Montag, Oktober 12, 2009

Erziehung: Warum sie so schwierig und trotzdem so wichtig ist



Als direkt und indirekt Betroffener, durch jahrelange Beobachtungen, Gespräche und die Internetseite www.elternkompetenz.de bin ich angeregt worden, Gedanken zu Erziehung heute aufzuschreiben:

Wir leben in bewegten Zeiten, kaum je hatte eine Gesellschaft so viele materielle und technische Möglichkeiten wie die unsere. Die daraus entstandene „Multioptionsgesellschaft“ mit Informationsflut und Hektik prägt sowohl uns Eltern, als auch unsere Kinder, Schule, Beruf, Kirchen und Freizeit. Wir können uns dieser Atmosphäre, diesem „Sog“ nicht ganz entziehen, trotzdem sollten wir den Zeitgeist kritisch betrachten und nicht einfach übernehmen. Sind wir noch in der Lage, unsere Zeit nüchtern und klar wahrzunehmen, um dann sinnvoll agieren, angemessen reagieren und auch Gegensteuer geben zu können? Nach meinem Verständnis trifft für die Gegenwart viel vom Gleichnis des Säemanns zu, der unter die Dornen säte: „Der in die Dornen Gesäte, das ist der, der das Wort hört, aber weltliche Sorgen und der Trug des Reichtums ersticken das Wort, und es bringt keine Frucht.“ (Mt 13,22).

Wir leben heute im Westen in einer Welt des materiellen Wohlstands, einer Welt des „Zuviels“, die uns bestimmen will und ersticken lässt: zu viel Optionen, zu viel Informationen, zu viel Tempo, zu viel Zeitdruck und zu viel ungesunder Stress. Zu häufig sind uns Auswirkungen und die daraus folgenden Mängel wenig bewusst:
· zu wenig zweckfreie Zeit
· zu wenig wirkliche Musse
· zu wenig zwecklose Beziehung
· zu wenig ungestörte Zuwendung
· letztlich einfach zu wenig echte Liebe

Gute Lösungen für dieses Dilemmas sind nicht leicht zu finden. Denn zurück zu den „guten alten Zeiten“ können wir nicht, zudem waren sie auch nicht nur gut! Die erfahrene eigene Erziehung kann nicht kopiert werden, da andere Zeiten und neue Herausforderungen für unsere Kinder vorhanden sind, beispielsweise der Umgang mit Internet und Handy.
Aus Gründen wie Narzissmus, Unübersichtlichkeit, Beanspruchung in Berufsalltag und aus Ueberforderung besteht die Tendenz, vieles laufen zu lassen. Statt Liebe und Zeit gibt es dann eher Geld, Gameboy und Gelati. "Kinder, die alles dürfen, sind eher die unglücklicheren Kinder", meint die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Annette Kast-Zahn. Auch sind sie häufig sich selbst überlassen und verunsichert und es fehlt ihnen an:
· ruhiger Zuwendung und Auseinandersetzung
· gegenseitigem Verstehen
· geduldigem Suche nach Ursachen, wenn es Probleme gibt
· Anstrengungsbereitschaft, und zwar von Vater und Mutter

Im Zeitalter des Ueberflusses ist vermehrt Grenzen setzen angesagt. Der Familien- und Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge, Autor des Bestsellers "Kinder brauchen Grenzen" betont, dass junge Menschen ein Recht auf "begleitende Autorität" haben. Nur wer ihnen Grenzen setze, bringe ihnen bei, dass Konflikte zum Leben gehören. Diskussion und klare Argumente in der Familie bekommen Kindern besser als Harmonie und Nachgiebigkeit. Eltern sollen Sparringpartner, auch mal wie eine Mauer sein, gegen die die Kinder anrennen können und dürfen! Aus Angst vor der seelischen Zerbrechlichkeit und Schäden erdulden Eltern Demütigungen und Beleidigungen ihrer Kinder. Die Folge ist, dass Kinder ihre Eltern nicht (mehr) wirklich ernst nehmen. Holger Wyrwa, ein anderer Erziehungswissenschaftler meint dazu: "Kinder, die nicht die Erfahrung machen, dass ihrem Verhalten Grenzen gesetzt sind, wachsen mit einem unrealistischen Bewusstsein auf und halten sich für Riesen, wo sie nur Zwerge sind. Entmachten Sie die kleinen Tyrannen zu ihrem eigenen Besten."

Durch "produktiven Widerstand" gibt man Kindern Orientierung in einer Welt, die wenig Verlässichkeit und Stabilität kennt. Konkret heisst das liebevoll und dem Kind zugewandt zu sein, aber entschieden dort, wo festzulegen ist, was geht und was nicht. Kinder brauchen verbindliche und konsequente Eltern, nur so können diese in einer unübersichtlichen Kinderwelt Strukturen herstellen, die dann Halt und Sicherheit geben. Verabredungen mit Kindern sind einzuhalten, familiäre Regeln durchzusetzen und Wünsche sind zu begrenzen, vor allem die, die ständig auf Kosten anderer gehen. Ebenso sind Aufsässigkeit, Tyrannei und Aggressivität sinnvoll zu sanktionieren. Solche Sanktionen sind immer auf das Fehlverhalten zu beziehen, beispielsweise wird absichtliche Verschmutzung mit Entfernen derselben Verschmutzung geahndet.

Das Internet, eine virtuelle Welt ohne Grenzen, ist bald in jeder Familie und Schule verfügbar. Seine Inhalte sind aber unkontrollierbar und jederzeit abrufbar. Es beeinflusst und verändert seine Nutzer und Konsumenten, gerade auch Kinder und Jugendliche! Positiv zu vermerken ist, dass auch Intelligenz, Kreativität und Selbstbewusstsein trainiert werden können. Kinder benötigen aber in der unübersichtlichen multimedialen Welt mehr Orientierung. Dazu gehören auch zeitliche Begrenzungen und altersgemässe Kontrolle. Eltern müssen sich gegen die Macht der Medien behaupten und durchsetzen können, obwohl ihre Kinder eher digitale Kenner und Experten sind. Angemessener Dialog, andauernder Gesprächsfaden und gut ausgeübte Autorität sind auch hier besonders gefragt.

Einige Fragen zum Schluss:
· Wo bin ich als Erziehender gefordert, von Gott und andern Menschen erzogen und geformt zu werden?
. Wo können Eltern Grenzsetzung lernen, die nicht auf Liebesentzug hinausläuft?
· Wie setzt man Regeln, ohne aggressiv zu werden?
· Wie vermeiden Eltern, zum Kumpel der Kinder zu werden?

Vermehrt bräuchten Eltern - gerade auch Akademiker - Training, weil sie mit der anspruchsvollen und kräfteraubenden Erziehungsaufgabe stark gefordert und teilweise überfordert werden.
Aus Australien kommt das Erziehungstraining "Triple P", bei dem die drei "P" für Positive Parenting Program stehen. Es macht Ernst mit dem Gedanken der pädagogischen Prävention. In einer grösseren deutschen Stadt soll es künftig flächendeckend durchgezogen werden.
Andere Pädagogen rufen nach Fortbildungskursen, die am Beginn jeder neuen Lebensphase der Kinder stehen sollten: wenn sie in den Kindergarten kommen, beim Schulanfang, vor der Pubertät.
Oder sollte man darüber nachdenken, dass nur Kindergeld bekommt, wer regelmäßig Elternkurse absolviert und so seinen Erziehungswillen bekundet?

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