Freitag, Februar 12, 2010

Gedanken zum Theodizee-Problem


Zwar lässt sich das Problem des Bösen (oder: Warum lässt Gott das Leid zu?) nicht lösen, trotzdem erlaube ich mir, einige gesammelten Gedanken dazu weiterzugeben. Ich habe die Argumente aus verschiedenen Quellen, auch Seiten wie www.wikipedia.org sind recht ergiebig für Interessierte.

Das Wort „Theodizee“ wurde 1710 von Gottfried Wilhelm von Leibniz eingeführt und bedeutet eigentlich die Rechtfertigung des Glaubens an Gottes allmächtige und allweise Güte angesichts der sinnlos scheinenden Übel in der von ihm geschaffenen Welt. Es handelt sich um ein schwieriges Thema der Philosophie- und Theologiegeschichte, das schon viele grosse Denker herausgefordert hat.

Als am 11. November 1755 Lissabon von einem Erdbeben zu zwei Dritteln dem Erdboden gleichgemacht wurde, war dies für das ganze aufgeklärte Europa «ein ähnlicher Schock wie der 11. September für unsere Zeit», betonte kürzlich der Zürcher Weihbischof und Philosoph Peter Henrici anlässlich einer Tagung zu diesem Thema: «Die Zerstörung einer Stadt, die an der Spitze des kulturellen und wirtschaftlichen Fortschritts stand, versetzte dem Optimismus des Jahrhunderts einen harten Schlag.» Für Voltaire war nach diesem Ereignis der Glaube an einen guten und weisen Weltenlenker fortan unmöglich. Kant indessen sah die Sache anders. Er war der Ansicht, dass nicht Gott für die Katastrophe von Lissabon verantwortlich gemacht werden dürfe. Vielmehr sei es der Unvernunft der Menschen zuzuschreiben, die eine Grossstadt in einer Zone angelegt hatten, von der man wusste, dass sie erdbebengefährdet ist.
Peter Henrici warnte davor, für das Theodizee-Problem allzu einfache Antworten zu suchen. «Das Erdbeben von Lissabon war ein Naturereignis, das, wenn überhaupt, nur von der Hand Gottes gelenkt werden konnte. Der 11. September dagegen war einzig und allein das Werk von Menschen.» Nachfolgend einige möglichen Teilantworten für diese schwierige, kaum lösbare Problematik:

· Freiheit des Menschen, sein freier Wille schafft eben auch Böses (z.B. Deismus)

· Schöpfung ist unfertig. In der Bibel gibt es keine endgültige Antwort auf das Böse, sondern Gott rettet aus dem Bösen. Gott hat mit der Schöpfung dem lebensfeindlichen Chaos eine Ordnung abgerungen. Klaus Berger : „Gott ist nicht grausam, davon bin ich im Laufe meines Lebens als Neutestamentler zusehends überzeugt. Sondern, wenn ein Unglück passiert, ist es allemal die Eigengesetzlichkeit dieser Schöpfung. Wenn jemand vor das Auto läuft und überfahren wird, ist es kein grausamer Gott, sondern es sind die Naturgesetze. Wer so über die rote Ampel hinwegsieht, dem ist nicht zu helfen. Wunder sind für diese Fälle nicht vorgesehen. Es gibt kein Menschenrecht auf Wunder. Der Tod gehört zu dieser Schöpfung hinzu, weil sie schwach ist. Gott will die Überwindung des Todes in all seinen Formen."

