Der obdachlose Gott
Der deutsche Theologe und Autor Eugen Biser hat ein kurzes Büchlein mit dem Titel "Der obdachlose Gott" geschreiben. Der Untertitel lautet: Für eine Neubegegnung mit dem Unglauben. Es ist 2005 im Herderverlag Freiburg mit der ISB-Nummer: 3-451-28866-5 erschienen. Eugen Biser wurde 1918 geboren, studierte Theologie und war Professor in Passau, Marburg, Bochum, Würzburg und in München Dekan. Er ist päpstlicher Ehrenprälat.
Biser skizziert hier kurz eine europäische Geschichte des Unglaubens. Darin spielen Feuerbach, Marx, Nietzsche, Freud und Mackie eine Hauptrolle. Er zeigt aber zugleich auch auf, dass menschliche Grundängste da mitspielen und das Verhältnis zu Gott, zum andern und zu sich selbst beeinträchtigen. So ist eben auch Unglaube eine Form von Glauben! Papst Johannes Paul II hat es so zugespitzt: „Du bist frömmer, als du glaubst, mit einem solchen Unglauben.“.
Bei Martin Luther lautete vor der Reformation die Grundfrage „wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ (Seite 36). Später bei Kierkegaard verlagerte sie sich zu „Warum muss ich sein?“. Reinhold Schneider stellte fest, dass ohne Lebenswille kein Glaube möglich ist. Wir werden zum Glauben bewogen, nicht erzogen. Buber hat uns den jüdischen Vertrauensglauben anstelle eines „Für-wahr-Haltens“ wieder nahe gebracht. Es geht eben nicht nur um ein richtiges Bekenntnis, sondern auch um Erfahrungen im Glauben. Ebenso geht es nicht um Leistung, sondern um Verantwortung, wie Romano Guardini betont hat.
Im Akt der Offenbarung lässt sich Gott zum Menschen herab, um ihn ins Einvernehmen mit sich zu ziehen (Seite 92). Die Auferstehung Jesus ist Angel- und Drehpunkt des ganzen Christentums, so Ulrich Wilckens. Diese Tatsache muss aber verinnerlicht werden: Nur so wird der Gegenstand des Glaubens zur Identität. Biser sagt es so: „Der Geglaubte mischt sich selbst in den Glaubensvollzug ein und führt ihn in mystischer Interaktion zum Ziel... Ziel dieser Glaubensmystik besteht nach Paulus in einem Identitätstausch... die Zurücknahme des menschlichen Ich soll seiner, Christus in mir, Anwesenheit Tür und Tor öffnen.“
Seit Imanuel Kant gibt es im westlichen Christentum eine Schieflage, die sich in Kopflastigkeit ausdrückt. Das Hauptgewicht des Christentums verlegte sich so hin zur Ethik. Biser hält dem entgegen, dass das Christentum eine zutiefst therapeutische und mystische Religion sei. Sie zielt auf Heilung, Erhebung und Verwandlung des Menschen und will Sinnfindung im Leiden möglich machen. Gegen Schluss (Seite 96) zitiert er nochmals Kierkegaard, der sagte: „Jesus ist die leibhaftige Verkörperung seiner Botschaft... er bleibt mit den Seinen gleichzeitig, er wohnt als mystische Sinnmitte ein und... verhilft dadurch zur vollen Identität.“
Der obdachlose Gott ist ein wertvoller Beitrag zur gegenwärtigen Atheismusdebatte. Ein kurzes, unscheinbares Büchlein, das zum Nachdenken anregt, weil es unaufgeregt und gut formuliert die Anfragen an den christlichen Glauben aufgreift, auf Wesentliches hinweist und die persönliche Verflochtenheit in Sachen Glauben aufzeigt. Es ist für Menschen zu empfehlen, die bereit sind, ihren Unglauben und Glauben zu überdenken und intellektuell zu verantworten. Es beantwortet in seiner Kürze aber nicht alle Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt werden können. Zudem ist der gewählte Titel „Der obdachlose Gott“ etwas verwirrend, geht es Biser doch eher um den entwurzelten, verwirrten, gekränkten und verängstigen Menschen, der dadurch seinen Unglauben vor sich her schiebt und nicht zu einem persönlichen Glauben an einen offenbarten und vertrauensvollen Gott findet.
Labels: Atheismus, Christentum, Ethik, Geschichte, Glaube, Gott, Identität, Jesus Christus, Mystik, Offenbarung, Religion, Sinn, Vertrauen
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