Mittwoch, Oktober 11, 2006

Transformativer Impuls

Schulz beschreibt ab Seite 427 auf etwas komplizierte Art das Veränderungspotenzial des Enneagramms in Verbindung mit christlicher Spiritualität. Zuerst nimmt er die psychologische Erkenntnis auf, dass es beim Menschen anfänglich um Ich-Entwicklung, -Aufbau und –Stärkung und erst später um das Loslassen des Ego geht. Seine Ausführungen greifen weit zurück bis ins Frühchristentum:
„Und dennoch preisen will dich der Mensch, ein kümmerlicher Abriss deiner Schöpfung. Du selber reizest an, dass dich zu preisen ist; denn geschaffen hast du uns zu dir, und ruhelos ist unser Herz, bis dass es Ruhe hat in dir.“ Augustin (Seite 436).
„Die Achtsamkeit ist die Ruhe des Geistes, das Stillwerden oder das Schweigen, das durch Gottes Barmherzigkeit der Seele geschenkt wird. Sie ist die Reinigung der Gedanken, der Tempel für die Erinnerung an Gott und die Kraftquelle zum Ertragen von Prüfungen.“ Nikephoros (Seite 433).
Dann arbeitet Schulz Wolfhart Pannenbergs aktuelles und wichtiges Werk „Christliche Spiritualität“ ein. Pannenberg definiert Sünde und Veränderung darin so: „Sünde ist der gemeinsame Nenner für all das, was dem Geist der Transformation dieses Lebens in die Herrlichkeit Gottes widersteht. ... Indem er sich identifiziert mit seiner entfremdeten Vergangenheit, setzt der Christ eine verborgene Gegenwart seines wahren Selbst im Kampf des alten Adams voraus, und retrospektiv beruft er sich auf die spärlichen Spuren des wahren Selbst, dessen er sich jetzt erfreut, in seinem damaligen Zustand als Zeugnis für die christliche Identität als Befreiung des innersten Selbst der Person, die er zuvor war. ... Die Kraft des Glaubens hebt uns über unser altes Selbst hinaus (Luther). Die lutherische Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben lehrt (nichts anderes als) die transformative Affirmation des Menschen durch Gottes Liebe.“
Der Buddhist Masao Abe sagt es so: „Der Tod des menschlichen Ichs ist wesentliche Bedingung der Erlösung“. Hier wäre ein guter Anknüpfungspunkt, um den Diskurs zwischen christlicher Spiritualität, (lutherischer) Theologie und interreligiösem Gespräch zu beleben.
Nimm meine Liebe und Scham als Busse an“ sagte Rabbi Sussja.
Schulz folgert aus den Geschichten dieses Rabbis ein dreifaches Wirken des Geistes (Seite 444):
· Einsicht meiner abgründigen Entfremdung, Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit (paulinische und lutherische Lehre)
· Klarheit und Barmherzigkeit (Jesus in der Bergpredigt)
· Gabe der unaufdringlichen geistlichen Begleitung und herzliche Sehnsucht, dass Fromme und Unfromme zu Gott hin erwachen möchten

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