Dienstag, April 30, 2013

Eine jüdische Sicht auf die Theodizee-Frage

In der exegetischen Zeitschrift „Texte und Kontexte“ 2-4/2012 habe ich durch Martin Vahrenhorst neue Sichtweisen zur Theodizee-Frage gefunden. Oft geht man einfach davon aus, dass die Frage des Leids bei einem gütigen Gott christlich beantwortet werden muss. Dem aber ist nicht zwingend so. Endgültige Antworten gibt es auch im Judentum keine, aber andere Ansätze; und es wird ausdrücklicher vorausgesetzt und gesagt, dass es in dieser Frage keine abschliessende Antworten geben kann. Diese Offenheit soll uns zum Weiter- und Nachdanken und zum Schweigen anregen, bevor wir voreilig sprechen! Ein grundlegender Text zur Theodizee-Frage steht erstaunlicherweise in Levitikus 10,1-3, wo das jähe Ende von Nadab und Abihu, den Söhnen Aarons, beschrieben ist: „Die Söhne Aarons, Nadab und Abihu, nahmen jeder seine Räucherpfanne. Sie legten Feuer auf, taten Räucherwerk darauf und brachten vor dem Herrn ein unerlaubtes Feuer dar, eines, das er ihnen nicht befohlen hatte. Da ging vom Herrn ein Feuer aus, das sie verzehrte, und sie kamen vor dem Herrn um. Da sagte Mose zu Aaron: Das ist es, was der Herr meinte, als er sprach: An denen, die mir nahe sind, erweise ich mich heilig und vor dem ganzen Volk zeige ich mich herrlich. Und Aaron schwieg.“ Häufig wird bei der christlichen Auslegung dieses Textes betont, dass die Söhne Aarons absichtlich falsch gehandelt hätten. Nicht unbedingt so in der jüdischen Tradition. Hier gibt es vier andere Möglichkeiten der Auslegung (Midrasch), wobei jeweils mit anderen Stellen aus der hebräischen Bibel argumentiert wird: 1. Midrasch: Rabbi Schimon sagte: Alles gilt für alle gleich. In Prediger 9,2 steht: „Aber ein und dasselbe Geschick trifft den Gesetzestreuen und den Gesetzesbrecher.“ Noah war ein Gerechter (Gen 6,9) und der Pharao ein Ungerechter, Josia opferte (2Ch 35,7) und Ahab opferte nicht, sondern er schlachtete (2Ch 18,2); David war ein Guter (1Sa 16,12) und Nebukadnezar ein Sünder (Dan 4,24), Zedekia schwörte (2Ch 36,13) und Simson nicht (Ri 16,21), Levi war ein Gerechter (Mal 2,6) und die Rotte Korach ungerecht (Num 16,26). Es gibt also ein gleiches, blindes Schicksal für alle, denn Gott schweigt. 2. Midrasch: Rabbi Levi sagte: Auch Gott freut sich nicht in (dieser) seiner Welt. In Psalm 75,5 steht: „Den Prahlenden sage ich: Lasst euer Prahlen!“ Adam freute sich nicht in dieser Welt, auch Abraham und Israel nicht. In Psalm 149,2 steht: „Israel wird sich freuen.“ Das bezieht sich erst auf die kommende Welt. Diese Welt ist ein Jammertal, erst in der Zukunft wird es sich auszahlen. Auch der Heilige Israels wird sich freuen in jener Welt. Die Gerechten freuen sich nicht in dieser Welt, weil Gott noch nicht am Ziel angekommen ist und auf Erlösung wartet. 3. Midrasch: Rabbi Abba bar Kahana sagte: Was nützt die Freude? In Prediger 2,2 steht: „Zum Lachen sprach ich: Es ist unsinnig.“ Wenn Freude durch Leid getrübt wird, welchen Sinn hat es, sich zu freuen? 4. Midrasch: Wo Erschlagene sind, da ist er. In Hiob 39,27-30 steht: „Erhebt sich auf dein Geheiss hin der Geier in die Höhe? Den Fels bewohnt er und nächtigt dort, auf der Felsenzacke und der Bergfeste. Von dort aus sucht er Nahrung, in die Ferne blicken seine Augen. Seine Jungen saugen Blut; wo Erschlagene sind, da ist er.Gott trauert auch mit Aaron um seine Söhne! Denn in Psalm 34,18 steht: „Nahe ist der Herr denen, die zerbrochenen Herzens sind.“ Und in Jesaja 57,15: „In der Höhe und im Heiligen wohne ich und bei dem, der zerschlagenen und gebeugten Geistes ist.

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