Montag, August 28, 2006

Mike Yaconelli

Mike Yaconelli lebte in Yreka, Nordkalifornien. Er war ein total nonkonformer Typ, der ein Satiremagazin gründete und einen Materialdienst für christliche Jugendarbeit betrieb: www.youthspecialties.com (Einige seiner Bücher wurden übersetzt und kamen auch in Deutsch heraus.)
Im Jahr 2004 half er seinem Vater beim Umzug und verunfallte danach mit seinem Auto tödlich. Ich habe einige Worte von Karla Yaconelli, seiner Frau, anlässlich der Abdankung von Mike Yaconelli in Yreka, California und dem Gedenkgottesdienst in San Diego, ins Deutsche übersetzt, weil sie mich beeindruckt und bewegt hatten:

„Aschenputtel“ Michael Charles Yaconelli.

"Unorganisiert. Total integer. Nett. Aufrichtig. Intensiv. Exzentrisch. Leidenschaftlich. Spontan. Zwischendurch ärgerlich. Extrem strahlend. Schmerzhaft ehrlich. Gesellig. Zu tiefst unsicher. Eine eigenartige Mischung aus Introversion und Extraversion. Spassliebend. Voll Zweifel... glaubensvoll... glaubensstiftend. Unpraktisch. Sorglos. Einsam. Abenteuerlich. Absoluter Meister der Romantik. Selbstkritisch. Inspirierend. Empfindlich. Kraftvoll. Stresskandidat. Kuschelig. Besessen von der Gnade. Gefüllt von Gnade. Leidenschaftlich. Poetisch. Verrückter auf den Strassen. Ausgelassen. Zwischen standfest und starr. Feinfühlig. Moralisch. Selbstlos. Sorglos und launisch. Prophetisch. Künstlerisch. Widerspenstig. Weise. Grosszügig. Ueberfallen von Angst. Rebellisch. Generös jenseits jeglicher Beschreibung. Jagte Gott nach. Jesus-Liebhaber. Stolz auf Jesus. Jesus wohnte in ihm. Mein...."

Was löst diese Beschreibung in dir aus?

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Donnerstag, August 24, 2006

John Bradschaw: Das Kind in uns

Da ich viel lese und sammle, möchte ich meine wichtigsten Zusammenfassungen all denen zur Verfügung stellen, die daran interessiert sind.
"Das Kind in uns" von John Bradshaw, das bei Droemer in Münschen 1992 erschienen ist, hat mich tief beeindruckt, so dass ich es zusammengefasst habe.

Etwas zum Autoren: John Bradshaw kann man nicht gerade als astreinen Christen bezeichnen. Er beruft sich auch relativ selten explizit auf den christlichen Glauben, das macht ihn mir symphatisch. Trotzdem habe ich viel von seinen grundsätzlichen Gedanken über Familiensysteme gelernt, weil er fähig ist, komplexe, schwer durchschaubare Zusammenhänge in klare Sätze zu fassen und starke Ausdrücke zu kleiden. Er ist heute eine Kapazität auf dem Gebiet der Familientherapie. Er wuchs in Houston, Texas, auf und erlebte eine schwierige Kindheit, weil sein Vater Alkoholiker war. Er studierte katholische Theologie in Kanada, wandte sich kurz vor der Ordinierung von der Kirche ab und war dann als Psychotherapeut und Managementberater tätig. Er versteht es wie nur wenige Personen, die Prozesse, die wir als Kinder durchleben, zu reflektieren und in tiefsinnige Aussagen zu packen: Keiner von uns hat eine ideale Kindheit erlebt, wir alle haben kleinere oder grössere Verletzungen abbekommen. Diese wirken oft weit ins Erwachsenenalter hinein und bestimmen uns und unsere Beziehungen wesentlich mit. Von diesen Verletzungen und von Heilungsprozessen, die möglich sind, schreibt John Bradshaw in seinem 384seitigen Buch, das vom Amerikanischen ins Deutsche übersetzt wurde. Nachfolgend gebe ich nur einige prägnante Aussagen, die er vorwiegend im ersten Teil dieses Buches macht, weiter:

Aus „Narzisstische Störungen“ auf Seite 31: „Jedes Kind braucht vorbehaltslose Liebe – zumindest zu Anfang. Das Kind muss sich in den Augen eines wohlwollenden Erwachsenen spiegeln können, sonst hat es keine Möglichkeit, zu erfahren, wer es ist. Jeder von uns war zuerst ein Wir, bevor er ein Ich wurde. Wir brauchten ein Gesicht, in dem wir alle Teile unseres Selbst wie in einem Spiegel erkennen können. Wir brauchten die Gewissheit, dass wir uns auf die Liebe der Bezugsperson, die sich um uns kümmerte, verlassen konnten, Das waren unsere gesunden narzisstischen Bedürfnisse. Wenn sie nicht befriedigt wurden, wurde unserem Gefühl für unsere Ichhaftigkeit Schaden zugefügt.“

Aus „Vertrauensprobleme“ auf Seite 32: „Wenn Bezugspersonen nicht vertrauenswürdig sind, entwickeln die Kinder mit der Zeit ein tiefes Gefühl des Misstrauens. Die Welt erscheint ihnen als ein gefährlicher, feindseliger und unberechenbarer Ort. Das Kind muss dann lernen, immer auf der Hut zu sein und die Situation unter Kontrolle zu behalten. Es ist schliesslich überzeugt, „wenn ich alles unter Kontrolle habe, kann mich niemand überraschen und verletzen“.“

Aus „Störungen der Intimität“ auf Seite 38: „Viele erwachsene Kinder sind ständig zwischen der Angst vor dem Alleingelassenwerden und der Angst vor dem Verschlungenwerden hin und her gerissen. Die einen leben in ständiger Isolation, weil sie Angst haben, von einem anderen Menschen erdrückt zu werden. Die anderen sind nicht in der Lage, eine zerstörerische Beziehung zu beenden, weil sie panische Angst vor dem Alleinsein haben. Die meisten Menschen bewegen sich zwischen diesen beiden Extremen.“
Dazu weiter auf Seite 40: „Es ist unmöglich, Intimität zu realisieren, wenn man kein Selbstwertgefühl hat. Wie soll man sich einem anderen Menschen hingeben können, wenn man selbst nicht weiss, wer man ist? Wie soll man sich einem anderen mitteilen können, wenn man nicht weiss, wer man wirklich ist?
Eine Möglichkeit, ein starkes Gefühl für sich selbst zu entwickeln, besteht darin, feste Grenzen zu ziehen. Wie die Grenzen eines Landes beschützen uns auch die Grenzen unseres Körpers, indem sie uns signalisieren, wenn uns jemand zu nahe kommt oder versucht, uns in unangemessener Weise zu berühren.. Unsere selbstbestimmten Grenzen in der Sexualität sorgen dafür, dass wir uns sexuell sicher und geborgen fühlen. (Menschen, die instabile sexuelle Grenzen haben, haben häufig Sex, obwohl sie es gar nicht wollen.)“
Dazu weiter auf Seite 42: „Die Erniedrigung eines anderen Menschen zum Sexualobjekt ist die Geissel der wahren Intimität. Intimität erfordert zwei vollständige Menschen, von denen jeder den anderen als Individuum achtet.“

