Montag, Oktober 26, 2009

Die zweite Aufklärung. Vom 18. ins 21. Jahrhundert

Auf ein weiteres Buch von Neil Postman, das 2001 im Berliner Taschenbuch Verlag unter der ISBN 978-3-8333-0259-6 erschienen ist, möchte ich im Zusammenhang mit Erziehung etwas eingehen. (Die Amerikanische Originalausgabe hatte den Titel: Building a Bridge to the Eighteenth Century.)

Postman versucht mit diesem Werk eine Brücke ins 18. Jahrhundert zu schlagen, so jedenfalls lautet auch die Ueberschrift von Kapitel eins. Er versucht den Sinn und Wert der Aufklärung darzustellen, die er als ein Kind des Christentums bezeichnet, weil sie gegen dessen Erstarrung und Orthodoxie gerichtet war. Er tut dies vor allem aus amerikanischer Perspektive, die doch eine etwas andere ist als die europäische. Denn dort waren weder König, Papst noch daraus folgende starre Hierarchie, fixe Tradition und statische Gesellschaftsordnung dominant. Andere Herausforderungen und kürzere Traditionen bedeuteten unkompliziertere staatliche, flachere kirchliche und durchlässigere gesellschaftliche Strukturen. Landeroberung, Besiedlung, technischer Fortschritt, Industrialisierung und Bildung waren äusserst wichtig und erwünscht und brachten Zielorientiertheit, Dynamik, Leistungsbereitschaft und gesellschaftlichen Fortschritt. Postman versteht es ausgezeichnet, diese komplexen Zusammenhänge einfach darzustellen, kritsch zu bewerten und würdigen und Errungenschaften und Gefährdungen herauszuschälen. So heissen seine Kapitel: Fortschritt, Technologie, Sprache, Information, Erzählungen, Kinder, Demokratie und Erziehung. Auf einige dieser Themen möchte ich näher eingehen:

Zu Technologie stellt er beispielsweise folgende Grundsatzfragen, die vorgängig zu beantworten wären:
· Was ist das Problem, für das diese Technologie die Lösung bietet?
· Wessen Problem ist es?
· Welche Leute und Institutionen werden durch eine neue technologische Lösung am stärksten geschädigt?
· Welche neuen Probleme könnten daraus entstehen, dass wir dieses Problem gelöst haben?
· Welche Art Leute und Institutionen könnten in der Folge technologischen Wandels zu besonderer wirtschaftlicher und politischer Macht gelangen?
· Welche sprachlichen Veränderungen werden durch neue Technologien erzwungen und was wird durch derlei Veränderungen gewonnen und was verloren?


Bei Sprache geht es Postman aufzuzeigen, „weshalb die aufklärerische Sicht der Sprache der postmodernen vorzuziehen ist“. Er bezeichnet das Zeitalter der Aufklärung auch Zeitalter der Prosa. Er meint dies im Sinn eines Darlegungsstils, des Essays, der Meinungsprosa, um in einer verständlichen Sprache beispielsweise für die Wichtigkeit der Naturwissenschaften werben zu können. Dieser Stil verbreitete sich am stärksten im englischen Sprachraum. (Postmoderne Philosophen wie Derrida dagegen stellen den eindeutigen Sinn von Sprache und Text in Frage.)

