Sonntag, Mai 15, 2011

Johannesevangelium ist symmetrisch aufgebaut


Angeregt durch den komponierten Aufbau der Bergpredigt, den ich durch Dieter Kemmler kennengelernt habe, ist mir kürzlich aufgefallen (oder zugefallen), dass auch das Johannesevangelium einen genau strukturierten Aufbau und Ablauf hat mit vielen Entsprechungen und Analogien vom Anfang an und vom Ende her. Dabei zielt es auf eine "Mitte", ein Zentrum, bei dem Jesus sagt in 11,25: "Ich bin die Auferstehung..." Und er fordert auch uns damit zu einer persönlichen Antwort heraus!

Mitte/Spitze/Zentrum Johannesevangelium ist 11,25 & 26:

Jesus sprach zu ihr (=Martha):
Ich bin die Auferstehung.
Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.
Und jeder, der lebt und an mich glaubt,
wird in Ewigkeit nicht sterben.
Glaubst du das?


Jo 11,1: Maria hatte Füsse Jesu gesalbt - Jo 11,25: Maria salbte Füsse Jesu
Jo 10,11: Hirte gibt Leben für die Schafe - Jo 12,24: Weizenkorn stirbt
Jo 9,5: Ich bin das Licht der Welt - Jo 12,46: Ich bin als Licht in die Welt g.
Jo 9,4: Werke des Gesandten wirken - Jo 13,15: Tut, wie ich euch getan h.
Jo 8,29: Der Vater hat mich gesandt - Jo 14,6: Zum Vater kommt niemand ausser durch mich
Jo 8,28: Wie mich der Vater gelehrt hat - Jo 15,9: Wie mich der Vater geliebt hat
Jo 7,37-39: Ströme lebendigen Wassers werden fliessen (=Geist) - Jo 16,5-15: Geist der Wahrheit wird euch führen
Jo 7,6: Jesus: Meine Zeit ist noch nicht da - Jo 17,1: Jesus: Vater, die Stunde ist gekommen
Jo 6,67-71: Bekenntnis des Petrus & Profetie über den Judas - Jo 181-11: Verrat des Judas & Leugnung des Simon Petrus
Jo 6,15: Die Leute wollten Jesus zum König machen - Jo 19,1-22: Jesus wird als König der Juden bezeichnet
Jo 6,1-13: Hunger des Volks & Jesus vermehrt 5 Brote & sättigt es - Jo: Jesus sagt: Mich dürstet! Und er bekommt Essig
Jo 5,19-4: Jesus sagte zu ihnen: Der Vater hat mir die Werke gegeben zu vollbringen - Jo 19,28+29: Es ist vollbracht!
Jo 4,43-5,18: Jesus kümmert sich & heilt zwei Kranke - Jo 19,31-42: Zwei Männer kümmern sich um den Leichnam Jesu
Jo 4,1-42: Jesus redete mit Samariterin; viele glauben auf das Wort der Frau hin. "Er hat mir alles gesagt!" - Jo 20,11-18: Jesus redete mit Maria Magdalena. "Er hat mir dies gesagt!"
Jo 3,1-21: Glaubensgespräch Jesu mit Nikodemus - Jo 20,19-29: Glaubensaufforderung Jesu an Thomas
Jo 2,1-12: Weinmangel; Wunder unter Einbezug der Diener: Füllt... Schöpft & bringt! - Jo 21,4-8: Fischmangel; Wunder unter Einbezug der Jünger: Werft... Bringt!
Jo 1,29: Johannes zu Jesus: Siehe, das Lamm Gottes! - Jo 21,15: Jesus zu Simon Petrus: Weide meine Lämmer!
Jo 1,1-14: Im Anfang war das (Tat)Wort... Und das Wort wurde Fleisch - Jo 21,25: was Jesus getan hatte

Versuch einer Begründung: Das Neue Testament ist in griechischer Sprache zu uns gekommen. Wir haben es mit unserer abendländischen, westlichen und rationalen Sichtweise gelesen und interpretiert. Dabei hat es auch viele Fehl- und Missdeutungen gegeben; Unbekanntes hat man erst gar nicht wahrgenommen. All diese Versäumnisse wären weniger entstanden, wenn man bereits früher mehr beachtet hätte, dass diese Bücher hebräisch gedacht und konzipiert und mit aramäischen Stilmitteln geschrieben wurden. Im Morgenland wurde Bedeutendes und Wichtiges auch formal anders dargestellt und mittels Wiederholungen, Symmetrien, symbolische Zahlen und Uebertreibungen verstärkt und betont.

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Sonntag, Mai 08, 2011

Josef Ratzinger: Jesus von Nazareth 2


Der Untertitel dieses spannenden Buches zur Passionszeit lautet: 2. Teil vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Erschienen ist das Buch bei Herder Freiburg 2011 mit der ISB-Nummer: 978-3-451-32999-9.

