Christliche Literatur unter islamischer Herrschaft?
Hinweise auf eine neue Religion in der christlichen Literatur „unter islamischer Herrschaft“? schreibt Karl-Heinz Ohlig auf Seiten 223-325. Er beginnt mit grundlegenden Vorbemerkungen zu diesem Thema:
· islamische Grossreiche haben ausser dem Koran keine literarischen Zeugnisse hinterlassen von 620-820nChr, danach erst gab es Biografien und Historiografien
· es gibt keine religiösen Zeugnisse der Araber als Vasallen in Byzanz
· es gibt eine Fülle von christlich-missionarischer Literatur bis 800, aber keine Erwähnung islamischer Herrschaft; keine kritischen Editionen
· wenig Fakten (für Frühzeit) – viel Interpretation in Richtung Islam, mit zeitlich grosser Distanz
Dann folgen Erklärungen für „die Bezeichnungen Araber, Sarazenen, Ismaeliten und Hagarener vor dem 7. Jh.“ So bedeutet „’arab“ auf syrisch Nomade, „’arba“ Schaf respektiv Schafzüchter. „’arabi“ waren Steppenbewohner, wie es auch im Jesajabuch 13,20 überliefert worden ist. „arabah“ war die Steppe oder Wüste. Arabien kommt in einigen Stellen des Alten Testaments vor (Dt 1,1+2; 4,49; Jos 3,16; 2Ch 17,11; 21,16; Jer 3,2; Ez 27,21) und meint auch das Jordanufer, den Negev oder den Süden von Damaskus. Eigentlich war es „Arabia deserta“, das das südliche Arabien umfasste. Die Bewohner Arabiens sprachen arabisch, syro-aramäisch oder griechisch und das syrische Christentum war die vorherrschende Religion. Eine Volksgruppe waren die Ghassaniden, die monophysitische Jakobiten waren. Ab 750 bestand ein Heiligtum in Medina und erst ab 800 eines in Mekka.
Sarazenen „saraceni“ war die römische Bezeichnung aller Nomaden zwischen Euphrat und Sinai ab dem 2. Jh. Man geht davon aus, dass es ursprünglich Midianiter waren. 106nChr eroberten die Römer das Nabatäerreich. Die Herkunft des Namens Sarazenen ist nicht ganz gesichert: „sark“ heisst auf arabisch Westen, „sarik“ Plünderer oder Räuber, „s(a)r(i)k(a)t“ Konföderation und „serak“ auf aramäisch Leere, Oede, Wüste, leer machen, räumen, rauben oder stehlen. Ab dem 4. Jh. sind nomadische Gruppen als Plünderer und Räuber belegt. Sie galten zudem als Heiden, die Steine und den Morgenstern, die Venus, verehrten.
Die „christlichen Zeugnisse unter der Herrschaft der Ararber bis gegen Ende des 8. Jh.“ sind vielfältig. Auf diesen Tatbestand verweist Ohlig, obschon diese Literatur noch nicht wirklich vollständig erfasst und ausgewertet ist. Er listet dazu 29 verschiedene Textbeispiele auf und beschreibt sie kurz:
1. Weihnachtspredigt des Sophronius, des Patriarchen von Jerusalem 634-638. Er beschreibt, wie gottlose Sarazenen den Weg nach Bethlehem versperren
2. Doctrina Jacobi nuper baptizati (um 640): falscher Profet sei mit Sarzenen gekommen (Harald Suermann hält ihn für Muhammad) Ohlig sieht darin eher eine antijüdische Endzeiterwartung syrischer und arabischer Christen in der Tradition Daniels, zudem scheint Karthago als Ort fiktiv zu sein
3. Maximus Confessor, 580-662, verbannter Streiter gegen den Monoeletismus und Monoenergetismus, schrieb im Brief an Petros Illustrios vom barbarischen Volk der Wüste in antijüdischer Polemik und Stereotypen
4. Dialog zwischen Patriarch Johannes und einem Emir (syrisch, 876) enthält die Fragen: ein Evangelium, aber verschiedener Glaube? Ist Jesus Gott oder Gottes Sohn? Trinität? (Es gab damals grosse christliche Gegensätze zwischen Monophysiten: allmächtiger Gott ist am Kreuz gestorben und Ostsyrern: Messias Jesus ist am Kreuz gestorben) Gesetze der Christen einhalten oder arabische übernehmen?