Aus "Denkstörungen" auf Seite 45 & 46: „Jean Piaget nannte Kinder „kognitive Fremdlinge“. Sie denken anders als Erwachsene und neigen zum Absoluten. Ihr Denken ist durch ein Alles-oder-Nichts-Prinzip gekennzeichnet. Wenn du mich nicht liebst, dann hasst du mich. Dazwischen gibt es nichts anderes. Wenn mein Vater mich verlässt, werden mich alle Männer verlassen. Kinder sind nicht logisch. Das lässt sich am besten an einem Phänomen zeigen, das man „emotionales Argumentieren“ nennt. Ich habe ein bestimmtes Gefühl, also muss es so sein. Wenn ich mich schuldig fühle, muss ich eine verderbte Person sein.
Kinder brauchen eine ausgewogene Erziehung, damit sie lernen, wie man das Denken vom Fühlen unterscheidet – wie man über Gefühle nachdenkt und ein Gefühl für seine Gedanken entwickelt. Kinder denken egozentrisch, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie alles personalisieren. Wenn Dad keine Zeit für mich hat, bedeutet das, dass mit mir irgend etwas nicht stimmt. Kinder interpretieren die meisten Beschimpfungen so. Sie sind von Natur aus egozentrisch, ohne dass das ein Zeichen für Egoismus im moralischen Sinn sein muss. Kindern fällt es eben noch schwer, den Standpunkt eines anderen Menschen einzunehmen.

Aus "Optimismus" auf Seite 56 & 57: „Der natürliche Lebensfunke des Kindes drängt es dazu, die Welt auf eine optimistische Art zu erforschen. Wenn seine Bezugspersonen auch nur in etwa berechenbar sind, lernt das Kind, der Aussenwelt zu vertrauen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Kinder gehen natürlicherweise davon aus, dass die Welt ihnen freundlich gesinnt ist; sie sind voller Hoffnung, und es erscheint ihnen nichts unmöglich zu sein. Dieser natürliche Optimismus und dieses Vertrauen sind der Kern dessen, was uns die Natur mitgegeben hat, und die Säulen des sogenannten „kindlichen Glaubens“.
Dieser natürliche Optimismus und das Vertrauen der Kinder machen sie so verwundbar. Wenn ein Kind seinen Bezugspersonen völlig vertraut, ist es sehr verletzlich, wenn es beschimpft oder auf andere Weise angegriffen wird.

Aus "Naivität" auf Seite 58: Die Eltern oder die anderen erwachsenen Bezugspersonen müssen Geduld haben und verständnisvoll sein. Wenn ihnen diese Eigenschaften fehlen, erwarten sie zuviel von ihrem Kind. In den meisten Fällen von Kindesmisshandlungen, die mir bekannt sind, war der misshandelnde Elternteil fest davon überzeugt, dass das Kind in böser Absicht gehandelt hatte. Alle diese Erwachsenen hatten von dem Kind einen Reifegrad erwartet, der seinem tatsächlichen Alter überhaupt nicht entsprach.“

Aus "Einzigartigkeit" auf Seite 65 & 66: „Das natürliche Gefühl eines Kindes für Werte und Würde ist sehr anfällig, da es ständig von der unmittelbaren Rückmeldung und dem Echo der Bezugsperson abhängt, von der es versorgt wird. Wenn die Bezugsperson dem Kind kein wirklichkeitsgetreues und liebevolles Feedback gibt, verliert es das Gefühl dafür, dass es etwas Besonderes und Einzigartiges ist.
Zur Spiritualität gehört etwas, das tief in uns verborgen liegt und unser authentischster Teil ist – unser wahres Selbst. Wenn wir spirituell sind, stehen wir im Kontakt mit unserer Einzigartigkeit und Besonderheit. Das ist unser elementares Sein, unsere Ichhaftigkeit. Zur Spiritualität gehört ausserdem ein Gefühl für die Verbindung mit etwas, was grösser ist als wir selbst, und auf das wir uns gründen. Kinder sind von Natur aus gläubig – sie wissen, dass es etwas gibt, was grösser ist als sie selbst.
Ich glaube, dass unsere Ichhaftigkeit der Wesenskern dessen ist, was unsere Aehnlichkeit mit Gott ausmacht. Wenn ein Mensch ein Gefühl für diese Qualität hat, ist er in Harmonie mit sich und kann sich selbst annehmen. Kinder können das von Natur aus. Schauen Sie sich irgendein gesundes Kind an, dann werden Sie bei ihm einen Ausdruck erkennen, der besagt: „Ich bin, wer ich bin.“ Interessanterweise sagt Gott zu Moses in der Theophanie des brennenden Dornbuschs (Exodus 3,14): „Ich bin der „Ich-bin-da“.“ In diesem ICH BIN liegt der tiefste Sinn menschlicher Spiritualität, der alle Eigenschaften einschliesst, die mit dem Wertvollen, Besonderen verbunden sind. Im Neuen Testament findet sich immer wieder eine Situation, in der Jesus dem „Einzelnen“ die Hand reicht: dem verirrten Lamm, dem verlorenen Sohn, dem Menschen, der es verdient, dass man sich bis zum letzten Atemzug für ihn einsetzt. Der „Einzelne“ ist der, der er ist; es hat ihn vorher nie gegeben und es wird ihn auch nicht noch einmal geben.“

Aus "Liebe" auf Seite 66 & 67: „Kinder sind von Natur aus prädestiniert, zu lieben und ihre Zuneigung auszudrücken. Trotzdem muss jedes Kind erst geliebt werden, bevor es selbst lieben kann. Es lernt lieben, indem es selbst geliebt wird. Montagu schreibt: “Von allen menschlichen Bedürfnissen ist das Bedürfnis, geliebt zu werden ... das elementarste ... Es ist ein Bedürfnis, das uns menschlich werden lässt.“
Kein Säugling besitzt die Fähigkeit zu einer reifen, altruistischen Liebe. Er liebt auf eine Art, die seinem Alter entspricht. Die gesunde Entwicklung des Kindes hängt davon ab, dass es von einem Menschen geliebt wird, der es vorbehaltlos akzeptiert. Wenn dieses Bedürfnis befriedigt wird, wird die Liebeseneregie des Kindes freigesetzt, so dass es andere lieben kann.
Wenn das Kind in der Seele des Erwachsenen so schwer verletzt worden ist und unter solchen entbehrungen leiden musste, kann der Erwachsene später nur noch einen schwachen Widerhall aus der Welt der anderen Menschen wahrnehmen. Sein Hunger nach Liebe lässt ihn nie los. Das Bedürfnis bleibt bestehen, und das verletzte Kinde in ihm füllt diese Leere auf die Weise aus, die ich beschrieben habe.“