Wer Josef Ratzinger ist, muss ich hier nicht erklären, denn er ist ja bekannt als Papst Benedikt der Sechzehnte. Aber was er zu sagen und aufgeschrieben hat zur Person Jesu von Nazareth und seiner Botschaft, darüber lohnt es sich wirklich, Worte zu verlieren. Ratzinger betont, dass dies kein autoritatives päpstliches Lehrschreiben ist, sondern Ausdruck seines Suchens, Forschens und Findens in der Bibel, in den Schriften des Alten und des Neuen Testaments.
Dieser zweite Teil über Jesus von Nazareth hat es mir noch mehr angetan als der erste. Aber vielleicht greife ich nach dem begeisterten Lesen des zweiten nochmals zurück zum ersten. In Jesus von Nazareth Teil zwei behandelt er, wie der Untertitel sagt, die Katastrophe, den Kreuzestod und die Auferstehung, das entscheidende Finale des Gottessohns. Es geht also um den Kern, das Wesen und die Essenz des christlichen Glaubens.

Josef Ratzinger ist eine geschichtsbewusste Person, ein sehr belesener Lehrer und wahrscheinlich ein vorsichtiger Mensch. Ueberlegt und mit Bedacht wählt er seine Formulierungen und hat vermutlich lange daran gearbeitet, bis sie wirklich präzise, treffend und auch schön sind. So ist er für mich also auch Kopfmensch und Aesthet, was in all seinen Werken zum Ausdruck kommt und man ihm bisweilen vorwerfen könnte.
Am Buchanfang rezipiert er eingehend die deutsche evangelische und katholische Theologie des 20. Jahrhunderts, die weitgehend von der historisch-kritischen Methode geprägt war. Er anerkennt zwar deren Verdienste, stellt aber auch deutlich deren Bedingtheit, ihre Grenzen und das zunehmende Ungenügen dar. Und er gibt Hinweise auf alternative Deutungsversuche, wie sie Marius Reiser aus Mainz und andere Theologen bereits angeregt haben.

Einige Passagen habe ich mir wortwörtlich aufgeschrieben, weil ich sie so treffend und schön formuliert vorgefunden habe. Beim Thema der Fusswaschung schreibt er zu Reinheit, die keine rituelle und moralische ist, auf Seite 75: „Der Glaube reinigt das Herz. Er kommt aus der Zuwendung Gottes zum Menschen. Er ist nicht einfach ein eigener Entschluss der Menschen. Er kommt zustande, weil Menschen von innen her durch Gottes Geist berührt werden, der ihnen das Herz öffnet und es rein macht.“

Und zum „ewigen Leben“ schreibt er auf 102 und 102: „“Ewiges Leben“ ist das Leben selbst, das eigentliche Leben, das auch in dieser Zeit gelebt werden kann und dann auch durch den physischen Tod nicht mehr angefochten wird... Ewiges Leben ist also Beziehungsereignis. Der Mensch hat es nicht aus sich selbst, für sich allein genommen. Durch die Beziehung zu dem, der selbst das Leben ist, wird auch er ein Lebender.“

Zum hohenpriesterlichen Gebet, das er ausführlich interpretiert und vor allem in einen jüdischen Kontext stellt, schreibt er auf Seite 108: „Jesus stellt mit diesen Worten (Jo 17,6+26) als der neue Mose vor, der das zu Ende führt, was mit Mose am brennenden Dornbusch begonnen hat. Gott hatte dem Mose seinen „Namen“ offenbart. Dieser Name war mehr als ein Wort. Er bedeutete, dass Gott sich anrufen liess, in Gemeinschaft mit Israel getreten war... „Name Gottes“ bedeutet: Gott als unter den Menschen Gegenwärtiger (Dt12,11)“

Ueber das letzte Passamahl, das Jesus mit seinen Jüngern hält, äussert er sich ausgiebig und hält fest, dass Lukas und Paulus „eucharistia“ betonen, während Markus und Matthäus „eulogia“ ins Zentrum stellen (Seite 148). Alle verweisen letztlich auf „berakha“, das Dank- und Segensgebet der jüdischen Ueberlieferung, bei der man nicht isst, ohne Gott für die Gabe zu gedankt zu haben!
Er verweist auch auf den „Sinaibund“, wie er in Exodus 24,7+8 aufgeschrieben ist, bei dem es um Bundesblut, Wort Gottes und Gehorsam Israels geht.
Der neue Bund, wie er in Jeremia 31,33 vorgezeichnet ist, betont dagegen, dass das Gesetz ins Innere zu legen und ins Herz zu schreiben sei. Als dritter Teil gehört der Gottesknecht aus Jesaja 53,12 dazu, der die Schuld der Vielen trägt.
Ratzinger ist sehr daran gelegen, die Einheit des Alten Testaments und von Jesus Christus („Christus-Geschehen“) zu betonen. Grundlegend für ihn sind dafür Psalm 22 und Jesaja 53. Der Notschrei des leidenden Israel zum scheinbar schweigenden Gott weist auf den verlassenen Jesus am Kreuz hin (Seite 228).
Und zum Kreuzestod Jesu schreibt er auf Seite 211: „Vom Glauben her gelesen heisst es, dass wir alle die reinigende Kraft der Liebe brauchen, die sein Blut ist. Es ist nicht Fluch, sondern Erlösung, Heil.“

