Modelle und Paradigmen
Im Kapitel „Modelle und Paradigmen“ von Seite 151-191 zeigt Barbour auch auf, dass die Naturwissenschaften nicht nur objektiv und zeitlos sind, sondern zugleich auch unvollständig, vorläufig und revisionsbedürftig gesehen werden müssen. Alle Wissenschaften unterliegen immer auch einem Paradigma, das er als Produkt spezifischer wissenschaftlicher Gemeinschaften zu spezifischen Zeitpunkten definiert. Er vertritt eher die Ansicht von Thomas Kuhn, der Naturwissenschaften kontextuell, relativ, historisch und kulturell beeinflusst einstufte. Karl Popper dagegen betonte eher deren Autonomie, Rationalität, eigene Logik und Eigenständigkeit. Barbour folgt hier Kuhn, indem er die Aehnlichkeit von naturwissenschaftlichen und religiösen Paradigmen aufzuzeigen versucht: beide arbeiten mit Begriffen, Theorien und Glaubenssätzen. Diese wiederum beeinflussen die Fragestellungen und Beobachtungen. Das führt zu Vorstellungen, Analogien und Modellen, die erdacht sind und als solche nicht beobachtet werden können. Daraus werden Annahmen getroffen und Forschungsbereiche und -gegenstände definiert, die dann beobachtet werden und mit Daten dokumentiert werden können (deduktiver Weg oder Reduktion).
Im religiösen Bereich ist das Vorgehen ähnlich, aber es sind dann eher Erfahrungen, Erzählungen und Rituale, die in heiligen Schriften festgehalten werden. Göttliche Offenbarung und menschliche Reaktion sind verbunden und bedingen sich; persönliche Beteiligung und Reflexion sollten sich abwechseln. Gott wird durch interpretierte Erfahrung erkannt. Im Christentum sind die zentralen Aussagen Gottes die Weltschöpfung, sein Bund mit Israel und das Leben Christi.
Zusammenfassend nochmals die Parallelen von Naturwissenschaft und Religion:
· Interaktion Daten mit Theorie (Naturwissenschaft) und Erfahrung mit Interpretation (Religion)
· Interpretationsgemeinschaft hat historischen Charakter und Einbettung
· Modelle werden sowohl von Naturwissenschaften als auch von Religionen verwendet
· Paradigmen haben Einfluss auf Naturwissenschaft und Religion
Eine naturwissenschaftliche Theorie wird heute nach folgenden Kriterien bewertet: Datenübereinstimmung, Kohärenz (Uebereinstimmung mit andern Theorien), Reichweite und Fruchtbarkeit für aktuelle und zukünftige Forschung. Modelle sind analog und tragen zur Veränderung und Erweiterung von Theorien bei, weil sie anregend sind.
Für die Paradigmen gilt: alle Daten sind theoriegeladen, alle Theorien sind paradigmengeladen und alle Paradigmen haben Beurteilungskriterien. Geschichtliche Ereignisse dagegen sind interpretationsgeladen.
Paradigmen im Christentum hat Hans Küng nach Epochen geordnet:
· Alexandrinisch (mit griechisch geprägter Theologie und Weltsicht)
· Augustinisch (mit römisch geprägter Theologie und Weltsicht)
· Thomistisch (mittelalterliche, scholastische Theologie und Weltsicht)
· Reformatorisch (mit Beginn der Neuzeit)
· Historisch-kritisch (Moderne mit aufgeklärter Weltsicht, Postmoderne mit Pluralismus und Ganzheitlichkeit ist vielleicht bereits ein neues Paradigma?)
Labels: Metaphysik, Modell, Natur, Naturwissenschaft, Paradigma, Philosophie, Religion, Theologie, Theorie, Weltbild
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