Aus "Sexueller Missbrauch" auf Seite 70: „Darunter versteht man, dass das Kind von einem Erwachsenen zur Befriedigung seiner sexuellen Lust missbraucht wird. Das Kind lernt dadurch, dass es für den Erwachsenen nur dann eine Bedeutung hat, wenn es sich sexuell betätigt. Die Folge einer solchen Verletzung ist, dass der Mensch als Erwachsener glaubt, er könne wahre Liebe eines anderen Menschen nur dann erringen, wenn er ein phantastischer Liebhaber oder ein sexuell ungewöhnlich attraktiver Mensch ist. Es gibt viele Formen des sexuellen Missbrauchs. Die nichtkörperlichen sind die, die am häufigsten nicht erkannt werden und das Opfer auf die schlimmste Weise neurotisieren.
Um nichtkörperlichen oder emotionalen sexuellen Missbrauch richtig verstehen zu können, müssen wir begreifen, dass die Familie ein soziales System ist, das seine eigenen Gesetze hat...
Das Familiensystem besteht ausserdem aus Komponten, von denen die wichtigste die Ehe ist. Wenn die Intimbeziehung der Ehe gestört ist, übernimmt das Familienprinzip des Gleichgewichts und des Ausgleichs das Regiment. Die Familie braucht eine gesunde Ehe, um im Gleichgewicht bleiben zu können. Wenn das Gleichgewicht gestört ist, drängt die Dynamik die Kinder dazu, es wiederherzustellen.
Die Faustregel lautet: Wenn ein Kind für einen Elternteil wichtiger ist als der eigene Partner, entsteht die Gefahr sexuellen Missbrauchs, der darin besteht, dass der Vater oder die Mutter das Kind für seine eigenen Bedürfnisse benützen. Ein derartiges Verhalten kehrt die natürlichen Verhältnisse um. Die Eltern sind dazu da, den Kindern Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen Orientierungen zu vermitteln, nicht, um sie zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu benützen, denn benützen bedeutet soviel wie missbrauchen.“

Aus Epilog „Nach Hause, Elliott, nach Hause!“ auf Seite 381: „Wie sehr wir uns auch anstrengen, um das Kind in uns zurückzugewinnen und zu beschützen, es bleibt trotzdem in jedem von uns eine gewisse Leere. Ich nenne das den „metaphysischen Blues“. Es ist natürlich ein freudiges Ereignis, wenn wir das Kind in uns zurückgewinnen und in unsere Obhut nehmen. Für viele von uns ist es ein Gefühl, als ob sie zum erstenmal wirklich nach Hause kämen. Aber auch wenn wir uns sicher fühlen und einander verbunden sind, haben wir alle doch noch eine Reise durch die Finsternis vor uns. Und so erschreckend das auch sein mag, es sehnt sich trotzdem jeder von uns tief in seinem Innersten danach. Denn gleichgültig, welche Träume in Erfüllung gehen, immer erleben wir auch so etwas wie eine kleine Enttäuschung, wenn wir an einem dieser Ziele angelangt sind. Dann sagen wir mit Dante, Shakespeare und Mozart: War das alles?
Ich glaube, dass dieses Gefühl der Enttäuschung dadurch entsteht, dass wir alle noch ein anderes Zuhause haben, wo wir wirklich hingehören. Ich glaube daran, dass wir alle aus der Tiefe des Seins kommen und dass dieses Sein uns wieder zurückruft. Ich glaube, dass wir von Gott kommen und dass wir Gottes Geschöpfe sind. Gleichgültig, wie gut es uns geht, wir sind nie wirklich zu Hause. Augustinus, auch ein verletztes Kind, hat das schön ausgedrückt: „Du hast uns für Dich selbst erschaffen, O Herr, und unsere unruhigen Herzen finden erst Frieden, wenn sie in Dir ruhen.“ Das wird dann endlich unsere wahre Heimkehr sein.“


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Mittwoch, August 23, 2006

Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz

Dieser aussergewöhnliche Titel ist ein Buchtitel von René Girard. Eigentlich ist es ein Zitat von Jesus aus dem Lukasevangelium 10,18, das er zu den 72 Jüngern sprach, die voll Freude zu ihm zurückgekehrt waren und über den Gehorsam der Dämonen berichtetet hatten. Der letzte Satz von Jesus in diesem Zusammenhang: "Freut euch, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind" ist geläufiger.
Warum beginnt ein Buchautor mit einem solchen Satz? Worum geht es in diesem Werk?
Der Untertitel: "Eine kritische Apologie des Christentums" gibt eine erste Antwort. Die Originalausgabe schrieb Girard, ein Kulturantrophologe, in Französisch: "Je vois Satan tomber comme l'éclair" und erschien 1999 in Paris bei Ed. Grasset & Fasquelle. Die deutsche Uebersetzung kam 2002 bei Carl Hanser Verlag in München heraus (ISBN-Nummer: 3-446-20230-7).
Noch etwas zum Autor: René Girard wurde 1923 in Avignon geboren. Er lehrte lange Zeit an der renommierten Stanford University in Kalifornien. Bekannt wurde Girard durch sein Werk "Das Heilige und die Gewalt", das 1972 in Französisch und 1987 in Deutsch erschien. Dadurch beeinflusste er Religionsgeschichte und Kulturantropologie stark. Er starb im Jahr 2005. Mehr zu René Girard ist im Internetlexikon "wikipedia" zu finden.