Zu Kinder schreibt Postman unter anderem ab Seite 162:
„Wenn Eltern ihren Kindern die Kindheit bewahren wollen, müssen sie ihre Elternschaft als einen Akt der Rebellion gegen die zeitgenössische Kultur begreifen. Das gilt vor allem für Amerika. Allein schon, dass man als Eltern beisammen bleibt, ist ein Akt der Verweigerung und ein Verstoss gegen den Geist der Wegwerfkultur, der Kontinuität wenig gilt. Es ist schon fas unamerikanisch, dass man in der Nähe seiner Familie im weiteren Sinne bleibt, so dass die Kinder tagtäglich die Bedeutung von Verwandtschaft und den Wert der Ehrerbietung und Verantwortung gegenüber den Alten erfahren. Aehnliches gilt, wenn man von seinen Kindern verlangt, dass sie die Disziplin der aufgeschobenen Befriedigung oder Enthaltsamkeit in ihrer Sexualität oder Zurückhaltung in Benehmen, Sprache und Stil erlernen. Auch dann steht man in Opposition zu so ziemlich jedem gesellschaftlichen Trend. Der Gipfel der Widergesetzlichkeit ist freilich der Versuch, den Zugang der Medien zu unseren Kindern zu kontrollieren...
Diese Eltern, die sich dem Zeitgeist widersetzen, werden zu etwas beitragen, was man Kloster-Effekt nennen könnte, weil sie mithelfen werden, eine humane Tradition am Leben zu halten...
In Amerika ist die fundamentalistische Bewegung (die früher die Moralische Mehrheit genannt wurde) sich des Verfalls der Kindheit bewusster als jede andere gesellschaftliche Gruppe. Ihre Versuche, Wirtschaftsboykotts gegen die Sponsoren bestimmter Fernsehprogramme zu organisieren, der Sexualität wieder Anstand und Achtung zurückzugeben und Schulen zu gründen, die auf rigorosen Verhaltensregeln bestehen, sind Beispiele für ein aktives Programm, das sich die Erhaltung der Kindheit zum Ziel gesetzt hat...
Denjenigen von uns, die die Arroganz des Fundamentalismus ablehnen, ist es nicht verboten, sich einige von seinen Formeln auszuleihen...

Die moderne Schule war ein Geschöpf der Druckerpresse mit beweglichen Lettern, denn dorthin brachte man die Kinder, damit sie lesen und schreiben und somit auch lernen, was es heisst, erwachsen zu sein. Ist es denkbar, dass der Computer einen vergleichbaren Effekt haben könnte? Nach meiner Meinung nicht, wenn wir uns darauf beschränken, dass die Kinder nur lernen sollen, wie man Computer benutzt, insbesondere weil uns an ihrer künftigen „Karriere“ gelegen ist. Das lässt sich leicht machen und ist unnötig, da die meisten jungen Leute ohne Hilfe seitens der Schule lernen werden, wie man Computer bedient. Aber angenommen, wir wünschten uns, dass sie lernen (in der Schule; Seite 166 Mitte):
· Wie werden Computer programmiert?
· Was leisten unterschiedliche Computersprachen?
· Wie drängen uns Computer eine bestimmte Weltsicht auf?
· Wie verändern Computer, was wir unter einem Urteil verstehen?
· Wie formen Computer unseren Begriff von Information und Wissen?


Unter „Erziehung“ meint Postman vor allem Bildung und schlägt unter anderem auf Seite 202 vor:
„Ich meine die Möglichkeit, dass wir tatsächlich Kindern etwas von der Kunst und Wissenschaft des Fragestellens beibrächten. Niemand, nehme ich an, wird bestreiten, dass all unser Wissen aus dem Fragen reultiert, ja, dass das Fragen das bedeutsamste geistige Werkzeug, das dem Menschen zur Verfügung steht. Ist es aber dann nicht seltsam, dass das bedeutsamste geistige Werkzeug, das Menschen zur Verfügung steht, nicht in der Schule gelehrt wird?“

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Sonntag, Oktober 25, 2009

Neil Postman: Das Verschwinden der Kindheit

Dieses kleine und wertvolle Werk des Amerikaners Neil Postman ist in Deutsch bei Fischer Taschenbuch 3855 Frankfurt 1987 erschienen unter der ISBN 3-596-23855-2.
(Amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel: The Disappearance of Childhood). Neil Postman wurde 1931 geboren und starb im Jahr 2003. Er war Professor für Media Ecology (Medienökologie) an der New York University. Er war ein Querdenker, Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu Grundsatz- und Erziehungsfragen und machte auf die kulturzerstörende Kommerzialisierung und Medialisierung aufmerksam.

