Mittwoch, Juni 30, 2010

Modelle und Paradigmen


Im Kapitel „Modelle und Paradigmen“ von Seite 151-191 zeigt Barbour auch auf, dass die Naturwissenschaften nicht nur objektiv und zeitlos sind, sondern zugleich auch unvollständig, vorläufig und revisionsbedürftig gesehen werden müssen. Alle Wissenschaften unterliegen immer auch einem Paradigma, das er als Produkt spezifischer wissenschaftlicher Gemeinschaften zu spezifischen Zeitpunkten definiert. Er vertritt eher die Ansicht von Thomas Kuhn, der Naturwissenschaften kontextuell, relativ, historisch und kulturell beeinflusst einstufte. Karl Popper dagegen betonte eher deren Autonomie, Rationalität, eigene Logik und Eigenständigkeit. Barbour folgt hier Kuhn, indem er die Aehnlichkeit von naturwissenschaftlichen und religiösen Paradigmen aufzuzeigen versucht: beide arbeiten mit Begriffen, Theorien und Glaubenssätzen. Diese wiederum beeinflussen die Fragestellungen und Beobachtungen. Das führt zu Vorstellungen, Analogien und Modellen, die erdacht sind und als solche nicht beobachtet werden können. Daraus werden Annahmen getroffen und Forschungsbereiche und -gegenstände definiert, die dann beobachtet werden und mit Daten dokumentiert werden können (deduktiver Weg oder Reduktion).
Im religiösen Bereich ist das Vorgehen ähnlich, aber es sind dann eher Erfahrungen, Erzählungen und Rituale, die in heiligen Schriften festgehalten werden. Göttliche Offenbarung und menschliche Reaktion sind verbunden und bedingen sich; persönliche Beteiligung und Reflexion sollten sich abwechseln. Gott wird durch interpretierte Erfahrung erkannt. Im Christentum sind die zentralen Aussagen Gottes die Weltschöpfung, sein Bund mit Israel und das Leben Christi.
Zusammenfassend nochmals die Parallelen von Naturwissenschaft und Religion:
· Interaktion Daten mit Theorie (Naturwissenschaft) und Erfahrung mit Interpretation (Religion)
· Interpretationsgemeinschaft hat historischen Charakter und Einbettung
· Modelle werden sowohl von Naturwissenschaften als auch von Religionen verwendet
· Paradigmen haben Einfluss auf Naturwissenschaft und Religion

Eine naturwissenschaftliche Theorie wird heute nach folgenden Kriterien bewertet: Datenübereinstimmung, Kohärenz (Uebereinstimmung mit andern Theorien), Reichweite und Fruchtbarkeit für aktuelle und zukünftige Forschung. Modelle sind analog und tragen zur Veränderung und Erweiterung von Theorien bei, weil sie anregend sind.
Für die Paradigmen gilt: alle Daten sind theoriegeladen, alle Theorien sind paradigmengeladen und alle Paradigmen haben Beurteilungskriterien. Geschichtliche Ereignisse dagegen sind interpretationsgeladen.
Paradigmen im Christentum hat Hans Küng nach Epochen geordnet:
· Alexandrinisch (mit griechisch geprägter Theologie und Weltsicht)
· Augustinisch (mit römisch geprägter Theologie und Weltsicht)
· Thomistisch (mittelalterliche, scholastische Theologie und Weltsicht)
· Reformatorisch (mit Beginn der Neuzeit)
· Historisch-kritisch (Moderne mit aufgeklärter Weltsicht, Postmoderne mit Pluralismus und Ganzheitlichkeit ist vielleicht bereits ein neues Paradigma?)