Zu diesem Werk: Girard verteidigt in seinem Werk das Christentum als Programm zur Ueberwindung der Gewalt. Wie kommt er dazu? Er vergleicht die alten Mythen mit den Evangelien und stösst auf einen diametralen Gegensatz bezüglich Gewalt: In den Mythen wird sie eher zufällig, sicher nicht offensichtlich dargestellt und somit verschleiert und geleugnet. In den Evangelien wird nichts versteckt, die schreckliche Gewalt wird freigelegt und dadurch kritisierbar.
Girard entfaltet nachvollziehbar eine Theorie der Gewalt. Sein zentraler Begriff ist "Mimesis", was Nachahmung bedeutet. Der Mensch imitiert, ahmt sehr viele Dinge nach, gerade auch Gewalttätigkeit. Und das ist laut Girard das Wesen Satans: Die Nachahmung und die darauffolgende Eskalation der Gewalt. Das drückt sich konkret in der Strategie des unschuldigen Opfers, des Sündenbocks, aus, der von einer Gruppe einmütig, aber zu Unrecht verurteilt und ermordet wird. Die Mythen erzählen zwar davon, jedoch immer verschleiernd. Erst die Evangelien decken Satans Strategien wirklich auf und zeigen durch Jesu Menschwerdung, Leiden, Tod und Auferstehung eine völlige Ueberwindung der Gewalt auf. Um zu verstehen, wie Girard sein Thema entfaltet, formuliert und argumentiert, dienen nachfolgend einige wichtige Textpassagen aus seinem Buch:

S. 16: "Die mythischen Erzählungen stellen die Opfer der Kollektivgewalt als schuldig dar. Sie sind schlicht falsch, illusorisch und lügnerisch. Die alt- und neutestamentlichen Berichte stellen dieselben Opfer als unschuldig dar. Sie sind per se exakt, vertrauenswürdig, wahrhaftig."

S. 18: "Der vorliegende Essay ist letztlich das, was man einst eine Apologie des Christentums nannte... Wenn das Kreuz alle Mythologie effizienter entmystifiziert als Bultmanns Automobile und Elektrizität, wenn es uns jener Illusionen beraubt, die sich in unseren Philosophien und unseren Sozialwissenschaften endlos fortschreiben, dann können wir nicht ohne es auskommen. Weit davon entfernt, jemals altmodisch und überholt u sein, ist die Religion des Kreuzes als Ganzes mehr denn je jene Perle, deren Erwerb den Verkauf all unseren Besitzes lohnt."

S. 139: "Der mimetische Zyklus findet sich nur teilweise in den alttestamentlichen Erzählungen. Die mimetische Krise und der Kollektivmord am Opfer sind vorhanden, doch das dritte Moment des Zyklus fehlt: die religiöse Epiphanie, die Auferstehung, welche die Göttlichkeit des Opfers offenbart. ... In ihr gibt es für die Opfer offensichtlich niemals eine Auferstehung: Dort gibt es weder einen zum Opfer gemachten Gott noch ein zur Gottheit erhobenes Opfer."

S. 156: "In den Evangelien hingegen finden sich nicht bloss die beiden ersten Momente des mimetischen Zyklus, sondern das dritte, von der hebräischen Bibel spektakulär verworfene Moment. ... Seit dem Menschheitsursprung wurzelten vermutlich alle Götter im Opfermechanismus. Das Judentum besiegte diese tausendköpfige Hydra."

S. 158: "In unserer antropologischen Perspektive hingegen stellen wir fest, dass die Evangelien die wesentliche Leistung der hebräischen Bibel bestehen lassen: Das Verhältnis zwischen Opfern und Verfolgern ist vollkommen anders als in den Mythen, vorherrschend ist das biblische Verhältnis, das wir soeben in der Josephsgeschichte entdeckt haben. Wie die hebräische Bibel rehabilitieren die Evangelien die kollektiven Opfer und klagen deren Verfolger an. Jesus ist unschuldig, schuldig sind jene, die ihn kreuzigen lassen. Johannes der Täufer ist unschuldig, schuldig sind jene, die ihn enthaupten lassen."

S. 187: "Bis zur Auferstehung deutete gar nichts auf das Umschlagen eines mimetischen Furors, dem die Jünger selbst bereits mehr oder weniger erlegen waren. Die Herrscher dieser Welt konnten sich die Hände reiben, doch letztlich ging ihr Kalkül nicht auf. Statt einmal mehr das Geheimnis des Opfermechanismus zu vertuschen, verbreiteten es die vier Passionsberichte über die ganze Erde und verhalfen ihm zu enormer Publizität."

S. 193: "Die biblische und christliche Befähigung, Opferphänomene zu verstehen, schimmert in der modernen Bedeutung bestimmter Ausdrücke wie etwa "Sündenbock" durch."

S. 200: " Der Ausdruck Sündenbock bezeichnet also
1. das im Leviticus beschriebene rituelle Opfer
2. alle Opfer analoger Riten, wie sie in archaischen Gesellschaften existieren, auch Ausstossungsriten
3. alle nicht ritualisierten kollektiven Uebertragungsphänomene, die wir rund um uns beobachten oder zu beobachten glauben."

S. 236: "Parakletos" bedeutet ursprünglich Anwalt am Gericht, Verteidiger der Angeklagten ... Es gilt, den Gedanken, dass der Heilige Geist die Verfolger über ihre eigenen Verfolgungen aufklärt, wörtlich zu nehmen. Der Heilige Geist offenbart den Individuen die buchstäbliche Wahrheit dessen, was Jesus am Kreuz gesagt hat: Sie wissen nicht, was sie tun. Es gilt, auch an den Gott zu denken, den Hiob "meinen Verteidiger" nennt.
Die Entstehung des Christentums ist der Sieg des Parakleten über sein Gegenüber, Satan, dessen Name ursprünglich der Ankläger vor Gericht bedeutet, denjenigen, der mit der Aufgabe beauftragt ist, die Schuld der Angeklagten zu beweisen. Das ist einer der Gründe, weshalb die Evangelien aus Satan den für jede Mythologie Verantwortlichen machen."

S. 238: "Die Auferstehung lässt Petrus und Paulus und nach ihnen alle Gläubigen begreifen, dass jedes Gefangensein in der sakralisierten Gewalt Gewalt gegen Christus ist. Der ist niemals das Opfer Gottes, Gott ist stets das Opfer des Menschen."

