Mittwoch, Juni 02, 2010

Gottesglaube und Weltdeutung

Zu „Theismus“ schrieb Polkinghorne auf Seite 95:
„... Der Gottesglaube, der mit der westlichen religiösen Tradition konform ist, impliziert die Erkenntnisse:
· Hinter Muster und Strukturen des Universums steht der Plan eines göttlichen Schöpfers
· Hinter der sich entfaltenden Geschichte des Universums steht der Wille eines göttlichen Schöpfers
· Es gibt Einen, der unserer Anbetung und unseres Gehorsams würdig ist
· Es gibt Einen, dem wir als Grund unserer beständigen Hoffnung trauen dürfen“

Zum Unterkapitel „Die Wiederkehr der natürlichen Theologie“ schrieb er ab Seite 98:
„... Sie ist bescheidener in ihren Schlussfolgerungen. Sie diskutiert eher Einsichten als Beweise. Sie behauptet nicht, dass Gottes Existenz in einer logisch bezwingenden Weise bewiesen werden kann (wie freilich auch Gottes Nicht-Existenz nicht bewiesen werden kann), sondern will aufzeigen, dass der Theismus eine sinnvollere Deutung der Welt und unserer Erfahrungen bietet, als es der Atheismus tut. Ungläubige sind keine Dummköpfe, aber – so wird behauptet – sie können weniger erklären, als Gläubige es können....
In traditioneller Sprache ausgedrückt könnte man sagen, dass die neue natürliche Theologie den sogenannten „kosmologischen Gottesbeweis“ aufgreift, dessen Wurzel Leibniz’ grosse Frage ist:
· Warum existiert überhaupt etwas, und nicht nur nichts?
... Stattdessen erwecken ihre (=Naturgesetze) Formen Fragen, welche naturwissenschaftlich nicht mehr zu beantworten sind:
· Warum ist uns die natürliche Welt so verständlich?
· Warum sind ihre Gesetze so fein aufeinander abgestimmt, dass sich eine fruchtbare Geschichte entfalten kann?
· Warum ist Naturwissenschaft möglich?
· Warum hat das Universum so eine besondere Gestalt?


Auf diese Fragen folgt die „Verständlichkeit des Universums“ auf Seite 100:
„Das Universum ist überraschend zugänglich für uns: Es ist für unsere Erforschung rational transparent. Dieser Sachverhalt ist es, der es Naturwissenschaftlern ermöglicht, ihre Entdecklungen zu machen, aber er ist keineswegs trivial. Man würde erwarten, dass die natürliche Evolution den menschlichen Geist so gestaltet hat, dass er in der Lage ist, mit alltäglichen Problemen umzugehen, aber dass dieser Geist in der Lage ist, die subatomare Welt der Quantentheorie und die kosmischen Implikationen der allgemeinen Relativitätstheorie zu verstehen, geht weit über alles hinaus, was fürs Ueberleben notwendig ist. Diese Möglichkeiten des Menschen lediglich als glückliche Zufälle, als ungewollte Nebeneffekte von evolutionären Notwendigkeiten zu verstehen, hiesse unmotivierte Behauptungen von höchst zweifelhafter Pausibilität aufzustellen und so die Aufgabe zu verfehlen, jene Tatsache der kosmischen Verständlichkeit mit jener Ernsthaftigkeit zu behandeln, die sie verdient.“

Im anschliessenden Unterkapitel „Das antropische Universum“ ist für Polkinghorne auffällig, dass unser Universum so fein abgestimmt ist. Dies ist für das Leben und uns Menschen notwendig, jedoch in der Sache nicht zwingend. Deshalb könnte es den gestalterischen Willen eines Schöpfers ausdrücken. Zur Erinnerung die Definition dieser beiden Prinzipien:
· Das schwache anthropische Prinzip: Die Gesetze und Anfangsbedingungen des Universums müssen mit unserer Präsenz als Beobachter in ihm verträglich sein
· Das starke anthropische Prinzip: Das Universum musste Bedingungen hervorbringen, die das Auftreten von Beobachtern gestatten

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In „Eine Theologie der Natur“ entfaltete Polkinghorne von Seite 105-109 erneut grundlegende Gedanken von grosser Dichte:
„Während viele Physiker die hier entwickelten Ueberzeugungen teilen, haben sich einige Biologen dem theistischen Glauben stark widersetzt. Wir haben bereits ihre streng reduktionistischen Tendenzen wahrgenommen, die sie die Wahrnehmung einer nicht materialistischen Dimension der Wirklichkeit bestreiten lassen.
Biologen konzentrieren ihre Aufmerksamkeit auf einen bedeutenden, aber begrenzten Aspekt der Entwicklung des Kosmos, die Entwicklung des Lebens auf der Erde. Dass unser Universum mit den chemischen Stoffen ausgestattet ist, ohne die es kein Leben geben könnte, scheinen sie gewöhnlich für selbstverständlich zu halten. Sie schenken deshalb der anthropischen Feinabstimmung, die das ermöglicht hat, nur wenig Interesse. Die rationale Schönheit des Universums, welche Physiker so beeindruckt, ist auf der biologischen Ebene nicht sofort offensichtlich. Stattdessen findet man hier die Geschichte der Evolution des Lebens, die durch zufällige genetische Mutationen und die natürliche Selektion jener, die überleben, charakterisiert ist. Es ist eine Geschichte, in der die einen vom Tod der anderen profitieren. Von den Lebewesen, die einst existierten, hat nur der kleinste Teil bis heute überlebt. Evolution ist ein teures Geschäft. Die biologische Welt ist voll von beidem: von Schönheit und Grausamkeit....
Doch der Prozess der natürlichen Selektion ist ein mächtiges und flexibles Mittel indirekter Korrelation, in dem ein Theist den angemessenen Weg erkennen kann, den ein Schöpfer wählt, der es seiner Schöpfung erlaubt, sich selbst zu entwickeln. Dass die Geschichte des Universums kontingent ist, zeigt, dass die Evolution des Lebens nicht nach einem von Anfang an determinierten Plan abläuft....
Die kostspieligen und blinden Wege der Evolution sind der notwendige Preis für diese Offenheit de Schöpfung, ihre Möglichkeiten zu selbst zu entdecken....
Wenn die Entstehung des Lebens dagegen als so unwahrscheinlich angesehen wird, dass sie als glücklicher Zufall erscheint, sagen die Atheisten, dass dies zeige, dass der Mensch nur durch Zufall in einer sinnlosen Welt entstanden sei, während die Theisten hinter diesem fruchtbaren, aber unvorhersagbarem Ereignis Gottes Hand erkennen wollen. Die Naturwissenschaften beeinflussen unser metaphysisches Verständnis, aber sie determinieren es keineswegs einfach. Letztlich werden metaphysische Antworten aus metaphysischen Gründen gegeben.“

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