· Das Übel als Wille Gottes. Eine mögliche Sicht auf die Bibel verneint, dass Gott nur für das verantwortlich sein kann, was Menschen als „gut“ bewerten, sondern für alles verantwortlich ist, wenn man seine Allmacht ernst nehmen will. Einige Bibelstellen nach der konkordanten Uebersetzung dazu sind: "ALLES, d.h. ausnahmslos jedes Wesen, diene Gott" (Psalm 119:91). Gott mache alles zu seinem Zweck, auch den Gottlosen (Sprüche 16:4). "Ich [Gott] bilde das Licht und ERSCHAFFE das Finstere, bewirke das Gute und ERSCHAFFE das Unheil. Ich, Ieue Aluim, mache all dieses" (Jes. 45:7). "Oder geschieht ein Unglück in der Stadt, und der HERR hätte es nicht bewirkt?" (Amos 3:6). "Herodes wie auch Pontius Pilatus mit den Nationen und den Völkern Israels [waren versammelt], um alles auszuführen, was Deine Hand und Dein Ratschluss vorherbestimmt hatten, dass es geschehe" (Apg. 4:26-28). "Was wollen wir nun vorbringen? Doch nicht, es gebe Ungerechtigkeit bei Gott! Möge das nicht gefolgert werden! Denn zu Mose sagt Er: Erbarmen werde ich Mich, wessen ich mich erbarmen möchte; und Mitleid werde ich haben, mit wem ich Mitleid haben möchte. Demnach liegt es nicht an dem Wollenden noch an dem Rennenden, sondern an dem sich erbarmenden Gott. Denn die Schrift sagt zu Pharao: Ebendeshalb habe ich dich erweckt, damit Ich an dir Meine Kraft zur Schau stelle und damit Mein Name auf der gesamten Erde kundgemacht werde. Demnach erbarmt Er sich nun, wessen Er will, aber Er verhärtet auch wen Er will." (Römer 9:14-18, siehe dazu 2. Mose 4:21, 9:12, 14:4, 14:7). "Nun wirst du erwidern: Was tadelt Er dann noch? Wer hat je denn je Seiner Absicht widerstanden? - O Mensch, in der Tat, wer bist denn du, Gott gegenüber eine solche Antwort zu geben? Das Gebilde wird doch nicht dem Bildner erwidern: Warum hast du mich so gemacht? - Hat der Töpfer nicht Vollmacht über den Ton, aus derselben Knetmasse das eine Gefäß zur Ehre und das andere zur Unehre zu machen?" (Römer 9: 19-21). "Gott gibt ihnen einen Geist der Betäubung, Augen die nicht erblicken ..." (Rö. 11:8). "es [unser Evangelium] ist denen verhüllt, die umkommen, in welchen der Gott dieses Äons die Gedanken der Ungläubigen blendet, damit ihnen der Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit des Christus nicht erstrahle." (2. Kor. 4:4). "Er [ein Bote Gottes] bemächtigte sich des Drachen, der uralten Schlange (die der Widerwirker und der Satan ist) und band ihn für 1000 Jahre." (Offb. 20:1ff).

· Gott hat sich von den Menschen zurückgezogen, die ihn ablehnen (z. B. Pfarrer Wilhelm Busch) Dietrich Bonhoeffer sagte es so: "Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich aus der Welt hinausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns."

· Es gibt keine Lösung: Wir sind nicht berechtigt, Gott anzuklagen. Wir können nur dialektisch vom Paradoxon reden (Karl Barth: Das Böse ist die „unmögliche Möglichkeit“). Ähnlich äußern sich Theologen von heute, beispielsweise Alfred Buß: „Ehrliche Theologie gesteht ein, dass es auf die Frage nach dem Sinn des Leidens keine Antwort gibt. Wer sie trotzdem versucht, setzt nur Irrlichter auf.“ (Karsten Huhn: Wie kann Gott das zulassen?) Fast 2000 Jahre zuvor wird in den Sprüchen der Väter, einem Teil der Mischna und Hauptwerk der jüdischen Ethik formuliert: Rabbi Janai sagt: Es ist uns nicht gegeben zu wissen, warum Frevler in Wohlergehen und Gerechte in Leiden leben. (Kap. IV, Vers 19)

· Die Unabhängigkeit der Engel/Dämonen


Einige weitere Stimmen, die wirklich etwas zu sagen haben:

Schalom Ben-Chorin: Als Gott schwieg. Eine Theologie nach Auschwitz. Das Problem der Theodizee. Die Rechtfertigung Gottes angesichts der Uebel der Welt
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Nun meine ich, dass wir keine zureichende Antwort auf diese Frage haben. Höchstens gewisse Hinweise. Der erste Hinweis ist der, dass die Sünde der Preis der Freiheit ist. Da der Mensch frei ist, kann er sich zum Guten und zum Bösen entscheiden. Auschwitz ist die extreme Entscheidung des Menschen gegen den Menschen, aus der Freiheit des Menschen heraus, der das Böse tun kann, obwohl er das Gute erkennt.
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Von der Bibel her gibt es drei Antworten auf eine Katastrophe von solchem Ausmass. Alle drei können uns aber nicht genügen. Die Bibel versteht das Leiden als Strafe für das Brechen des Bundes, ausserdem als Prüfung – denken Sie an Abraham und Hiob. Und schliesslich gibt es das Leiden des Unschuldigen als Regulativ der Schöpfung. Jesaja 52 und 53, die Lieder vom Knechte Gottes, der leidet um der Sünden anderer willen – ein Gedanke, der dann im Christentum auf die Person Jesu projiziert wurde. Ich muss aber sagen, dass keine der Antworten ausreicht und wir wir letzten Endes wie Hiob sagen müssen: „Ich lege meine Hand auf meinen Mund“, ich kann nicht antworten.