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Donnerstag, Juni 24, 2010

Vier Verbindungen von Naturwissenschaft und Religion

Im Kapitel „Mögliche Verbindungen von Naturwissenschaft und Religion“ ab Seite 113 kommt Barbour nun zu seinen Kernaussagen, nämlich zu seinen vier grundsätzlichen Verhältnissen von Naturwissenschaft und Religion:


Vom Konfliktverhältnis sind heute im Westen am stärksten der wissenschaftliche Materialismus und der Biblizismus betroffen. Die heutigen Konflikte reichen auf Galileis Verurteilung zurück, zu dieser führten aristotelisches Denksystem, enge Bibelauslegung und römische Kirchenmacht.
Materialismus schliesst aber vereinnahmend von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen direkt auf philosophische Fragen. Er anerkennt nur naturwissenschaftliche Methoden für Erkenntnisse, zudem sind nur Materie und Energie grundlegende Realitäten im Kosmos. Das ist „Reduktionismus“, der die nicht durchschaubare Wirklichkeit auf naturwissenschaftlich Erkennbares reduziert. Naturwissenschaftler haben selten Ahnung von Philosophie, Geschichte der Naturwissenschaften, Relevanz der Naturwissenschaften und ethische und religiöse Implikationen.
Biblizismus dagegen schliesst unüberlegt von ihrer Theologie auf wissenschaftliche Fragen. Biblizistische Theologen haben selten wirkliche Ahnung von Naturwissenschaften. Sie überschätzen sich statt sich mit Aeusserungen dazu zurückzuhalten!


Unabhängigkeit wird durch dialektische Theologie, Existenzialismus und Sprachanalyse vertreten. Unabhängigkeit beider Bereiche lässt sich am einfachsten anhand ihrer unterschiedlichen Fragestellungen zeigen: Naturwissenschaften stellen häufig Wie-Fragen und streben nach Erklärungen objektiver, allgemein zugänglicher, wiederholbarer, quantitativen Daten durch Experimente. Sie liefern daher keine umfassende Weltanschauung, Lebensphilosophie und ethische Normen.
Religionen dagegen stellen eher Warum-Fragen und fragen nach dem Ursprung von Ordnung, Schönheit in der Welt und nach den inneren Erfahrungen der Menschen (Schuld, Angst, Sinn, Vertrauen und Ganzheit. Sie brauchen häufig Symbole und Analogien, weil Gott transzendent ist. Sie empfehlen gemeinschaftlichen und individuellen Lebensstil, Einstellungen, moralische Prinzipien, Rituale und Verhaltensweisen.


Dialog wird vorwiegend durch den Theismus vertreten. Zeitgenössische Vertreter des Dialogs sind Wolfhart Pannenberg und Karl Rahner. Letzterer sagte: „Schöpfung und Fleischwerdung sind Bestandteile des Prozesses der Selbstoffenbarung Gottes.“ Dialog braucht es, weil Naturwissenschaften nicht nur objektiv und Religion nicht nur subjektiv ist. Hinter beiden Bereichen stecken Theorien, die auf Vorstellungskraft, Analogien und Modellen beruhen. Thomas Kuhn würde diesem Sachverhalt „Paradigma“ sagen. Gerade naturwissenschaftliche Forscher sind nicht nur unbeteiligte Beobachter, sondern sind auch mit dem Objekt verbunden (gemäss Quantenphysik), Handelnde und tragen persönliche Verantwortung. Sowohl Experimente als auch Erfahrungen müssen interpretiert und bewertet werden!


Was Integration bedeutet, ist am schwierigsten zu beschreiben. Integartion wird durch natürliche Theologie und Prozessphilosophie vertreten. Sie hat in Ansätzen schon bei Thomas von Aquin mit seinen kosmologischen und teleologischen Gottesbeweisen ihren Anfang genommen. Im katholischen Glauben bereitet die natürliche Theologie auf die Offenbarung vor. Der orthodoxe englische Philosoph Swinburne meint, dass die vorhandenen bewussten Wesen sich nicht wissenschaftlich erklären lassen, es brauche etwas von aussen; die Ordnung der Welt erhöhe die theistische Hypothese.
Andere Wissenschaftler machen aufs antrophische Prinzip, die unglaubliche Feinabstimmung des Kosmos und die Gerichtetheit der Entwicklung aufmerksam, so auch Steven Hawking: „Wäre die Expansionsgeschwindigkeit eine Sekunde nach dem Urknall nur um ein 100’000millionstel kleiner gewesen, so wäre das Universum wieder in sich zusammengefallen, bevor es seine gegenwärtige Grösse erreicht hätte.“
Barbour unterscheidet vier zunehmende Stufen der Integration:
· Treuhänderschaft gegenüber der Natur, weil sie Gott gehört
· Lobpreis der Natur, weil Gott sie gut, vielfältig und mächtig gemacht hat (so in Genesis, Hiob, Psalmen und Gleichnissen Jesu)
· Heiligkeit der Natur, weil Gott sie gemacht hat und erlösen wird
· Heiliger Geist in der Natur, weil der Geist Gottes auf den Wassern schwebte und die Psalmen, besonders 104, Gottes Gegenwart in der Natur thematisieren