5. Iso’yaw III, gestorben 659, bezeugt christliches Leben unter arabischer Herrschaft Mu’awiyas
6. Johannes Moschus (540/550-619/628 in Rom) schrieb von syrischer Kirche, der “midzgitha”
7. Pseudo-Sebeos schrieb die Geschichte des Heraklius, ein antijüdisches Programm
8. Anastasius Sinaita (610-701) war Mönchspriester im Sinai
9. Jakob von Edessa (633-708) schrieb über Exegese, Kirchenrecht und Philologie; übersetzte Aristoteles ins Syrische; sah die Araberherrschaft als Strafe für Sünde der christlichen Spaltungen (z.B. Monophysitismus kontra Chalkedonismus)
Aehnlich geht es weiter, viele Schriften hatten apokalyptische Züge, die Hoffnung, Trost und Durchhalten in grosser Not vermitteln wollten. Denn der Frevel hatte sich vermehrt auf Erden, Geschrei war aufgestiegen zu Gott, der dann eingegriffen hatte. Modell dafür war Daniel, was auch zur syrischen Danielapokalypse um 500 geführt hatte. Ephräm der Syrer, gestorben 373, hatte im Sermo 5 vom „Räubervolk, das siegen wird“ geschrieben.
Pseudo-Methodius verfasste auch eine syrische Apokalypse um 680, die zehn Jahr später ins Griechische und 727 ins Lateinische übersetzt wurde (G.J. Reinink übersetzte sie 1993 ins Deutsche). Sie umfasst 14 Strophen, die eine verworrene Weltgeschichte darstellen von Adam bis zum Weltende. Kuschiter, Makedonier, Griechen, Römer und Söhne Ismaels, der Arm des Südens (aus Daniel 11,15), kommen vor, ebenso der Abfall der Christen und die Herrschaft der Byzantiner als christliches Endreich. Ziel war es, eine Hoffnungsperspektive für Christen unter arabischer Herrschaft aufzuzeigen. Weiter gibt es ein syrisches „Evangelium der zwölf Apostel zusammen mit den Apokalypsen eines jeden von ihnen“, das um 790 in Edessa verfasst wurde. Darin steht: „Ismael dienen alle Enden der Erde, viele Herrschaften sind ihm unterworfen“.
Des weiteren gibt es koptische Quellen und griechische Texte aus dem 8. Jh. Dazu gehören Germanus, der Patriarch von Konstantinopel (bis 730) und Bilderverehrer. Dann Johannes von Damaskus, geboren 650, byzantinischer Theologe und katholischer Lehrer. 750 verfasste er „Ueber die Häresien“, worin hundert Häresien behandelt wurden in einer Disputation zwischen einem Sarazenen und einem Christen. Der „Islam“ ist dort die 100. christliche Häresie, denn die frühen Suren haben eine syrische, vornizenische Theologie.
Zur Religion der Araber
Erst im 9. Jh. erfolgte christliche Auseinandersetzung mit dem Islam. In Ostsyrien herrschte ein vornizenisches, syrisch-aramäisches Christentum, das die Gottessohnschaft Jesu ablehnte (wird auch unitarischer Monotheismus oder Monarchianismus genannt). Auch (viele) Araber waren christianisiert, heidnische Bräuche blieben bestehen (gemäss Predigt von Isaak von Antiochien im 5. Jh., Hieronymus und Johannes Damacenus).
Ohlig vertritt die These, dass ein „basic monotheism“ die Gemeinsamkeit von Judentum, Christentum, Zoroastrismus und Randäismus war mit einer Orientierung an der Figur „Abrahams“. Nach 750 erschien sie dann als neue Religion der Araber, indem eine Abkehr von der Letztrelevanz und Einzigartigkeit Jesu erfolgte. Dies ist bezeugt in der apokalyptischen Literatur. Nach 850 wurde Jesus als Messias durch Mohammeds Verkündigung des Korans abgelöst.
(Ohlig verweist in diesem Zusammenhang auch auf sein Werk Fundamentalchristologie, München 1986, worin er unter anderem die unterschiedliche Bedeutung des Kreuzestodes Jesu darlegt. Für das lateinische (westliche) Christentum ist es der Angelpunkt. Er spricht von „Staurozentrischer Christologie“. Augustinus und Tertullian: „Das Kreuz ist die einzige Hoffnung der ganzen Welt“ waren die wichtigsten Begründer dieser Sicht. Für das griechische Christentum war das Kreuz ein Zeichen der Inkarnation, also Inkarnationschristologie. Für die syrischen Christen war es Gehorsam gegen Gott, also Bewährungschristologie. Die Kreuzesinschriften waren in griechisch, lateinisch und hebräisch gehalten, nicht aber in syrisch. Denn die Syrer hatten mit dem Tod Jesu nichts zu tun, daher war er ihnen auch nicht so wichtig.)
Wer war der arabische Profet? Klar ist, dass er Prediger, Händler, Krieger und namenlos war, denn „Mohammed“ war zuerst ein christologisches Prädikat. War er vielleicht ein christlicher Wanderprediger? Literarische Aeusserungen widersprechen traditionellen islamischen Berichten, die rückwirkend konstruiert wurden. Die Islamwissenschaft hat sich der Historie kaum gestellt.
Labels: Arabien, arabisch, Christentum, Geschichte, Islam, Kirchengeschichte, Koran, Kreuz, Literatur, Mohammed, Nomaden, Orient, Schrift
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