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Freitag, August 18, 2006

Das Herz und der Schatz

Im letzten Teil möchte ich Wilfried Daim ab Seite 151 und fortfolgende zu Wort kommen lassen:
Christi Wort: "Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz" zielt auf einen zentralen Sachverhalt des menschlichen Daseins. Der Schatz ist, wie Christus sagt, das Himmelreich. Die beiden Gleichnisse, die sich mit dem Schatz und der Perle beschäftigen, zeigen, dass der Schatz den Inbegriff des Wertvollen für einen Menschen darstellt. Er ist der für einen Menschen absolute Wert, der Wert, der den Inbegriff seines Strebens und Begehrens ausmacht: sein Schatz.
Credere kommt, wie wir an anderer Stelle bereits ausführten, von cor-dare, Sein-Herz-setzen. Das Herz ist hier ein Symbol für das Zentralste im Menschen. Es symbolisiert das organisierende Zentrum der menschlichen Kräfte, es ist das personale Zentrum, das Wichtigste im Menschen, das was seine Kräfte integriert. Man liebt, glaubt und hofft mit dem Herzen. Die zentralen positiven und negativen Affekte sind solche des Herzens: Liebe und Angst. Der Schatz nun steht zum Herzen in enger Beziehung. Das Herz wird "an etwas gehängt", wird auf etwas gesetzt. ...
Es mag eine Formulierung gewagt werden, die leicht falsch verstanden werden kann: Dem objektiven Gott entspricht das Göttliche in uns. Es ist diese Fähigkeit des Verhaltens zum Absoluten das Kernstück der menschlichen Persönlichkeit, und sein Symbol ist das Herz. Diese Fähigkeit, das Verhaltenkönnen zum Absoluten, ist das Wesentlichste eines Menschen und auch das Wertvollste seiner selbst. es ist das Selbst schlechthin.
Diese Fähigkeit muss in jedem Falle betätigt werden. Wie wir schon zitierten: Wer keinen Gott hat, hat einen Götzen. Der Mensch identifiziert sich mit seinem Schatz, das heisst, er steht und fällt mit seinem Absoluten. Der Schatz eines Menschen und sein Herz sind sozusagen miteinander verschmolzen, sind für den Menschen miteinander vertauschbar. Der Mensch hat sein Herz an sein Absolutes abgetreten, das ihn nun dirigiert, sich seiner Kräfte bemächtigt und diese auf sich hin zentriert, wie wir das schon darstellten.
Das Herz ist hingeordnet auf Gott, der sein eigentlicher Schatz ist. Daher ist das Herz auch unruhig "bis es ruht in Gott". Wird diese Hinordnung realisiert, dann besitzt der Mensch auch sich selber, so paradox es klingen mag. Er ist dann fähig, seine eigene Wirklichkeit zu leben und zu entfalten, da sein eigenes Zentrum in Ordnung ist. Der Mensch ist dann "er selber", wenn Gott sein Schatz ist.
Die Realisierung des eigenen Selbstwertes und damit auch die echte Selbständigkeit ist nur dann möglich, wenn das Herz des Menschen im realen Absoluten verankert ist. Das Herz eines Menschen ist sein subjektives Heiligtum, und es ist wichtig, was er dort verehrt. Man könnte das Herz auch "heiliges Selbst" oder "wahres Selbst" nennen, dem das bewusste Ich nur vorgebaut ist.

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Donnerstag, August 17, 2006

Gottesforderung und Götzenforderung

Wilfried Daim schrieb auf Seite 138-143:
Das Absolute erfordert ein Verhältnis zu ihm, das selbst absolut ist. Die Unverbindlichkeit wird ihm nicht geduldet. Moses vor dem Dornbusch ist es nicht erlaubt, zu sagen: "Das interessiert mich nicht!"
Im Motto unseres Buches haben wir Kierkegaard zitiert: "... dass der einzelne in einem absoluten Verhältnis zum Absoluten steht..." Das Absolute erfordert einfach ein unbedingtes Verhältnis zu ihm. So gewinnt der Mensch aus seinem Absoluten heraus eine von diesem geforderte Orientierung seines Handelns und Wirkens. Er erfährt und vernimmt von seinem Absoluten eine ganze Struktur von Forderungen, von Geboten und Verboten, die sein Leben auf das absolute hin abstellt und hinordnet. Die absolute Verbindlichkeit dieser Forderungen gestattet kein Kompromiss. Alles, was von diesem Absoluten herkommt, hat diesen absoluten Charakter. Es gibt hier keine Diskussionsbasis, die irgendein Ausweichen ermöglichen würde. Diese Forderungen haben einen unbedingten Charakter, sie geben nicht die Möglichkeit eines Abweges. Dieser unerbittliche Ernst der Forderungen ist insoferne existentiell, als sie ja das Absolute des Menschen selbst betreffen.
Die eigentliche (wir gebrauchen das Wort weiterhin im anfangs gebrauchten Sinn) absolute Forderung an den einzelnen erlebt er im Gewissen. Theologisch formuliert, ist das Gewissen die Stimme Gottes in uns. Ist Gott, wie in unserem Parabelgleichnis das, worauf der Mensch wahrhaft gerichtet ist, dann erfährt er einerseits dessen direkte Forderungen – der zentrale Strahl – als auch seine indirekten im Umweg über die Dinge. Da nur der, so auf Gott hin gerichtete Mensch ein wirklich sachliches Verhältnis zu den Dingen hat, ihnen also ihrem Wesen gemäss begegnet, so werden ihn auch die Gewisssensforderungen zum sachgemässen Handeln und Behandeln der Dinge auffordern. …
Das Gewissen stellt also letztlich nicht mehr und nicht weniger dar als die absolute Forderung nach einer sachlichen Begegnung mit Gott und Welt. Nur dann, wenn seine Forderungen erfüllt werden, besteht eine Uebereinstimmung zwischen Welt und Erkenntnis, aber auch zwischen Welt und Selbstverwirklichung. Die Erkenntnisse sind dann wahr, die Handlungen wahrhaftig. …

