Samstag, Oktober 18, 2008

Charakter


Das Wort „Charakter“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet ursprünglich Prägestempel für Münzen und Siegel. Heute meint es hautsächlich die menschliche Prägung. Der Charakter eines Menschen wird meiner Meinung von mindestens fünf Hauptfaktoren bestimmt:
1. Kern: Personenmitte oder „Seele“, mein einmalig geschaffen sein von Gott, der mir Identität gibt
2. Gene: Vererbung von körperlichen und seelischen Wesenmerkmalen durch die leiblichen Eltern
3. Erziehung: Bezugspersonen der ersten Lebensjahre bestimmen durch Zuwendung die Ausbildung von Beziehungs-, Kommunikations-, Sprach-, Kooperations- und Konfliktfähigkeit wesentlich mit
4. Kultur: Umfeld, Milieu, Nachbarschaft, Schule und Freundeskreis tragen zum eigenen Wertesystem bei
5. Wille: früher oder später haben wir die Wahl zu eigenen Entscheidungen, die aber Folgen haben werden: „Säe einen Gedanken und du erntest eine Tat. Säe eine Tat und du erntest eine Gewohnheit. Säe eine Gewohnheit und du erntest einen Charakter. Säe einen Charakter und du erntest ein Schicksal.“

Wir Menschen haben generell mehr gemeinsam als dass uns unterscheidet und trennt. Die kollektiven Gemeinsamkeiten sind also grösser als die individuellen Eigenheiten. Deshalb kann es Sinn machen, Typologien als Modelle und Orientierungshilfen zu verwenden, um aus eigenen Verengungen, Verkrustungen und Sackgassen herauszufinden. Charaktertypen beschreiben dabei mögliche, unterschiedliche Persönlichkeits- oder Gemütsarten. Heute gibt es zahlreiche, teilweise ganz unterschiedlich gelagerte Charakterlehren und –typologien. Die meisten gehen auf die Griechen zurück, die ein besonderes Interesse am Menschen und seinen körperlichen und seelischen Fähigkeiten hatten.

Eine der bekanntesten, die „Vier-Elemente-Lehre“ stammt vom Griechen Empedokles. Aufgrund der vier „Elemente“ Wasser, Feuer, Erde und Luft stellte er auch vier Körperflüssigkeiten fest: Schwarze Galle, gelbe Galle, Schleim und Blut. Diese Flüssigkeiten stehen wiederum für die vier Menschentypen:
· Melancholiker
· Choleriker
· Phlegmatiker
· Sanguiniker

Vor etwas weniger als hundert Jahren wurde diese Typologie vom norwegischen Theologen Ole Hallesbychristianisiert“ und nutzbar gemacht. Noch heute wird diese grobe Typologie angewendet, ich erachte sie aber nur anfänglich als hilfreich, da sie letztlich doch zu ungenau ist.

Eine ähnliche Typologie scheint mir das DISG-Persönlichkeitsmodell zu sein mit den vier Grundverhalten: dominant, initiativ, stetig und gewissenhaft. Es wird heute auch stark kommerziell genutzt, geht aber eigentlich auf den amerikanischen Psychologen William Moulton Marston zurück, der es 1930 entwickelt hat.

Zwei weitere Typologien:
Der Wiener Jude Sigmund Freud (1856-1939) hat die umstrittene Psychoanalyse entwickelt und eingeführt. Hier geht es um Abwehrmechanismen, die er festgestellt hat. Er unterscheidet:
1. narzisstisch (bedeutet: selbstverliebt): Spaltung drückt sich aus in Uebersteigerung
2. schizoid (bedeutet: abgespalten): Sublimierung (Vergeistigung) bewirkt Distanz
3. depressiv: Selbstagression bewirkt Abhängigkeit
4. zwanghaft: Reaktionsbildung bewirkt Kontrolle
5. hysterisch: Verdrängung zeigt sich in Geltungsbedürfnis

Der deutsche Psychologe Fritz Riemann (1902-1979) hat die Grundängste benennt, die Menschen bewegen und auch unterscheiden können:
1. Die Angst vor Nähe (beim schizoiden Menschen)
2. Die Angst vor Distanz (beim depressiven Menschen)
3. Die Angst vor Veränderung (beim zwanghaften Menschen)
4. Die Angst vor Beständigkeit (beim hysterischen Menschen)

Diese Grundängste, die häufig auf Erfahrungen und Reaktionen aus der Kindheit basieren, können sehr wohl auch bei Christen wirksam sein und ihre Gottesbeziehung prägen und mitbestimmen. Siehe auch die Zeitschrift "Bausteine" 5/07 Mit Angst Leben lernen (Seiten 6,7 und 17: Der Schizoide hat Angst vor einem zu nahen Gott, der Depressive vor einem grossen, zurückgezogenen und unerreichbaren Gott, der Zwanghafte vor einem unberechenbaren, strengen Gott. Diese ängstlichen Gottesvorstellungen hindern die Beziehung zu Gott. Sie können aber auch losgelassen, verändert und geheilt werden!) Viel Informationen zu all diesen Themen findet man heute auch unter www.wikipedia.org. Sie sind aber auch kritisch zu betrachten und zu ergänzen.