Auf der Rückseite dieses Taschenbuchs steht zusammenfassend nur ein Satz: "...es ist für die elektronischen Medien unmöglich, irgendwelche Geheimnisse zu bewahren. Ohne Geheimnisse aber kann es so etwas wie Kindheit nicht geben."
Postman bricht mit "diesem Buch den faulen Frieden, den die Erwachsenen mit der Gleichgültigkeit geschlossen haben, um die Welt bis in die Nischen hinein nach ihrem Bilde einzurichten. Es handelt von dem vielleicht folgenschwersten kulturellen Kolonisierungsunternehmen in der Gegenwart: der Zerstörung der Kindheit durch Missachtung oder Destabilisierung ihrer Spielräume, ihrer inneren Geschichte und ihrer spezifischen Zeitrechnung.... Postmans Kritik gilt der Allianz von Kommerz, Ideologie und Gedankenlosigkeit gegen die Ansprüche der Kinder auf eine eigene, freie Lebenszeit: auf die Kindheit nicht als eine biologische, sondern vielmehr als eine kulturelle Erfahrung. Die Vorstellungs- und Empfindungswelt der Kindheit ist endgültig dann abgeschafft, wenn die Kinder und Jugendlichen nur noch zu Erwachsenen-Wünschen fähig sind."

Wer Postman kennt weiss, dass er einer ist, der geschichtlich denkt, nachvollziehbar argumentiert und sich pointiert ausdrückt. Er scheut sich nicht, problematische Entwicklungen der Gegenwart anzusprechen und alternative Denkansätze und Handlungsmuster aufzuzeigen. In der Einleitung auf Seite 7 fängt er so an: Kinder sind die lebenden Botschaften, die wir einer Zeit übermitteln, an der wir selbst nicht mehr teilhaben werden. Eine Kultur, die vergisst, dass sie sich reproduzieren muss, ist, biologisch gesehen, undenkbar. Aber eine Kultur kann sehr wohl Bestand haben, ohne über eine gesellschaftliche Vorstellung von Kindern zu verfügen. Anders als das Säuglingsalter ist die Kindheit eine gesellschaftliches Kunstprodukt, keine biologische Kategorie.

Seite 19: Ohne entwickeltes Schamgefühl kann es Kindheit nicht geben.

Seite 23: In einer literalen Welt als Erwachsener zu leben bedeutet also, dass man Zugang zu kulturellen Geheimnissen hat, die in nicht-natürlichen Symbolen verschlüsselt sind. In einer literalen Welt müssen Kinder erst zu Erwachsenen werden; in einer nicht-literalen Welt dagegen ist es unnötig, zwischen Kindern und Erwachsenen genau zu unterscheiden, denn es gibt nur wenige Geheimnisse, und die Kultur braucht ihre Angehörigen nicht erst darin zu unterweisen, wie sie selbst zu begreifen ist.

Seite 28 und 29: Die Druckerpresse brachte eine neue Definition von Erwachsenheit hervor, die auf Lesenkönnen gründete, und entsprechend eine neue Auffassung von Kindheit, die auf dem Nichtlesenkönnen beruhte...: In der Welt des Mittelalters ist die Kindheit unsichtbar. Barbara Tuchman schreibt: "Von allen Eigenheiten, in denen sich das Mittelalter von der heutigen Zeit unterscheidet, ist keine so auffallend wie das fehlende Interesse an Kindern."

Seite 48: Seit der Erfindung des Buchdrucks musste die Erwachsenheit erworben werden. Sie wurde zu einer symbolischen Leistung, war nicht länger Resultat einer biologischen Entwicklung. Seit der Erfindung des Buchdrucks mussten die Kinder Erwachsene erst werden, und dazu mussten sie lesen lernen, die Welt der Typographie betreten. Damit ihnen das gelang, brauchten sie Erziehung. Deshalb erfand die europäische Zivilisation die Schule von neuem. Und damit machte sie aus der Kindheit eine Institution.

