Samstag, Juni 09, 2007

Christentum im Mittelalter

Von Seiten 86 bis 115 beschreibt Raddatz Entwicklungen des Christentums im Mittelalter. Aus dem griechischen Gegensatz von Leib und Seele, Welt und Geist, schuf Augustinus „civitas terrena“ (Weltreich) und „civitas dei“ (Gottesreich), die sich gegenseitig legitimierten. Daraus erwuchsen „regnum“ und „sacerdotium“, Staat und Kirche, später König und Papst, umschrieben in „temporalia“ und „spiritualia“.
1054 erfolgte die offizielle Trennung Roms von der byzantinischen Ostkirche.
Im 13. Jahrhundert begann die Entflechtung der gemeinsamen sakralen Legitimation im Westen. Raddatz spricht von einer „ersten Aufklärung“. Die christliche Theologie strebte damals eine erweiterte Verbindung der platonischen Spiritualität mit der aristotelischen Rationalität an. Eine Hauptfigur war Anselm von Canterbury, der 1109 starb. Er stand für ein rationaleres Verstehens des Glaubens und der Welt. In diese Zeit fielen auch die bahnbrechenden Erfindungen wie Windmühle, Wasserrad und schwerem Pflug.
Der Napolitaner Thomas von Aquin, Dominikaner, gestorben 1274, verknüpfte Vernunft und Glaube, um die Schönheit der Schöpfungsordnung Gottes aufzuzeigen. Sein Hauptwerk „Summa theologica“ ist Höhepunkt dieser Entwicklung, die heute mit dem Begriff „Scholastik“ bezeichnet wird. Raddatz fasst die Folgen positiv so zusammen: “Platonische Transzendenz und aristotelische Rationalität verankerten sich im christlichen Bild der Allmacht und Liebe Gottes... Der menschliche Verstand hat Teilhabe am Schöpfungsgeist Gottes... Es gibt Freiheit des menschlichen Geistes im Glauben an den menschgewordenen Schöpfer... Wir sind eingebettet in die Schöpfungsordnung und aufgewertet durch Jesus Christus, das ist das trinitarische Prinzip!“

Raddatz weist aber auch darauf hin, dass im Mittelalter die römische Kirche und deren Amtsträger auch äusserst negative Seiten hatten und ungute Entwicklungen auslösten: „Simonie“, der Aemterkauf, war üblich geworden: so wurde der Glaube zu materiellem Gewinn und für Machtzuwachs missbraucht. Der „Ablass“ mit seinen Ablasskrämern war vor allem eine gigantische und einträgliche Geschäftsform und Umverteilungsmaschinerie der Kirche Roms. Ein nie gekannter Niedergang des geistlichen Standes und klerikale Lasterhaftigkeit setzten ein. „Die kirchliche Hierarchie hatte ganz Europa und seine Menschen unter ihre Herrschaft gebracht und das gesamte geistig-religiöse und auch – in Verbindung mit dem Adel – das politische Leben in den Griff genommen.“
Wenige wagten dagegen anzukämpfen, einer davon war Petrus Waldes aus Lyon, gestorben 1217. Er forderte (mit wenig Erfolg) die Erneuerung des apostolischen Auftrages und Predigeramtes, Gehorsam gegen Gott statt gegen den Papst, die Legitimierung der Priester durch eigenen Glauben und die Verwerfung des Ablasses.
Das Zusammenspiel von Papst und französischem König forderte weitere Opfer: In Südfrankreich wurden die Katharer ausgerottet. 1310 wurde in Vienne der mächtige und reiche Templerorden, der bei den Kreuzzügen eine wichtige Rolle spielte, ohne Anhörung kollektiv verurteilt. Die Besitztümer fielen dem Königshaus und der Kirche zu.

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