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Mittwoch, August 16, 2006

Gott oder Götze

Wilfried Daim schrieb ab Seite 129:
Das Absolute ist für den Menschen unausweichlich. Es muss der Mensch ein Absolutes haben. Ohne ein Absolutes ist der Mensch existenzunfähig, wenn es ihm auch nicht bewusst ist. Doch ist noch unsere Frage nach einer objektiven Existenz eines Absoluten und dem subjektiven Verhältnis des Menschen dazu unbeantwortet.
Wir sind von der Existenz eines wirklichen und wahren Absoluten überzeugt. Und zwar schon aus psychologischen Gründen. Wäre dem nicht so, gäbe es also kein Absolutes, dann müssten wir die zentralste Fähigkeit des Menschen, seine Potenz, mit dem Absoluten zu kommunizieren, ihren objektiven Gegenstand nehmen und den Menschen schliesslich zur Verzweiflung verurteilen.
... Der Mensch wäre das einzige verfluchte Wesen, dessen zentralste Fähigkeit, die ihm in der Welt einen absoluten Halt verspricht, keinen wahren Gegenstand besitzt.
Wäre dem so, dann wäre aller Sinn eine Illusion. Wir haben nur die Wahl zwischen Sinnlosigkeit des Seelenlebens und psychologischem Gottesbeweis. Entweder das eine oder das andere. Wir entscheiden uns für das letztere und glauben an die Existenz eine objektiven Absoluten, das unabhängig von der Existenz des Menschen, an sich ist.
Das objektiv Absolute ist Gott. Des Menschen zentralste Potenz ist die Fähigkeit der Kommunikation mit ihm. Gott ist der Welt gegenüber transzendent, er ist nicht die Welt und nichts in der Welt. Wenn nun das subjektiv Absolute mit dem objektiv Absoluten zusammentrifft und sich deckt, dann ist das Absolutheitserleben situationsadäquat und der Mensch im wesentlichsten seines Seelenlebens, im Erleben des Absoluten und im Verhalten zu ihm, realitätsangepasst.
Subjektives Erkennen und Handeln erfolgt also dann der Realität gemäss.
Wird aber nicht das Absolute als absolut genommen, sondern als relativ, dafür aber etwas Relatives als Absolutes, dann entsteht ein zentraler Konflikt im Menschen. Jenes Relative, das verabsolutiert wurde, ist nun nicht Gott, sondern ein Götze. Der Götze entsteht also durch eine Vergötterung eines Relativen und geht mit einer Entthronung Gottes einher, der demgegenüber entgottet, also relativiert wurde.
Mit der Relativierung Gottes und der Verabsolutierung eines Götzen entsteht aber ein Zusammenstoss mit der Realität, der verhängnisvolle Folgen haben muss. Die faktische Orientierung der Welt auf Gott hin, wie sie objektiv besteht, weicht einer falschen Orientierung auf einen Götzen hin. Die ontologisch (Ontologie = Lehre des Seins) wahre Orientierung des menschlichen Seelenlebens wird einer falschen Orientierung geopfert.
Das wirkliche Sein der Dinge wird nur dann richtig gesehen, wenn sie in ihrer Ordnung auf das Absolute hin richtig eingeschätzt werden und die Dinge auch dahin richtig orientiert bleiben. Die Gegenstände der Realität werden so in ihrem richtigen Bezugssystem erkannt. Nicht nur die Dinge der Aussenwelt, sondern auch die der Innenwelt können dann in der richtigen Weise beurteilt werden.
Wird aber aus der Realität ein Sektor der Welt ausgeschnitten und zum Götzen erhoben, also verabsolutiert, dann tritt eine Verzerrung und Verrückung des Standpunktes sowohl der Dinge als auch der Person selber ein. Mensch und Welt sind zueinander verrückt, die gegebenen Ordnungen sind zerbrochen.
Der Götze selber wird dabei ungeheuer überschätzt, Gott aber im gleichen Masse unterschätzt. Verrückte Erkenntnisse aber führen auch zu einem verrückten Handeln. Das Handeln ist nicht wesensgemäss, nicht situationsadäquat und zielt an den Gegenständen vorbei. Dadurch entsteht ein Zusammenstoss mit der Wirklichkeit, der den wahren Grund der Neurose und vielleicht auch der Psychose darstellt.
Wir wollen unsere Thesen an einem mathematischen Gleichnis weiter ausführen.
... Die nächste Abbildung zeigt uns die Parabel als Gleichnis für die wirkliche und wahre, für die normale Struktur von der Person zur Welt. Die Person steht im Brennpunkt der Parabel. Die Gegenstände stehen an ihrem wahren Ort. Sie empfangen Strahlen aus dem Unendlichen, das wegen seiner Unendlichkeit als Symbol für Gott geeignet ist. Die Gegenstände empfangen also ihr Licht, das heisst sie werden in der richtigen Weise durchsichtig und klar von Gott her,und strahlen es weiter auf die Person hin, wo sich das Licht sammelt. Sie vermitteln so kraft ihres Standpunktes für die Person das Licht von Gott her. Sie sind Mittler, oder tiefenpsychologischer gesprochen, sie sind Symbole Gottes, die ihn repräsentieren.
Die Dinge sind für den normalen Menschen, dessen Welt unverrückt ist, Symbole Gottes. Alles, was ist, ist auf den absoluten Gott hin strukturiert und steht erst dann, wenn es so gesehen wird, in der richtigen Ordnung.
Das Parabelgleichnis führt uns jedoch noch weiter. Der zentrale, aus dem Unendlichen kommende Strahl, der Achsstrahl der Parabel, trifft ungebrochen von einem Ding direkt auf die Person. Es ist dies ein Symbol für die mögliche direkte Beziehung eines Menschen zu Gott.
Die Unendlichkeit der Parabelbögen selber aber vermag die Tatsache zu symbolisieren, dass alle Gegenstände der Welt auf dieser Linie ihre Position besitzen können. Sie stehen im "richtigen Lichte" da, besitzen sämtlich eine Beziehung zu Gott und zur wahrnehmenden Person.
Schliesslich vermag die Parabel auch noch zu zeigen, dass die Person im Brennpunkt von allen Seiten her göttliches Licht empfangen kann und dass kein Gegenstand hierfür zu gering ist.
Auf diese Weise symbolisiert also der Brennpunkt die Person, die Parabel die Welt und ihre Gegenstände, und die aus dem Unendlichen her kommenden parallelen Strahlen symbolisieren die Beziehungen zu Gott. Der zentrale Strahl aber symbolisiert die direkte Beziehung der Person zu Gott.
Das Gleichnis hat aber seine Gleichniskraft noch nicht erschöpft. Der Brennpunkt empfängt nicht nur, sondern er vermag auch auszusenden. Wenn die Person in der richtigen Weise wirkt und die Gegenstände seinsgemäss behandelt, dann hat dies seine Auswirkungen in die Unendlichkeit.
Oder anders: Wenn die Person im Brennpunkt den Gegenstand in der richtigen Weise sieht und an dem Ort erkennt, an dem er wirklich steht, dann wird sie ihn auch so behandeln, wie es ihm zusteht.
Das heisst, um im Gleichnis zu bleiben, sie sendet seine Strahlen so aus, dass sie in die Unendlichkeit reflektiert werden, sie wird aber auch eine direkte Beziehung zu Gott haben, indem sie den zentralen Strahl auch ebenso zentral beantwortet.
Schliesslich ermöglicht das Parabelschema, auch noch gleichnishaft die unendliche Entwickelbarkeit menschlicher Existenz aufzuzeigen. Die Parabel ist ein offenes System, kein geschlossenes. In einem stetigen Entwicklungsprozess vermag so der Mensch seinen Welthorizont zu erweitern und fortzuschreiten.
Die Offenheit zum Absoluten konstituiert die Offenheit zur Welt. Es macht auch diese Offenheit zum Absoluten und zur Welt das Kriterium der menschlichen Existenz gegenüber der tierischen aus. Dies also wäre die normale Beziehung. Um die abnorme Beziehung darzutun, wählen wir als Gleichnis die Ellipse.
Wir sprachen davon, dass in der "verrückten Welt" ein Gegenstand verabsolutiert wird, das heisst, dass er die Rolle übernimmt, die eigentlich Gott zukäme. Im Falle unseres Beispiels wurde der Gegenstand zum Götzen erhoben. Es wird als der Strahl, der von Gott direkt kommt, nicht als solcher anerkannt, sondern der vom Gegenstand her kommende als der eigentlich göttliche erklärt.
Zunächst zeigt uns das Gleichnis, dass der Götzendiener nicht völlig unrecht hat. Denn tatsächlich kommt ja vom Gegenstand her ein göttlicher Strahl. Auch der verabsolutierte Gegenstand wird vom Strahl Gottes durchleuchtet. Auch er ist Symbol und Wegweiser für das gesendete Licht. Was ist aber nun eigentlich falsch?
Die Person P nimmt den Gegenstand als Götzen, das heisst, dass sie den von ihm herkommenden Strahl als den direkten göttlichen betrachtet und den Gegenstand selber zu Gott macht. Das Götzenhafte liegt in der Verwechslung von Symbol und Symbolisiertem. Das, was die Person davon profitiert, ist, dass sie Gott greifbar hat wie einen Gegenstand, doch entsteht dadurch ein falsches Bild der Realität, was die Verrückung ausmacht.
Lag nun bei der Parabel der zweite Brennpunkt im Unendlichen, daher die Parallelität der Strahlen, so hier im Endlichen. Damit wurde der auf Unendlichkeit hin veranlagte Mensch seiner zentralen Fähigkeit verlustig, das heisst sie wurde nicht anerkannt, wurde verdrängt.
Um eine Umordnung der wahren Verhältnisse zu ermöglichen, müssen aber auch alle anderen Gegenstände umgestellt und aus ihrer wahren Ordnung herausgenommen werden. Sie werden dem Götzen gemäss verrückt. Auch sie werden nicht vollständig falsch gesehen. Die von ihnen herkommenden und von der Person hingesendeten Strahlen erfahren ein verschiedenes Schicksal, nur das nicht, welches ihnen kraft ihrer Wesenheit zukäme. Alle ihre möglichen Schicksale vermögen uns als Gleichnisse zu dienen.
Die Gegenstände werden, um ins Götzensystem zu passen, viel näher lokalisiert, als sie wirklich stehen. Die Gegenstände G liegen nun auf der Ellipse - allerdings nur in der Phantasie der Person P – und erhalten auch so scheinbar vom Götzen ihr Licht. ... Gott, der im parabolischen System seinen Platz im Unendlichen hat, wird im Götzensystem der Ellipse zu einem Ding unter anderen umgelogen.
Die Vergötzung lässt also die Welt zur Gänze verzerrt erscheinen, und zwar geschieht die Verrückung in der verschiedensten Weise.
Diese verzerrte Erscheinung der Welt bringt es mit sich, dass auch das Handeln der Person P, das ja so erfolgt, als ob die Welt eine Ellipse wäre und nicht eine Parabel, ganz andere Folgen hat, als sich die Person P träumen liess. ...
Die schlimmste Enttäuschung aber wird ihr der Götze bereiten. Sie erwartet von ihm alles, doch der Gegenstand ist nicht alles und gibt ihr zu wenig. Er selbst kann dafür gar nichts. So hasst sie ihn zuletzt deshalb, weil es ihr zu wenig ist, was ihr geboten wird. Jeder Götze hat noch seinen Diener enttäuscht. Dies hat einen tiefen Grund. Der aus dem Unendlichen und daher symbolisch direkt von Gott herkommende Strahl wird normalerweise mit einem in die gleiche Richtung laufenden Strahl beantwortet. Hier läuft also die göttliche Kundgabe und die menschliche Antwort nicht über einen symbolisierenden Gegenstand, sondern erfolgt direkt.
Dieser Antwortstrahl soll also direkt im Götzen einen Halt finden, wo er doch für die Unendlichkeit bestimmt ist. Dies hält auf die Dauer kein Götze aus. Dies ist die grösste Enttäuschung jedes Götzendieners. Den Mantel der Unendlichkeit und der Absolutheit kann kein Relatives tragen. Wer einem Gegenstand diesen Mantel umhängt, wird enttäuscht. Doch zuerst hat er sich selber getäuscht. Er hat das Relative mit dem Absoluten vertauscht und wurde dann, als dieses Relative sich diesen Tausch nicht gefallen liess, enttäuscht.
Welchen Gegenstand nun eine Person verabsolutiert, hängt von verschiedenen anderen Umständen ab, wesentlich ist jedoch, dass sie verabsolutiert. In der Enttäuschung durch die Wirklichkeit, in der Rache der Realität für ihre Vergötzung, die sie selber erfährt, kündet sich die "Eifersucht" Gottes. Auf die Dauer stürzen alle Götzen von selber. ...
Eines ist aber noch sehr bedeutsam. Die Vergötzung eines Weltgegenstandes geschieht vom Ich her. Es wird ein Privatgott konstituiert, der schliesslich von Gnaden der verabsoltierenden Person existiert. Dies bringt mit sich, dass dieser verabsolutierende Akt schliesslich ein hybrischer Akt ist, er kommt von der Person als ein Akt, der zugleich mit der Verabsolutierung des Götzengegenstandes auch eine ungeheure Selbstüberhebung enthält. Die verabsolutierende Person wird so zum Gottesproduzenten. Gott wird so zu einem Geschöpf der Menschen, und so setzt sich der Mensch dabei selber absolut. Es ist also schliesslich das "sicut Deus", was den Kern dieser Verabsolutierung ausmacht.
So bedeutet die Vergötzung schliesslich auch noch eine Verzerrung des eigenen Bildes. Die falsche einschätzung der eigenen Person ist mit eine Folge beziehungsweise eine notwendige Voraussetzung der Vergötzung. Die Person übernimmt sich hier in einem unendlichen Mass. Die Nichtanerkennung der Realität Gottes zugunsten eines selbstgesetzten Götzen beinhaltet immer das "sicut Deus". ... Zusammenfassend können wir sagen: Durch eine Vergötzung entsteht nicht nur ein Konflikt mit Gott (er ist das Primäre!), sondern auch mit der gesamten Realität, die dadurch verrückt wird. Das deutsche Wort ver-rückt meint das vollkommen Richtige und trifft den Sachverhalt mit ausserordentlicher Präzision.