Barbour macht zu Recht auch darauf aufmerksam, dass man in der Regel nicht gleich mit Dialog und Integration beginnen sollte, sondern dass sowohl Wissenschaftler als auch Theologen zuerst über die eigenen Gebiete samt deren Möglichkeiten und Grenzen reflektieren sollten. Erst danach wird Dialog sinnvoll, und erst später vielleicht Integration möglich.

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Montag, Juni 21, 2010

Barbour: Wissenschaft und Glaube

Im Moment bin ich daran, Grenzen und Verbindungen von Glaube und Wissenschaft besser zu verstehen und etwas auszuloten. Dabei kommt man meiner Meinung nicht an Ian G. Barbour vorbei, der 1998 "Religion and Science" in San Franscisco veröffentlicht hat, das 2003 bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen auf Deutsch unter der ISBN-Nummer: 3-525-56970-X erschienen ist.


Noch etwas mehr zum Autor:
Der Amerikaner Ian Graeme Barbour wurde 1923 geboren und hat Theologie und Physik studiert. Er war Professor am Carlton College in Northfield Minnesota für Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft. 1999 erhielt er für das Buch „Religion and Science“ den Templetonpreis für Fortschritt in Religion. In Europa scheint er nicht so bekannt zu sein, aber er hat Wegweisendes und Hilfreiches zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube formuliert, damit diese völlig unterschiedlichen Denkweisen und Weltsichten überhaupt miteinander in Dialog treten können.


Nun zum Buch: In seiner deutschen Ausgabe umfasst dieses Werk 508 Seiten, aber es ist übersichtlich in Kapitel und Unterkapitel strukturiert und kann auch nur in diesen Teilen gelesen werden. Meistens gibt Barbour am Anfang bekannt, über was er schreiben wird, und am Schluss fasst er gar wichtige Erkenntnisse zusammen.

Der Physiker Barbour beginnt mit „Physik und Metaphysik im 17. Jahrhundert“, denn hier hat sich ein grundlegender Wechsel der Weltsicht und Forschungsmethoden ereignet. Davor war Naturwissenschaft Teil der Philosophie, an experimenteller Ueberprüfung von Hypothesen war man nicht sonderlich interessiert. Durch die grosse Bedeutung von Aristoteles, dessen Werke im 13. Jahrhundert vom Arabischen ins Lateinische übersetzt wurden, wurde die Natur weitgehend als statisch und fertig angesehen. Die mittelalterliche Scholastik fusste auf Vernunft und Offenbarung, sie kann als Synthese von griechischer Philosophie und biblischem Glauben gesehen werden. Der Gottesbegriff von Thomas von Aquin war geprägt vom unbewegten Beweger (Aristoteles) und vom persönlichen Vater (Bibel). Die wichtige Gotteserfahrung geschah durch natürliche und geoffenbarte Theologie. Der göttliche Plan wurde in Schöpfung, Bund, Christus, Kirche und Vollendung gesehen.
Galileo Galilei (1564-1642) wird von ihm als Vater der modernen Naturwissenschaft bezeichnet, weil er neue Methoden formulierte und anwandte. Masse, Raum und Zeit wurden zentral, während vorher mehr Gott, Seele und Leib das Interesse hervorgerufen hatten. Bei René Descartes (1596-1650) und seinem radikalen Dualismus von Geist und Materie zeigt sich das sehr eindrücklich, er sah alle Körper als Maschinen. Auch Isaac Newton (1642-1727), der epochale Entdeckungen in Mathematik, Mechanik, Gravitation und Optik machte, sah trotz tiefer Gottgläubigkeit die Natur als Mechanismus an. Sie war geschaffene Hierarchie, bewegte Teilchen und Gesetzen unterworfene Maschine. Religion musste in dieser Zeit dementsprechend vernünftig und universal sein (oder sie wurde von David Hume und Pierre Laplace als unnötig abgelehnt):
· Existenz eines höchsten Wesens
· Unsterblichkeit der Seele
· Verpflichtung zu ethisch-moralischem Verhalten
(Diesen Aspekt betonte Immanuel Kant, 1724-1804)

