Sonntag, Oktober 22, 2006

Marcus Borg: Heute Christ sein

Marcus Borg ist ein renommierter amerikanischer Theologe, der an der Universität von Oregon in Portland im Westen der USA lehrt. Seine familiären Wurzeln liegen in Skandinavien und deren starken lutherischen Tradition. Sein Hauptanliegen ist es, eine neue, differenzierte, nachmoderne Sichtweise des Christseins zu vermitteln, die Bedeutung des Christentums für heute zu erschliessen. Der Untertitel dieses Buches lautet "Den Glauben wieder entdecken" und ist im Jahr 2005 bei Patmos erschienen unter der ISBN-Nummer: 3-491-70387-5. (Amerikanisch lautet der Titel: The Heart of Christianity. Rediscovering a Life of faith. by HarperCollins San Francisco 2003)

Spannend beschreibt er den religiösen Paradigmenwechsel in den USA. Unter Paradigma versteht er eine umfassende Art des Betrachtens (auf Seite 14). Noch selten habe ich ein Buch gelesen, das mich einerseits so fasziniert und zugleich verunsichert und verstört hat. Einesteils weil Borg meist treffend und fundiert argumentiert, andererseits gibt er die Ausschliesslichkeit von Jesus Christus preis und bezeichnet die Auferstehung als unwichtig, nicht jedoch deren Bedeutung. Deshalb könnte man dieses Buch als liberales, historisch-kritisches Pamphlet weglegen und ignorieren, doch dafür enthält es zu viele beachtenswerte Wahrheiten über Gott, Jesus, die Bibel und den christlichen Glauben. Ich versuche dies anhand seiner Textaussagen zu belegen:

Borg beschreibt ab Seite 24 zwei unterschiedliche Bibelverständnisse, ein früheres und ein heutiges, das er vertritt. Das frühere bezeichnet er das "wortwörtliche", wobei es eigentlich noch gar nicht so alt ist, da es sich erst im 19. Jahrhundert richtig ausgebildet und durchgesetzt hat, nämlich parallel zur päpstlichen Unfehlbarkeitserklärung um 1870. Die Bibel wurde dabei nur mehr göttliches Werk angesehen, als eine Art Nachschlagewerk, Lexikon und gar als die "Wörter Gottes". Deshalb muss sie vor allem für wahr gehalten und seit der Moderne nur noch wörtlich-faktisch ausgelegt und verstanden werden. Das hat aber teilweise fatale Folgen für die Lebenspraxis von Menschen, die so glauben müssen.
Borg jedoch versteht die Bibel historisch, metaphorisch und sakramental. Sie sei die menschliche Antwort auf Gott. Mit "metaphorisch" meint er eine Bedeutung, die über das wörtlich-faktische hinausgeht und in diesem Sinne "mehr als wörtlich" ist und deshalb viel Bedeutung für uns heute hat. Auf Seite 60 gibt er ein Beispiel, wie die Schöpfung metaphorisch verstanden werden kann:
"Gott hat alles, was ist, erschaffen. Die Schöpfung ist gut, ja sogar sehr gut. Wir sind nach dem Abbild Gottes geschaffen. Wir leben unser Leben jenseits von Eden: Irgendetwas ist falsch gelaufen. Und wir sehnen uns danach zurückzukehren."
Ein Sakrament ist für ihn ein Mittel der Gnade, ein Medium und Träger des Geistes und die Geistesgegenwart im Sichtbaren und Körperlichen. Für Borg ist die Bibel sehr wichtig, da sie unser Gründungsdokument und Grundlage ist, identitätsstiftendes Dokument, das Sinn gibt und die Weisheitstradition, die unsere Lebensführung bestimmen soll (Seite 55).

Ab Seite 35 beschreibt Borg seine Auffassung von "Glaube“. Er nennt vier Ausprägungen:
· Assensus: Zustimmung
· Fiducia: Vertrauen
· Fidelitas: Treue im Verhältnis zu Gott
· Visio: ganze Sichtweise, umfassender Blick ermöglicht "antwortendes" Ich
Das lateinische "credo" beschreibt er sehr schön und treffend mit "ich gebe mein Herz an Gott, ich liebe Gott, Er ist mir teuer". Damit zeigt er überzeugend auf, dass Glaube im christlichen Sinn immer mehr meint als nur Zustimmung oder „etwas für wahr halten“.

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