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Freitag, Oktober 16, 2009

Auf der via Stockalper zwischen Gabi und Gondo




Am Schluss noch eine Stärkung im wiedererstellten Stockalperturm


Unterwegs im steilen Tal von Zwischenbergen nach Gondo


Das Zwischenbergental ist auch heute von Bergstürzen geprägt


Der Stausee bei Zwischenbergen hat diese intensive türkisblaue Farbe (Kamera: Canon Digital IXUS 60, ohne Filter!)


Auf der Furgge eröffnet sich eine herrliche Weitsicht nach Süden


Im Oktober kann es ganz eisig kalt und schön sein auf der Furgge


Und der Blick zurück entschädigt für die Mühe des steilen Aufstiegs


Bei Gabi den Berg hoch an einem Maiensäss vorbei in Richtung Furgge


Bei Gabi komme ich zur Schlucht heraus und die Sonne empfängt mich


Die Gondoschlucht ist eine imposante und tief eingeschnittene Schlucht


Das Wasser hat sich durch die Gondoschlucht gefressen und abgeschliffene, glatte Felsen hinterlassen




Die via Stockalper ist ein historischer Weg von Brig nach Domodossola, der vor allem von Kaspar Jodok von Stockalper im 17. Jahrhundert erneut angelegt wurde. Noch heute ist er gut begehbar und führt durch fantastische Landschaften und schroffe Bergwelten. Letztes und dieses Jahr im Oktober habe ich Teile davon durchwandert und war begeistert von den abgeschiedenen Tälern, der urwüchsigen,wilden und kräftigen Landschaft und der wuchtigen Bergwelt. Einige Bilder davon möchte ich zeigen.

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Dienstag, Oktober 13, 2009

Auf der via Sbrinz zum Griespass

Vor der Rückkehr zum Ausgangspunkt an einem kleinen Bergsee vorbei


Auf dem San Giacomopass gibt es unberührte Hochmoore


Vom Griespass geht es durchs Val Corno zum San Giacomopass


Die Griess-Corno-Hütte erreicht man am schnellsten aus dem Bedrettotal


Das Val Corno ist ein Hochtal und liegt auf etwa 2'400 Meter über Meer


Blick ins Wallis und der Nufenenpass ist rechter Hand


Auf dem Griespass ist der Blick auf den Griesstausee und -gletscher frei


Die Bättelmatt - heute ein Hochmoor - und der Gletscher ist nah


Schon bald gibt der Weg - hier noch Strasse zu Stausee - den Blick frei


Ausgangspunkt der Wanderung: Riale - Kährbach

Im September habe ich mich aufgemacht, um einen Teil der via Sbrinz, die von Luzern nach Domodossola führt, zu begehen. Es war ein Säumerpfad, der bis 1880 vor allem dem Käse-, Wein- und Salztransport diente. Mit Maultieren überquerten sie Brünig-, Grimsel- und Griespass. Von Domodossola her fährt man heute etwa fünfzig Kilometer nordwärts ins zweisprachige Valle Antigorio (zu deutsch: Eschental) und gleich anschliessend ins Valle Formazza hinein. Die Strasse endet beim Dorf "Riale" (italienisch)/"Kährbach" (walserdeutsch) auf gut 1'700 Meter über Meer. Hier öffnet sich dann eine grandiose Gebirgslandschaft. Es gibt mehrere Stauseen, tiefblaue Bergseen, unberührte Hochmoore, sprudelnde Bäche, steile Bergspitzen, riesige Felsbrocken, karge Steinwüsten, verschmutzte Schneeresten, schmelzende Gletscher, grünbraune Alpweiden, farbige Bergblumen, etc. Am Talende befindet sich der Griespass, der ins Wallis zum Griessee (Stausee) und nach Ulrichen im Goms führt. Für mich ging es weiter ins Tessin durchs Hochtal "Val Corno" zum San Giacomopass und hinunter zum Ausgangspunkt Riale. Einige Impressionen dieser imposanten, sechsstündigen Bergwanderung.