Ratzinger versucht auch aufzuzeigen, dass innere Zusammenhänge bestehen bei äusserlichen sprachlichen Aehnlichkeiten: „telos“ bis ans Ende (in Johannes 13,1) ist verwandt mit „tetelestai“ es ist vollbracht (in Johannes 19,30) und „teleioun“ Einweihung oder vollständige Uebereignung an Gott (in Hebräer 5,9).
Wasser, Blut und Geist (aus 1. Johannes 5,6) wiederum entsprechen der Taufe, dem Tod Jesu und der Ausgiessung des Heiligen Geistes. Das Gewand Jesu war ein Bild für die hohenpriesterlichen Kleider; die übergrosse Menge Balsam für den Leichnam Jesu ein Königszeichen.
Mit dem Kreuz Christi waren die Tempelopfer endgültig überholt: Jesus wurde zum „hilasterion“, dem Deckel der Bundeslade, auf den am grossen Versöhnungstag Sühneblut gesprengt wurde. Der Gehorsam Christi trat an die Stelle der Tempelopfer, wie bereits in Psalm 40 angedeutet wird und wie der Hebräerbrief, im speziellen 10,5, festhält. Ratzinger schreibt auf Seite 258 und 259 dazu:
„Je mehr der Mensch mit seiner ganzen Existenz Ant-Wort auf Gott wird, desto mehr vollzieht er den rechten Kult... Gott wird recht verehrt, wenn wir im Gehorsam zu seinem Wort leben und so von seinem Willen durchformt, gottgemäss werden... Erst das fleischgewordene Wort, dessen Liebe sich am Kreuz vollendet, ist der vollkommene Gehorsam... Sein leibhaftiger Gehorsam ist das neue Opfer, in das er uns alle mit hineinzieht und indem zugleich all unser Ungehorsam aufgehoben ist durch seine Liebe.“

Ratzinger betont die untrennbare Verknüpfung und Einheit von Jesu Leben, seinem Leiden und seiner Auferstehung. Deshalb bleibt er natürlich nicht beim Kreuz stehen, sondern erklärt die Umstände der Auferstehung – die Auferstehung selber wird in den Evangelien nirgends beschrieben - und würdigt die geheimnisvolle Ereignisse der Auferstehung, Himmelfahrt und Wiederkunft Jesu. Das Bekenntnis zum geschichtlichen Ereignis, dass Gott ihn von den Toten erweckt hat, ist für ihn fundamental. Denn der Glaube daran und das Bekenntnis dazu bewirken Heil. Und es sind Vorformen der Taufbekenntnisse, in denen Jesus als Herr genannt wurde. In der Taufe übereignet sich der Mensch an die neue Existenz des Auferstandenen: Bekenntnis wird Leben (Seite 274).
Bei der Himmelfahrt weist Ratzinger auf die Wolke hin, die Jesus ins Geheimnis Gottes aufnahm. Solch eine Wolke war auch bei der Verklärung zugegen (Mt 17,5; Mk 9,7; Lk 9,34), ebenso wurde Maria bei der Ankündigung durch den Heiligen Geist überschattet (Lk 1,35). Die Wolke war Zeichen der Gegenwart Gottes beim Begegnungszelt (Ex 40,34) und bei der Wüstenwanderung Israels (Ex 13,21). Das „Sitzen zur Rechten Gottes“ von Jesus deutet er als Teilhabe an der Raummächtigkeit Gottes. Denn Gott ist Voraussetzung und Grund aller Räumlichkeit. Jesus hat nun volle Macht- und Lebensgemeinschaft mit dem lebendigen Gott (Seite 308).
Gegen Schluss auf den Seiten 314 und 315 kommen auch noch kurz das erneute Kommen Jesu zur Sprache. Der Gelehrte ist sich der sprachlichen Feinheiten bewusst, wenn er treffend schreibt: „„marana tha“ Herr komm! Oder „maran atha“ der Herr ist gekommen! ... In der christlichen Wiederkunftsbitte ist immer auch Gegenwartserfahrung mitenthalten... Wie zumeist, so ist beim Herrn Jesus Christus alles zweifach: zweifach die Geburt, die ein aus Gott vor aller Zeit, die andere aus der Jungfrau in der Fülle der Zeit; zweifach die Herabkunft – die eine verborgen, die andere, noch zukünftige, sichtbar.“


Fazit: Viel Freude am Buch von Josef Ratzinger, weiterhin einige Fragezeichen an der römisch-katholischen Kirche und deren Selbstverständnis, Struktur, Führung und Praxis. Es wäre ein grosser Gewinn, wenn die Amtsträger dieser Kirche dieses Werk ernst nehmen und danach handeln würden!

(Die Bilder wurden in Locarno & Brissago gemacht)

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