das aufgeschriebene Wort Gottes, geistlich zu lesen und wie ein Lebensmittel aufzunehmen und nicht nur als Informationsquelle, Wissensspeicher oder gar als Rechtsmittel zu verwenden. Auch im ersten Psalm ist davon die Rede, über die Weisung Gottes nachzusinnen (Vers zwei); aber es ist eine unzureichende Uebersetzung des hebräischen Verbs „hagah“. Denn es geht viel mehr um ein wohliges knurren, ein andauerndes kauen und ein sich verlieren in der Torah. Auch Bonventura hat gesagt: „Viel zu wissen und nichts zu schmecken – wozu soll das gut sein?“ „Christen zehren also von der Bibel. Die Heilige Schrift ernährt die heilige Gemeinschaft genauso, wie Nahrung unseren Körper ernährt. Christen erlernen, studieren oder verwenden die Bibel nicht nur. Wir verleiben sie uns ein, wir nehmen sie mit in unser Leben hinein. Sie wird verarbeitet zu Liebestaten, Bechern voll kühlen Wassers, Aussendungen in die Welt, Heilung, Evangelisation und Gerechtigkeit im Namen Jesu.“ So drückt sich Peterson auf Seite 33 aus. Die Erzählform sei das hauptsächliche sprachliche Mittel, womit Gott uns sein Wort nahe bringt, denn sie ist uns gut zugänglich. „Für uns Juden ist es wichtiger, die Bibel zu studieren, als ihr zu gehorchen, denn wenn du sie nicht richtig verstehst, dann gehorchst du ihr nicht richtig, und dein Gehorsam wird zum Ungehorsam“ (Seite 98). Die Bibel sei vor allem mündlich zu verstehen, das hat bereits der schottische Theologe James Barr festgestellt. Denn die aufgeschriebenen Worte wurden ihrem ursprünglichen Zusammenhang entrissen: Klang, Tonfall, Rhythmus, Stimmen, Töne und Düfte sind nicht mehr enthalten; sie sind der natürlichen Umgebung entzogen (Seite 114). . . . . . . . . . . Zentrales Anliegen von Peterson ist die „lectio divina“, das geistliche Lesen der Bibel. Sie umfasst die vier Elemente lectio, meditatio, oratio und contemplatio, die aber nicht nur linear zu verstehen und anzuwenden seien. Denn „Bibelverse sind keine Glückskekse, die man beliebig aufbricht... Meditation ist der beste Weg, um uns vor der Zerstückelung unseres Bibellesens in isolierte Orakel zu schützen... Beten (oratio) heisst in den Satzbau und die Grammatik des Wortes Gottes zu treten. Wir verlassen die enge Welt des Ichs und treten ein in die weite Welt Gottes. Kontemplation bedeutet nicht nur leben, sondern auch geschehen lassen, kontemplative Menschen seien insofern gescheiterte Schriftbetrachter" (Seiten 133-142). Peterson warnt vor der Gefahr, die Bibel zu haben, zu verteidigen und zu feiern, anstatt sie zu empfangen, sich ihr zu unterwerfen und sie zu beten. Es gebe eine Entweihung der Bibel nach unten und nach oben! Nach oben bedeute, dass man die ursprüngliche, meist einfache Sprache der Bibel ignoriere, die oft eine Sprache der Unterschicht gewesen sei. Gerade das Koine-Griechisch, in der die Evangelien und grosse Teile des Neuen Testaments aufgeschrieben wurden, war eine Sprache der Kinder, Arbeiter, Armen, Entrechteten und Ausgebeuteten. Das haben erst Moulton James Hope und Adolf Deissmann richtig entdeckt, weil im ägyptischen Oxyrhynchus 1896 in einem Müllhaufen erstmals Texte in Koine-Griechisch gefunden wurden. Zusammen mit Dale C. Alison hält Peterson die vierte Bitte des Unser Vater-Gebets für den Knackpunkt dieses Gebets von Jesus. "Unser tägliches Brot" sei die umstrittenste und schwierigste Bitte. Mit Hans Dieter Betz ist er überzeugt, dass es kaum einen Zweifel daran gebe, dass Jesus sich auf echtes, nicht nur geistliches Brot bezogen habe (wie Origenes und seine Nachfolger fälschlicherweise meinten und lehrten; Seiten 187-191). . . . . . . . . . Peterson zieht folgendes Fazit: „Jesus verkörpert das Herabsteigen Gottes in unser Leben, so wie es ist und in das Umfeld, in dem wir leben. Er verkörpert nicht den Aufstieg unseres Lebens zu Gott, von dem wir hoffen, dass er uns wohlgesonnen ist, sobald er sieht, wie sehr wir uns bemühen und wie höflich wir beten“ (Seite 193). Auch in Israel war Gott im Alltag gegenwärtig und handelte unter ihnen, oft aber unscheinbar. Gottes Zurückgezogenheit und sein Schweigen wurden auch respektiert und nicht mystifiziert wie bei den Nachbarvölkern Ugarit und Kanaan. Sie machten ihre Götter durch magische Manipulationen und religiöse Technologien dienstbar (Seiten 196-199). Am Schluss macht Peterson nochmals darauf aufmerksam, dass buchstabengetreue Bibelübersetzungen unzureichend seien, weil sie nonverbale Ebenen ausschliessen, und vorhandene Redewendungen, Bilder und Satzstrukturen in der Zielsprache nicht finden können. Daher seien Uebersetzungen ausnahmslos Interpretationen! Fazit: Das Buch von Peterson ist sehr informativ, gut zu lesen und gibt neue Impulse für einen gesunden Umgang mit der Bibel. Es eignet sich auch für Personen, die schon lange mit der Heiligen Schrift unterwegs sind.