Charles Darwin (1809-82) wird mit seinen Hauptwerken „Ueber den Ursprung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ (1859) und „Die Abstammung des Menschen“ (1871) erwähnt, wobei Barbour vermerkt, dass sein Gegenspieler Lamarck um 1900 gar noch mehr Bedeutung hatte. Erst mit der weiteren Entwicklung der Populationsgenetik und Molekularbiologie wurde Darwins Theorien eher bestärkt, aber auch über ihn hinaus weiter entwickelt. Abschliessend schreibt Barbour treffend auf Seite 108: „Das 19. Jahrhundert hat uns gelehrt, dass es gefährlich ist, wenn Theologen unüberlegt in naturwissenschaftliche Diskussionen eingreifen oder wenn Wissenschaftler voreilig über theologische Fragen urteilen.

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Sonntag, Juni 20, 2010

Kein Platz für Gott?

Der Deutsche Patrick Becker wurde 1976 geboren und hat Theologie studiert in München, Aachen und Bamberg. Danach war er Dozent in Marburg. Er hat sich auch auf den Dialog mit den Naturwissenschaften spezialisiert. Becker versucht mit diesem Buch "Kein Platz für Gott? Theologie im Zeitalter der Naturwissenschaften", das im Verlag Friedrich Pustet Regensburg 2009 unter der ISBN-Nummer: 978-3-7917-2207-8 erschienen ist, den Stand der Naturwissenschaften von heute kurz zu beschreiben, daraus Grundsatzfragen zu stellen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Es gelingt ihm dabei, Wesentliches herauszuschälen und relevante Fragen zu stellen. Am Schluss des hundertsechzigseitigen Buchs bringt er seine entscheidenden Ansätze auf den Punkt:

Wer ein reduktionistisches Weltbild vertritt, wird nicht nach Wirkmöglichkeiten des Geistes bzw. Gottes suchen. (Seite 152)
Aufgabe der Naturwissenschaften ist es, nüchtern empirische Daten zu sammeln und daraus Gesetzmässigkeiten abzuleiten. Aufgabe der Theologie ist es, das Weltbild zu reflektieren, innerhalb dessen die Daten gesammelt und interpretiert werden. (Seite 153)
Vielleicht wäre es hilfreich, an den Schnittpunkt der Ebenen die Naturphilosophie zu setzen, wie es Heinz-Hermann Peitz (geb. 1958) vorschlägt. Deren Aufgabe wäre der unvoreingenommene Umgang mit dem Datenmaterial der Naturwissenschaften sowie das Aufzeigen der Interpretationsmöglichkeiten.(Seite 154)



Am meisten hat mich sein Kapitel „Der Mensch – eine Maschine?“ überzeugt. Hier gelingt es ihm hervorragend die Diskussionen der Gegenwart darzustellen. Etliche Forscher, so auch Paul Churchland aus Kanada, versuchen im Gehirn Bewusstseinsfähigkeit und Geist zu lokalisieren (Grosshirnrinde). Das Gehirn wird als komplexes neuronales Netz mit paralleler Verarbeitung verstanden, das mustererkennend, fehlertolerant und autoassoziativ arbeitet.
Der lokalisierende Ansatz ist meistens Ausdruck eines Mechanismus und Naturalismus, die versuchen alles auf naturwissenschaftlich Erklärbares zu reduzieren. Das geht auf die Aufklärung zurück, als der Mensch nur noch als Maschine angeschaut wurde. Bei René Descartes war es immerhin noch ein Geist-Körper-Dualismus. Romantik und andere Strömungen wehrten sich im Vitalismus gegen diese eingeschränkte Sichtweise. Auch Becker plädiert dafür, dass Bewusstsein (in erster Person erlebt) nicht auf Gehirn (in dritter Person betrachtet) reduziert werden darf. Er schlägt dafür „Emergenz“ als Ausweg vor, das er wie folgt definiert: „Erreichen eine qualitativ neuen Status, der abhängig von der Basis ist, aber Einfluss darauf ausübt.“ Denn es ist nicht geklärt, wie genau ein Umstand einen Menschen zur Aktion bringt. Becker unterscheidet hier das physische Gehirn von mentalen Auswirkungen, die zu einem Willensentscheid führen. Dieser kann jedoch nicht lokalisiert werden, er bildet sich höchstens teilweise nur ab, denn menschliches Bewusstsein ist letztlich eine Einheit.