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Sonntag, August 13, 2006

Wilfried Daim: Umwertung der Psychoanalyse

Wilfried Daim wurde 1923 in Wien geboren und ist Psychologe, Psychotherapeut und Schriftsteller. Er war 1940-45 in der katholischen Widerstandsbewegung gegen die Nazis aktiv.
1956 gründete er ein privates Institut für politische Psychologie. Leider habe ich noch niemanden gefunden, der Wilfried Daim persönlich gekannt hat oder kennt, aber er hat folgende Werke verfasst:
· Umwertung der Psychoanalyse 1951
· Tiefenpsychologie und Erlösung 1954
· Der Mann der Hitler die Ideen gab. Jörg Lanz von Liebenfels. 1958
· Totaler Untergang? 1959
· Die kastenlose Gesellschaft 1960
· Zur Strategie des Friedens. 1962
· Kirche und Zukunft 1963
· Linkskatholizismus. 1965
· Progressiver Katholizismus 1 & 2, 1967
· Christentum und Revolution. 1967
· Der Vatikan und der Osten 1967
· Analyse einer Illusion 1969
· Die Chinesen in Europa 1973
· Meine Kunstabenteuer 1997
· Franz Probst. Seine bittere Kunst
· Otto Rudolf Schatz. Gross im Kleiner, Miniaturen; Grafik; Kriegsbriefe