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Montag, Oktober 12, 2009

Erziehung: Warum sie so schwierig und trotzdem so wichtig ist



Als direkt und indirekt Betroffener, durch jahrelange Beobachtungen, Gespräche und die Internetseite www.elternkompetenz.de bin ich angeregt worden, Gedanken zu Erziehung heute aufzuschreiben:

Wir leben in bewegten Zeiten, kaum je hatte eine Gesellschaft so viele materielle und technische Möglichkeiten wie die unsere. Die daraus entstandene „Multioptionsgesellschaft“ mit Informationsflut und Hektik prägt sowohl uns Eltern, als auch unsere Kinder, Schule, Beruf, Kirchen und Freizeit. Wir können uns dieser Atmosphäre, diesem „Sog“ nicht ganz entziehen, trotzdem sollten wir den Zeitgeist kritisch betrachten und nicht einfach übernehmen. Sind wir noch in der Lage, unsere Zeit nüchtern und klar wahrzunehmen, um dann sinnvoll agieren, angemessen reagieren und auch Gegensteuer geben zu können? Nach meinem Verständnis trifft für die Gegenwart viel vom Gleichnis des Säemanns zu, der unter die Dornen säte: „Der in die Dornen Gesäte, das ist der, der das Wort hört, aber weltliche Sorgen und der Trug des Reichtums ersticken das Wort, und es bringt keine Frucht.“ (Mt 13,22).

Wir leben heute im Westen in einer Welt des materiellen Wohlstands, einer Welt des „Zuviels“, die uns bestimmen will und ersticken lässt: zu viel Optionen, zu viel Informationen, zu viel Tempo, zu viel Zeitdruck und zu viel ungesunder Stress. Zu häufig sind uns Auswirkungen und die daraus folgenden Mängel wenig bewusst:
· zu wenig zweckfreie Zeit
· zu wenig wirkliche Musse
· zu wenig zwecklose Beziehung
· zu wenig ungestörte Zuwendung
· letztlich einfach zu wenig echte Liebe

Gute Lösungen für dieses Dilemmas sind nicht leicht zu finden. Denn zurück zu den „guten alten Zeiten“ können wir nicht, zudem waren sie auch nicht nur gut! Die erfahrene eigene Erziehung kann nicht kopiert werden, da andere Zeiten und neue Herausforderungen für unsere Kinder vorhanden sind, beispielsweise der Umgang mit Internet und Handy.
Aus Gründen wie Narzissmus, Unübersichtlichkeit, Beanspruchung in Berufsalltag und aus Ueberforderung besteht die Tendenz, vieles laufen zu lassen. Statt Liebe und Zeit gibt es dann eher Geld, Gameboy und Gelati. "Kinder, die alles dürfen, sind eher die unglücklicheren Kinder", meint die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Annette Kast-Zahn. Auch sind sie häufig sich selbst überlassen und verunsichert und es fehlt ihnen an:
· ruhiger Zuwendung und Auseinandersetzung
· gegenseitigem Verstehen
· geduldigem Suche nach Ursachen, wenn es Probleme gibt
· Anstrengungsbereitschaft, und zwar von Vater und Mutter