Auf Seite 116 stellt er die entscheidenden Fragen zum menschlichen Bewusstsein:
· Wie soll ein neuronales Netzwerk, das keine Zentrale kennt, eine Bewusstsein hervorbringen, bei dem all Informationen gebündelt vorliegen?
· Wie soll ein einheitliches Ich entstehen, wenn es dafür keine neuronale Basis gibt?
· Wie funktioniert der Auswahlprozess der verschiedenen Neuronenzusammenschlüssen?
· Wie wird das eine bewusst, das andere nicht?
· Warum erleben wir nicht viele verschiedene, voneinander unabhängige Bewusstseinszustände, sondern ein einheitliches Bewusstsein, das so auf neuronaler Ebene keinerlei Entsprechung besitzt?

Sein Fazit: Die Neurowissenschaften können diese Fragen nicht beantworten!

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Donnerstag, Juni 10, 2010

Schlussfragen von Polkinghorne

Gegen Schluss seines Buchs "Theologie und Naturwissenschaften" auf Seiten 169 & 170 nennt John Polkinghorne nochmals Fragen, die einen zukünftigen Dialog zwischen Religion und Naturwissenschaft beschäftigen sollten:


· Wie verstehen wir die natürliche Welt und unser Verhältnis zu ihr?

· Welche Art des Wissens können wir erreichen?

· Wie verhalten sich kosmische und biologische Evolution zu den Schöpfungsgeschichten?

· Sind die tiefe Verständlichkeit der physikalischen Welt und die „unbegründete Effektivität der Mathematik“ Hinweise auf einen im Kosmos verborgenen Plan?

· Verweist die anthropische Feinabstimmung der Naturgesetze in unserem Universum auf eine hinter dem kosmischen Prozess stehende Absicht?

· Wie beeinflussen die Einsichten der Neurophysiologie, der Psychologie und der Philosophie unser Verständnis der menschlichen Person, des menschlichen Selbst?

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Umfassendere Wirklichkeit


Polkinghorne plädiert in der Folge für eine umfassendere menschliche Wirklichkeit (Seite 111):
„Die Naturwissenschaften beschäftigen sich nur mit einem kleinen Teilbereich menschlicher Erfahrungen. Denn sie begrenzen ihr Interesse auf eine unpersönliche Darstellung der Wirklichkeit, auf die Welt als Objekt (als „Es“). Sie sprechen vom Licht einer gegebenen Wellenlänge, aber nicht von Farbe, von Vibrationen in der Luft, aber nicht von Musik, von kausalen Notwendigkeiten, aber nicht von moralischen Imperativen. Doch für die menschliche Erfahrung ist es fundamental, dass man der Wirklichkeit auch subjektiv begegnet, der Welt als einem „Du“ gegenübersteht. Zu dieser subjektiven Wahrnehmung der Welt gehören nicht nur zwischenmenschliche Begegnungen mit anderen Personen und die transzendentale Erfahrung des Göttlichen, sondern auch die allgemeine Erfahrung, dass wir in einer Welt leben, die voll von Werten ist. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass diese persönlich vermittelten Aspekte der Wirklichkeit von geringerer Bedeutung seien als die unpersönlich vermittelten Aspekte, welche die Naturwissenschaften interessieren....
Die Tatsache, dass die Naturwissenschaften Werte methodisch ignorieren, impliziert keineswegs, dass diese Nichtbeachtung zu einem metaphysischem Prinzip erhoben werden sollte. Im Gegenteil hat jede angemessene Metaphysik den wert-geladenen Charakter der Wirklichkeit ernst zu nehmen.