Rick Warren beschreibt in seinem Buch „Leben mit Visionn“ fünf Bereiche, die es als Christ zu beachten gilt, um das persönliche Profil zu entdecken, anzunehmen und einzusetzen. Ich habe sie mit entsprechenden Fragen ergänzt:

1. Persönlichkeit:
Wer bin ich? Was habe ich bereits an mir entdeckt? _____________________________________________________________________
Worin bin ich besonders, einmalig und einzigartig? _____________________________________________________________________
Kann ich mich ganz annehmen oder habe ich Vorbehalte? _____________________________________________________________________
Was weiss ich bereits über meine Identität und Lebensberufung? _____________________________________________________________________

2. Fähigkeiten:
Was kann ich gut, was nicht? _____________________________________________________________________
Was habe ich (leicht) erlernt und wie? _____________________________________________________________________
Was ist mir schwer gefallen und warum? ____________________________________________________________________
Wo und wie setze ich meine Fähigkeiten ein? _____________________________________________________________________

3. Geistliche Gaben:
Welche Gabe(n) habe ich (schon) entdeckt? _____________________________________________________________________
Was hilft mir, meine Gaben zu entdecken? _____________________________________________________________________
Was sagen mir andere Christinnen und Christen, wo ich begabt bin? _____________________________________________________________________
Wie setze ich sie ein, wo könnte ich mich und meine Gaben einsetzen? _____________________________________________________________________

4. Erfahrungen, Prägungen:
Wer und wie waren/sind meine Eltern? _____________________________________________________________________ Wie ist meine Geschwisterkonstellation? _____________________________________________________________________
In was für einem Umfeld, "Milieu" bin ich aufgewachsen, welche Werte galten dort? _____________________________________________________________________
Was habe ich in den Schulen gelernt, gefühlt und erfahren? _____________________________________________________________________
Wie habe ich meine Schulkameraden erlebt? _____________________________________________________________________
Was denke ich über meine Lehrer, Lehrmeister und meine Chefs, wie erlebte ich ihre Autorität? _____________________________________________________________________
Wie stark arbeite ich mit andern Menschen zusammen? _____________________________________________________________________
Wie waren meine ersten (Kirch)Gemeindeerfahrungen? _____________________________________________________________________
Wie habe ich meinen Pfarrer, Pastor oder Gemeindeleiter erlebt? _____________________________________________________________________
Was für Freundinnen und Freunde habe ich, wie pflege ich Beziehungen mit ihnen? _____________________________________________________________________

5. Neigungen:
Wofür schlägt mein Herz? _____________________________________________________________________
Bei welchen Tätigkeiten vergesse ich die Zeit? _____________________________________________________________________
Was möchte ich unbedingt erreichen und erleben?
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Amsterdamer Schule

In den Sommerferien im August habe ich das informative, unaufgeregte Buch von Michael Weyer über die Offenbarung gelesen. Dort bin ich erstmals der „Amsterdamer Schule“ begegnet. Damit werden reformierte Theologen der Niederlande im 20. Jahrhundert bezeichnet, die bewusst unter jüdischem Einfluss standen. Dies galt im Speziellen für das Bibelverständnis und die Bibelwissenschaft. Denn Amsterdam war das sogenannte „Mokum“, in Hebräisch „Maqom Alef“, was der erste Ort bezeichnete. Amsterdam war für viele Juden nach der Vertreibung aus Spanien 1492 zur neuen, sicheren Heimat, zum „Jerusalem des Westens“ geworden. Das wurde 1942, als die Nazis sie aus den Niederlanden deportierten und vernichteten, unterbrochen.
Der wichtigste Vertreter war Kornelis Heiko Miskotte, der zuerst Pfarrer und dann Theologieprofessor in Leiden war. Er war ein Zeitgenosse von Karl Barth, mit dem er auch korrespondiert hatte und befreundet war. Zwei seiner Werke wurden auch ins Deutsche übersetzt:
· Wenn die Götter schweigen. Vom Sinn des AT. H. Stoevesandt München 1963
· Biblisches ABC: wider das unbiblische Bibellesen. Neukirchen 1976

Zum Bibelverständnis der Amsterdamer Schule: Es geht um die Dialektik Lesen und Hören:
· Literarisches Auge für den Text
· Theologisches Ohr für das Wort
· Hörend lesen, lesend hören und lernen
· Text zum Klingen bringen, so dass er sich vernehmen lässt und zur Ansprache wird (=hören)

Weiter sind folgende Prämissen und Punkte zu beachten:
· Die Vielfalt der Bibel weist viele innere Beziehungen auf
· Die biblischen Texte sind aus verschiedenen Elementen zusammengewachsen, trotzdem sind sich als organische Einheit zu begreifen (nach Buber)
· Wir werden immer im Defizit gegenüber dem Bibeltext bleiben
· Die Schrift wird in jeder Situation aufs Neue zu Menschen sprechen
· Gott spricht verstehbar durch biblische Texte
· Wir können die Schrift nur deuten, wenn auch die Schrift uns selbst deutet
· Der Text darf es sagen, er ist in seiner Endgestalt zu respektieren, er ist ein sinnvolles Ganzes, eine Einheit, auch wenn er zusammengefügt sein sollte. Er ist die Instanz, die unser Leben kritisiert. Durch ihn kommt Gottes Wort und Handeln zur Sprache.
· Die Bibel legt sich selbst aus und kritisiert sich selbst
· Der biblische Text in seiner Einheit ist wichtiger als jede Methode, das gilt auch für die historisch-kritische Methode. Denn es gibt keine wertfreie Interpretation!
· Jeder der Schulung durch die Schrift sucht, kann zugleich lernen und lehren
· Das Fächerübergreifende ist wichtig, das Gespräch zwischen den verschiedenen Richtungen

Herangehensweise:
· Vorläufige Uebersetzung
· Kontext und Parallelstellen
· Stilistische Erscheinungen hervorheben
· Subjekte (Wer?) und Gliederung
· Inhaltliche Fragen: Themen und Bedeutung
· Thesen
· Assoziationen und Anspielungen erkennen
· Was geschieht mit mir beim Schreiben, Lesen und Hören?
· Kommentare möglichst spät beiziehen, wenn überhaupt!

Quellen:
www.bibelwissenschaft.de/wibilex
www.bb-evangelisch.de

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