Hanspeter Schmutz: Zwischen 9/11 und Kashmir. Wo war Gott? Fünf Stimmen aus der Bibel.
aus „Bausteine 8/2005“ (hier leicht gekürzt wiedergegeben)
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9/11 und besonders Katrina haben in unserer globalisierten Welt zu einer kollektiven Unsicherheit geführt, die in etwa dem entsprechen dürfte, was mit dem Erdbeben von Lissabon vor 250 Jahren geschah: ein Weltbild wurde erschüttert...
Auch das Vertrauen in einen gnädigen und gerechten Gott ist erschüttert. In den Medien taucht die alte Frage wieder auf: Wo war Gott?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Bevor in der Katastrophenbewältigung Gott ins Spiel kommt, muss zuerst der Anteil der Menschen geklärt werden...
Katastrophen sind oft ein Feedback der Natur auf ein falsches menschliches Verhalten. Schwieriger ist es beim Tsunami einen menschlichen Anteil zu erkennen. Vielleicht hätte ein Warnsystem, das technisch schon länger möglich ist, die Folgen der Katastrophe gemildert. Trotzdem bleibt die Frage nach dem gerechten Gott. Sind Katastrophen eine Geissel Gottes oder Ausdruck der Abwesenheit Gottes?

Die erste Stimme ist Noah. Er predigt das Gericht Gottes mitten in einer Gesellschaft, die sich von Gott entfernt hatte. Trotz deutlicher Warnung kehrt nur eine kleine Schar zu Gott um und wird gerettet. Alle übrigen kommen um. Die Sintflut ist Folge eines göttlichen Gerichts.

Die zweite Stimme ist diejenige von Jona. Der rührige Prophet reist nach anfänglichem Zögern in die heidnische Stadt Ninive, prangert deren Sünden an und ruft zur Umkehr. Tatsächlich kehrt die Bevölkerung um und wendet sich dem Gott Jonas zu. Ninive steht für die Katastrophe als Aufruf zur Umkehr.

Eine dritte Stimme finden wir bei Hiob. Er ist ein gerechter Mann, der tut, was Gott gefällt. Gott lässt sich auf den teuflischen Vorschlag ein, Hiob zu versuchen. Hiob erlebt eine Katastrophe um die andere, verliert alle seine Sicherheiten, bis sein Glaube zu wanken beginnt. Zum Schluss aber geht er gestärkt aus dieser Anfechtung hervor. Hiob erlebte die Katastrophe als Glaubenstest.

Eine vierte Stimme ist Jesus Christus am Kreuz. Der Sohn Gottes - und damit Gott selbst – hängt am Kreuz, unschuldig zum Tod verurteilt. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus erfährt als Gottes Sohn Gottverlassenheit. Seit Karfreitag kann jeder ungerecht Leidende wissen, dass Jesus – und damit Gott – mit ihm leidet.

Und schliesslich gibt es noch die Stimme des Jüngsten Gerichtes: Hier treten alle Menschen vor den Thron Gottes. Ihre Taten werden vom Weltenrichter gewogen und – wen mag es erstaunen – als zu leicht befunden. Wer in seinem Leben trotz Verfehlungen den stellvertretenden Tod von Jesus für sich in Anspruch genommen hat, wird – dank Jesus – frei gesprochen. Wer sich aber als zu gut empfand, um auf das Angebot Jesu einzutreten, dem wird der göttliche Fürsprecher im Jüngsten Gericht fehlen. Hier nimmt die Gerechtigkeit ihren freien Lauf. Sie führt zum Tod des Ungerechten. Das jüngste Gericht steht für beides: absolute Gerechtigkeit und das Ende allen Leidens.