. Ethische Intuitionen und Verpflichtungen: Wir scheinen Zugang zu einem wirklichen moralischen Wissen zu haben. Unsere Moral öffnet uns ein Fenster in die Welt der menschlichen Wirklichkeit

. Aesthetische Erfahrungen: Farbarrangements und Geräuschwellensequenzen sind mehr als sinnlose Oberflächenphänomene und Gesellschaftswerte

„Der Theismus bietet eine Erklärung dieser vielfältigen Gegenwart von Werten in der Welt. Menschliche ethische Intuitionen entstehen in der Nachahmung von Gottes gutem und vollkommenem Willen; Erfahrungen von Schönheit entstehen, wenn Menschen in die Freude Gottes an seiner Schöpfung hineingenommen werden. Diese Erfahrungen bilden die Grundlage für die Erkenntnis, dass es Einen gibt, der unserer Anbetung und unseres Gehorsams würdig ist, welcher der Grund des ästhetischen und moralischen Wertes der Welt ist. Dieser theistische Hinweis auf die Werte ist eine Version des vierten Weges des Thomas von Aquin: „Deshalb muss etwas existieren, dass für alles, was ist, der Grund seines Seins, seiner Güte und Vollkommenheit ist – und diesen nennen wir Gott“.“

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Mittwoch, Juni 02, 2010

Gottesglaube und Weltdeutung

Zu „Theismus“ schrieb Polkinghorne auf Seite 95:
„... Der Gottesglaube, der mit der westlichen religiösen Tradition konform ist, impliziert die Erkenntnisse:
· Hinter Muster und Strukturen des Universums steht der Plan eines göttlichen Schöpfers
· Hinter der sich entfaltenden Geschichte des Universums steht der Wille eines göttlichen Schöpfers
· Es gibt Einen, der unserer Anbetung und unseres Gehorsams würdig ist
· Es gibt Einen, dem wir als Grund unserer beständigen Hoffnung trauen dürfen“

Zum Unterkapitel „Die Wiederkehr der natürlichen Theologie“ schrieb er ab Seite 98:
„... Sie ist bescheidener in ihren Schlussfolgerungen. Sie diskutiert eher Einsichten als Beweise. Sie behauptet nicht, dass Gottes Existenz in einer logisch bezwingenden Weise bewiesen werden kann (wie freilich auch Gottes Nicht-Existenz nicht bewiesen werden kann), sondern will aufzeigen, dass der Theismus eine sinnvollere Deutung der Welt und unserer Erfahrungen bietet, als es der Atheismus tut. Ungläubige sind keine Dummköpfe, aber – so wird behauptet – sie können weniger erklären, als Gläubige es können....
In traditioneller Sprache ausgedrückt könnte man sagen, dass die neue natürliche Theologie den sogenannten „kosmologischen Gottesbeweis“ aufgreift, dessen Wurzel Leibniz’ grosse Frage ist:
· Warum existiert überhaupt etwas, und nicht nur nichts?
... Stattdessen erwecken ihre (=Naturgesetze) Formen Fragen, welche naturwissenschaftlich nicht mehr zu beantworten sind:
· Warum ist uns die natürliche Welt so verständlich?
· Warum sind ihre Gesetze so fein aufeinander abgestimmt, dass sich eine fruchtbare Geschichte entfalten kann?
· Warum ist Naturwissenschaft möglich?
· Warum hat das Universum so eine besondere Gestalt?