Nachfolgend einige Ausschnitte aus seinem Erstlingswerk "Umwertung der Psychoanalyse", die ich so zentral und treffend finde und daher mehr Menschen zugänglich machen möchte:
"Und Gott versuchte Abraham und sprach zu ihm: "Nimm Isaak, deinen eigenen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir zeigen will..."
Entweder es gibt ein solches Paradox, dass der einzelne in einem absoluten Verhältnis zum Absoluten steht – oder Abraham ist verloren. Sören Kierkegaard "Furcht und Zittern"

A. Die Struktur der menschlichen Beziehung zum Absoluten und ihre Perversion
6. Die menschliche Beziehung zum Absoluten (Seite 125 und fortfolgende)
Als Moses vor dem brennenden Dornbusch steht und von Gott angerufen wird, fragt er, wer denn zu ihm rede. Es wird ihm eine Antwort, die ihn in eine existentielle Schwebe versetzt: "Ich bin, der ich bin."
Rational gesehen, ist diese Antwort eine Tautologie (=Wiederholung in andern Worten), doch enthält diese Tautologie die zentralste und wesentlichste Forderung an den Menschen schlechthin. Negativ gesehen, bedeutet sie eine Ablehnung aller Einordnung und Gleichordnung in und mit den Gegenständen der Welt. Es bedeutet die Antwort also negativ zunächst: Ich bin mit nichts zu vergleichen, ich stehe über allem, ich bin nichts Relatives. Positiv heisst dies: ich bin absolut. Das "Ich bin, der ich bin", enthält also die unbedingte Forderung nicht nur auf Erkenntnis dessen, der die Forderung erhebt, sondern zugleich auch auf ein absolutes Anerkennen, auf absoluten Glauben, absolutes Vertrauen, auf gänzliche, totale, kompromisslose Uebergabe.
Dieser Anspruch wird nicht abgeleitet. Er besitzt aus sich heraus Recht auf Anerkennung. Er fordert vom Angesprochenen ein absolutes Verhalten.
Dieses absolute Verhalten ist die Forderung nach Hingabe seiner selbst an das Absolute. Dieses sich absolut zum Absoluten Verhaltenkönnen, ist das Wesentlichste am Menschen, es ist das, was ihn eigentlich vom Tier abhebt.
Das erste Gebot wird im Dekalog ganz besonders betont: "Ich bin der Herr, dein Gott... Du sollst keine fremden Götter neben mir haben... Du sollst sie nicht anbeten, noch ihnen dienen; denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott..." Auch hier die alleinige, absolute Anerkennung, die da gefordert wird. Der Dekalog beginnt mit einer gewaltigen Feststellung. Es wird dann verboten, etwas ausser Gott zum Gott zu machen.
Zwischen dem Absoluten und dem Relativen besteht ein unüberbrückbarer Wesensunterschied. Gott ist aus sich, unableitbar aus anderem. Demgegenüber steht das Abgeleitete, nicht aus sich selbst Seiende, das Relative, das Bezogene. Etwas, das nur absolut nebengeordnet werden kann, darf es nicht geben. ...
Das Absolute als Ziel, Erlebnis, Ursprung, das Absolute in allen seinen Wirkungen unterscheidet sich wesentlich vom Relativen. Ein qualitativer, durch keinerlei Quantität überbrückbarer Sprung führt vom Relativen zum Absoluten, eine qualitativer Sprung, der durch nicht vergleichbar ist. Dies ist im Erlebnis ebenso wie im Denken und Handeln. Jedes Erlebnis hat ein Analoges in der Beziehung zum Absoluten, trotzdem aber ist das Analoge unendlich verschieden. So wird das Schreckhafte zum Entsetzlichen, das Gewaltige zum Allmächtigen usw.
Im Bereich des Absoluten gibt es kein Paktieren, kein Relativieren, kein Nachgeben und auch kein Herumdeuten. Das Absolute ist unantastbar.
Es ist nun unsere These, dass jeder Mensch eine Sphäre besitzt, in der es zunächst für ihn absolut zugeht. Jeder hat solch eine Absolutsphäre (Scheler). Die Inhalte dieser Absolutsphäre unterscheiden sich für den Menschen qualitativ vollständig von allen übrigen Erlebnisinhalten. Hat ein Mensch Gegenstände innerhalb seiner Absolutsphäre, dann unterscheiden sich diese Gegenstände völlig von den relativen. Sie haben für ihn eine ganz andersartige Bedeutung als für einen anderen Menschen, für den diesselben Gegenstände nicht im Bereich seiner Absolutsphäre liegen.
Die Kenntnis dieser Absolutsphäre müssen wir als ausserordentlich wesentlich betrachten, ja als das Wesentliche eines Menschen schlechthin: "Was für einen Gott einer hat, das macht den Menschen aus", sagt Jaspers richtig, und er meint damit, dass ein Mensch von seinem Absoluten her verständlich wird.
Das, was für einen Menschen absolut ist, zieht alles andere an sich. Das Relative, Bezogene gewinnt seine Bedeutung vom Absoluten her; wie ein Strahlenbündel zielt alles auf das Absolute hin und erhält in seinem System seinen Bezug. Alles ist Mittel, Weg, Zeichen, Symbol des Absoluten. Alles Relative ist hingeordnet auf das Absolute als sein Zentrum, um das sich "alles dreht". Für einen Menschen ist nichts wirklich notwendig und unabdingbar. Mit seinem Absoluten steht und fällt der Mensch, es ist ihm das allein wirklich und endgültig Interessante und Wichtige.
Das Absolute ist da, womit der Mensch sich absolut identifiziert. Es ist das, was seinen eigentlichen "Lebensinhalt" ausmacht, worauf er "alle Hoffnung" setzt, womit er "steht und fällt". Ohne sein Absolutes ist er nichts, er selbst erhält von diesem Absoluten her seinen Wert.
Diese Absolute ist seine grösste, einzige Kostbarkeit, sein "Schatz", worauf er "sein Herz setzte", wie eine wörtliche Uebersetzung von credere cor-dare lauten würde. ...

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