Im Zeitalter des Ueberflusses ist vermehrt Grenzen setzen angesagt. Der Familien- und Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge, Autor des Bestsellers "Kinder brauchen Grenzen" betont, dass junge Menschen ein Recht auf "begleitende Autorität" haben. Nur wer ihnen Grenzen setze, bringe ihnen bei, dass Konflikte zum Leben gehören. Diskussion und klare Argumente in der Familie bekommen Kindern besser als Harmonie und Nachgiebigkeit. Eltern sollen Sparringpartner, auch mal wie eine Mauer sein, gegen die die Kinder anrennen können und dürfen! Aus Angst vor der seelischen Zerbrechlichkeit und Schäden erdulden Eltern Demütigungen und Beleidigungen ihrer Kinder. Die Folge ist, dass Kinder ihre Eltern nicht (mehr) wirklich ernst nehmen. Holger Wyrwa, ein anderer Erziehungswissenschaftler meint dazu: "Kinder, die nicht die Erfahrung machen, dass ihrem Verhalten Grenzen gesetzt sind, wachsen mit einem unrealistischen Bewusstsein auf und halten sich für Riesen, wo sie nur Zwerge sind. Entmachten Sie die kleinen Tyrannen zu ihrem eigenen Besten."

Durch "produktiven Widerstand" gibt man Kindern Orientierung in einer Welt, die wenig Verlässichkeit und Stabilität kennt. Konkret heisst das liebevoll und dem Kind zugewandt zu sein, aber entschieden dort, wo festzulegen ist, was geht und was nicht. Kinder brauchen verbindliche und konsequente Eltern, nur so können diese in einer unübersichtlichen Kinderwelt Strukturen herstellen, die dann Halt und Sicherheit geben. Verabredungen mit Kindern sind einzuhalten, familiäre Regeln durchzusetzen und Wünsche sind zu begrenzen, vor allem die, die ständig auf Kosten anderer gehen. Ebenso sind Aufsässigkeit, Tyrannei und Aggressivität sinnvoll zu sanktionieren. Solche Sanktionen sind immer auf das Fehlverhalten zu beziehen, beispielsweise wird absichtliche Verschmutzung mit Entfernen derselben Verschmutzung geahndet.

Das Internet, eine virtuelle Welt ohne Grenzen, ist bald in jeder Familie und Schule verfügbar. Seine Inhalte sind aber unkontrollierbar und jederzeit abrufbar. Es beeinflusst und verändert seine Nutzer und Konsumenten, gerade auch Kinder und Jugendliche! Positiv zu vermerken ist, dass auch Intelligenz, Kreativität und Selbstbewusstsein trainiert werden können. Kinder benötigen aber in der unübersichtlichen multimedialen Welt mehr Orientierung. Dazu gehören auch zeitliche Begrenzungen und altersgemässe Kontrolle. Eltern müssen sich gegen die Macht der Medien behaupten und durchsetzen können, obwohl ihre Kinder eher digitale Kenner und Experten sind. Angemessener Dialog, andauernder Gesprächsfaden und gut ausgeübte Autorität sind auch hier besonders gefragt.

Einige Fragen zum Schluss:
· Wo bin ich als Erziehender gefordert, von Gott und andern Menschen erzogen und geformt zu werden?
. Wo können Eltern Grenzsetzung lernen, die nicht auf Liebesentzug hinausläuft?
· Wie setzt man Regeln, ohne aggressiv zu werden?
· Wie vermeiden Eltern, zum Kumpel der Kinder zu werden?

Vermehrt bräuchten Eltern - gerade auch Akademiker - Training, weil sie mit der anspruchsvollen und kräfteraubenden Erziehungsaufgabe stark gefordert und teilweise überfordert werden.
Aus Australien kommt das Erziehungstraining "Triple P", bei dem die drei "P" für Positive Parenting Program stehen. Es macht Ernst mit dem Gedanken der pädagogischen Prävention. In einer grösseren deutschen Stadt soll es künftig flächendeckend durchgezogen werden.
Andere Pädagogen rufen nach Fortbildungskursen, die am Beginn jeder neuen Lebensphase der Kinder stehen sollten: wenn sie in den Kindergarten kommen, beim Schulanfang, vor der Pubertät.
Oder sollte man darüber nachdenken, dass nur Kindergeld bekommt, wer regelmäßig Elternkurse absolviert und so seinen Erziehungswillen bekundet?

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