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Dienstag, April 01, 2014

Gewalt und Frieden (Seiten 367-410, Schluss)

Religionskrige waren der Hintergrund für die Entwicklung der rationalen Methode, aber die moderne Welt ist nicht friedlicher geworden, die Gewalt hat nur die Organisationsform gewechselt von regulärer zu staatlicher Gewalt. Auch das Drama der Erlösung begann und endet mit Gewalt: Geburt, Kreuzigung und Wiederkunft von Jesus. Aber Jesus am Kreuz durchbrach den Kreislauf der Gewalt, indem er die Aggression der Verfolger auf sich nimmt; er entblösste Sündenbock-Mechanismus in einer Welt der Täuschung und Unterdrückung; er kämpfte für Gottes Wahrheit und Gerechtigkeit; und er war Gottes Umarmung der Trügerischen und Ungerechten. Volf äussert sich am Rand auch zum Thema der Allversöhnung; ein Satz in einer Fussnote ist mir geblieben: „Ich bin kein Allversöhner, aber vielleicht ist Gott einer“. Er will damit auch ausdrücken, dass bestimmte Dinge nur Gott zustehen. Auch die Anwendung von Gewalt, das sogenannte Gewaltmonopol stehe nur Gott zu. Daher sei unsere Sache eine Politik der Gewaltlosigkeit; dies bedinge jedoch gerade eine Theologisierung von Gewalt. Für uns Menschen diene der Pfingstfriede, wie er in der Bibel beschrieben wurde, als Vorbild. Er entstand in Jerusalem während einer Versammlung von Menschen aus verschiedenen Kulturen und Sprachen, die sich plötzlich verstanden und ihre Schätze geteilt haben.

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Täuschung und Wahrheit (Seiten 310-366)

Regierungen, die ihre Wahrheit vor den Bürgern verheimlichen, sind zugleich Regierungen, die nicht zulassen, dass ihre Bürger irgendwo Geheimnisse haben (nach Lewis Smedes). Dagegen leben und wachsen Juden unter dem Zeichen der Erinnerung (Elie Wiesel). Im Gedenken an den leidenden Christus wird die Erinnerung an allen Schmerz, der zugefügt oder erlitten wurde, geheiligt (Johann Baptist Metz). Unterdrückung braucht Heimlichkeit und Täuschung als Requisit (Seite 315). Hass zerstört Erinnerung, Geschichte ist ein Sonderfall des sozialen Gedächtnisses. Geschichtliche Rekonstruktionen sind immer durch bestimmte Identitäten und Interessen beeinflusst, daher sind sie auch subjektiv und fehlbar. Moderne Historiker meinten, objektiv, methodisch korrekt und wahr zu sein, dabei waren sie „nur“ rational geprägt und überschätzten sich. Heute wissen wir, dass Menschen nur bruchstückhaft wissen und unzureichend reden können. Ueber Gott können wir nur so viel wissen, wie er uns offenbart. Es gibt keinen neutralen Standpunkt, weil wir kulturell und sozial eingebettet sind. Der Wille zur Wahrheit muss mit dem Willen zur Gemeinschaft verbunden werden. J. Th. F. Torrance hat gesagt: „Wahrheit ist Gott, der sich selbst treu bleibt, seiner Treue und Beständigkeit. Gottes Wahrheit bedeutet also, dass er seinem Volk die Treue und den Glauben hält, und von ihm erwartet, dass es ihm Treue und Glauben hält.“ Wahrheit erhält das Vertrauen, jedoch Täuschung zerstört sie.

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