Auf diese Fragen folgt die „Verständlichkeit des Universums“ auf Seite 100:
„Das Universum ist überraschend zugänglich für uns: Es ist für unsere Erforschung rational transparent. Dieser Sachverhalt ist es, der es Naturwissenschaftlern ermöglicht, ihre Entdecklungen zu machen, aber er ist keineswegs trivial. Man würde erwarten, dass die natürliche Evolution den menschlichen Geist so gestaltet hat, dass er in der Lage ist, mit alltäglichen Problemen umzugehen, aber dass dieser Geist in der Lage ist, die subatomare Welt der Quantentheorie und die kosmischen Implikationen der allgemeinen Relativitätstheorie zu verstehen, geht weit über alles hinaus, was fürs Ueberleben notwendig ist. Diese Möglichkeiten des Menschen lediglich als glückliche Zufälle, als ungewollte Nebeneffekte von evolutionären Notwendigkeiten zu verstehen, hiesse unmotivierte Behauptungen von höchst zweifelhafter Pausibilität aufzustellen und so die Aufgabe zu verfehlen, jene Tatsache der kosmischen Verständlichkeit mit jener Ernsthaftigkeit zu behandeln, die sie verdient.“

Im anschliessenden Unterkapitel „Das antropische Universum“ ist für Polkinghorne auffällig, dass unser Universum so fein abgestimmt ist. Dies ist für das Leben und uns Menschen notwendig, jedoch in der Sache nicht zwingend. Deshalb könnte es den gestalterischen Willen eines Schöpfers ausdrücken. Zur Erinnerung die Definition dieser beiden Prinzipien:
· Das schwache anthropische Prinzip: Die Gesetze und Anfangsbedingungen des Universums müssen mit unserer Präsenz als Beobachter in ihm verträglich sein
· Das starke anthropische Prinzip: Das Universum musste Bedingungen hervorbringen, die das Auftreten von Beobachtern gestatten

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In „Eine Theologie der Natur“ entfaltete Polkinghorne von Seite 105-109 erneut grundlegende Gedanken von grosser Dichte:
„Während viele Physiker die hier entwickelten Ueberzeugungen teilen, haben sich einige Biologen dem theistischen Glauben stark widersetzt. Wir haben bereits ihre streng reduktionistischen Tendenzen wahrgenommen, die sie die Wahrnehmung einer nicht materialistischen Dimension der Wirklichkeit bestreiten lassen.
Biologen konzentrieren ihre Aufmerksamkeit auf einen bedeutenden, aber begrenzten Aspekt der Entwicklung des Kosmos, die Entwicklung des Lebens auf der Erde. Dass unser Universum mit den chemischen Stoffen ausgestattet ist, ohne die es kein Leben geben könnte, scheinen sie gewöhnlich für selbstverständlich zu halten. Sie schenken deshalb der anthropischen Feinabstimmung, die das ermöglicht hat, nur wenig Interesse. Die rationale Schönheit des Universums, welche Physiker so beeindruckt, ist auf der biologischen Ebene nicht sofort offensichtlich. Stattdessen findet man hier die Geschichte der Evolution des Lebens, die durch zufällige genetische Mutationen und die natürliche Selektion jener, die überleben, charakterisiert ist. Es ist eine Geschichte, in der die einen vom Tod der anderen profitieren. Von den Lebewesen, die einst existierten, hat nur der kleinste Teil bis heute überlebt. Evolution ist ein teures Geschäft. Die biologische Welt ist voll von beidem: von Schönheit und Grausamkeit....
Doch der Prozess der natürlichen Selektion ist ein mächtiges und flexibles Mittel indirekter Korrelation, in dem ein Theist den angemessenen Weg erkennen kann, den ein Schöpfer wählt, der es seiner Schöpfung erlaubt, sich selbst zu entwickeln. Dass die Geschichte des Universums kontingent ist, zeigt, dass die Evolution des Lebens nicht nach einem von Anfang an determinierten Plan abläuft....
Die kostspieligen und blinden Wege der Evolution sind der notwendige Preis für diese Offenheit de Schöpfung, ihre Möglichkeiten zu selbst zu entdecken....
Wenn die Entstehung des Lebens dagegen als so unwahrscheinlich angesehen wird, dass sie als glücklicher Zufall erscheint, sagen die Atheisten, dass dies zeige, dass der Mensch nur durch Zufall in einer sinnlosen Welt entstanden sei, während die Theisten hinter diesem fruchtbaren, aber unvorhersagbarem Ereignis Gottes Hand erkennen wollen. Die Naturwissenschaften beeinflussen unser metaphysisches Verständnis, aber sie determinieren es keineswegs einfach. Letztlich werden metaphysische Antworten aus metaphysischen Gründen gegeben.“

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