(Ich würde noch eine weitere, biblische Stimme anfügen, und zwar die von Josef. Er war ein Musterbeispiel, wie viel Unrecht man einem Menschen antun konnte: Seine Brüder verkauften ihn als Sklave; er wurde durch Potiphars Frau in Aegypten verleumdet und sass danach mehrere Jahre im Gefängnis. In diesen Tiefen hielt er trotzdem an Gott fest und dieser half ihm, liess seine Arbeit gelingen und beseitigte letztendlich sein ungerechtes Leiden und machte Josef zum zweitmächtigsten Mann Aegyptens. Gott verfolgte mit diesem Unrecht an Josef ein grösseres Ziel, nämlich die Rettung Jakobs und seiner Sippe, der Aegypter und weiterer Völker vor der grossen Hungersnot. In Genesis 50,20 sagte Josef nach dem Tod Jakobs in Aegypten zu seinen Brüdern: „Ja, ihr habt Böses gegen mich geplant, Elohim hat es zum Guten umgeplant, um zu tun wie an diesem Tag da, um lebendig zu erhalten ein grosses Volk.“)


Benedikt XVI.: Wo war Gott? Die Rede in Auschwitz. Mit Beiträgen von Elie Wiesel, Wladyslaw Bartoszewski und Johann Baptist Metz. Herder Freiburg im Breisgau 2006
„An diesem Ort versagen die Worte, kann eigentlich nur erschüttertes Schweigen stehen – Schweigen, das ein inwendiges Schreien zu Gott ist: Warum hast du geschwiegen? Warum konntest du dies alles dulden“
„In solchem Schweigen verbeugen wir uns inwendig vor der ungezählten Schar derer, die hier gelitten haben und zu Tode gebracht worden sind; diese Schweigen wird dann doch zur lauten Bitte um Vergebung und Versöhnung, zu einem Ruf an den lebendigen Gott, dass er solches nie wieder geschehen lasse.“
Benedikt XVI. (auf dem Umschlag vorne und hinten)


Eine wahre Geschichte des Theologen und Krimiautoren Ulrich Knellwolf
«Eines Tages kommt die Gemeindeschwester zu mir und sagt, ich solle einen Mann besuchen, der an Krebs leidet. Ich gehe hin. Der Mann liegt im Bett, klagt über Schmerzen. Trotzdem reden wir gut miteinander. Er erzählt von Südamerika, wo er lange war und wo seine Frau her ist. Nach der Pensionierung wollten sie die Hälfte des Jahres drüben verbringen. Jetzt ist er pensioniert und liegt hier im Bett, statt in Rio in der Sonne zu sitzen. «Es ist zum Heulen», sagt er mit hörbarem Zorn. Bevor ich gehe, ziehe ich, junger Pfarrer, der ich damals bin, die kleine Bibel aus der Tasche und frage, ob ich ihm einen Psalm vorlesen dürfe. Er will nicht. «Sie haben gut schöne Sätze lesen», sagt er. «Ich aber bin auf den Tod krank. Zwischen Ihrer Welt und meiner steht eine Glaswand, und ich bin nicht in Ihrer Welt, und Sie können nicht in meine Welt.» Er hat Recht. Ich spüre die gläserne Wand. Er möchte dennoch, dass ich wiederkomme. Das nächste Mal ist es schon ein wenig dämmerig im Zimmer. Er hat eine Ansichtskarte bekommen, sie steht auf dem Nachttisch. «Ach, der gekreuzigte Jesus», sage ich. «Nein», sagt er, «das ist der segnende Christus über Rio.» Wieder verstehen wir uns gut; diesmal lasse ich die Bibel in der Tasche. Als ich gehen will, fragt er: «Wie war das mit dem gekreuzigten Jesus?» Worauf ich ihm in einem halben Dutzend Sätzen die Geschichte von Golgatha erzähle. Eine Woche später hängt die Ansichtskarte an der Wand dem Bett gegenüber. «Sie haben den segnenden Christus aufgehängt», bemerke ich. «Für mich ist er der Gekreuzigte», antwortet der Kranke. Und als ich etwas verwundert schaue, fügt er an: «Wissen Sie, jetzt habe ich endlich einen Kollegen in meiner Welt.»

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2 Comments:

Anonymous Anonym said...

Herzlichen Dank für deine Zusammenstellung zur Theodizee
FRu

Sonntag, 28. Februar 2010 um 01:23:00 GMT-8  
Anonymous Anonym said...

wenn nicht ständig das leiden ungerechterweise eingesperrter und ausgebeuteter menschen und die qual eingesperrter unschuldiger tiere die theodizeefrage aufs neue nähren würde und damit die zweifel an Gott, wäre es einfacher mit Gott zu kommunizieren. an sich ist die theodizeefrage schon beantwortet. die überwiegend wunderbare und geniale schöpfung wäre niemals zufällig so entstanden und ist nicht ohne Gott denkbar.

Dienstag, 16. August 2011 um 03:45:00 GMT-7  

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