Donnerstag, November 09, 2006

Der jüngere Sohn

Der jüngere Sohn sagte zu dem Vater: "Vater, gib mir den Anteil des Vermögens, der mir zukommt." Da teilte er den Besitz unter sie. Wenige Tage darauf packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog fort in ein fernes Land."

So kurz und schlicht beschreibt Lukas, was der jüngere Sohn sagt und tut. Doch die Tragweite ist gross, die Beziehung zum Vater und zum Zuhause wird dramatisch abgebrochen: Der jüngere Sohn wünscht sich zutiefst, dass der Vater tot sei. Er verlangt nicht nur die Teilung des Erbes, sondern auch das sofortige Verfügungsrecht. Beide Forderungen wurden damals wie heute und in allen Kulturen als hartherzig, brutal, anstössig und ungeheuerlich empfunden. Sie setzen stillschweigend voraus: "Vater, ich kann nicht warten bis du tot bist!" (nach Kenneth Bailey)
Der Sohn trennt sich von allem, was ihm der Vater gelehrt und beigebracht hat: Werte, Denkweise, Lebensstil, etc. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass er dann in seiner Armut und Not nicht zu einem Juden oder zur jüdischen Gemeinde geht, wie es damals üblich war, sondern zu einem Bürger des dortigen Landes.
Wenn ich vom Vaterhause weggehe, bedeutet das auch, dass ich das Geschaffen- und Geliebtsein von Gott, dem Vater, ablehne. Die feine Stimme Gottes, die mich als Geliebter ansprechen will, ist dann weit weg und stirbt gar langsam ab. Andere Stimmen treten an seine Stelle auf: "Zeige, dass du liebenswert bist! Zeige, dass du ein braver Junge, ein gutes Mädchen bist! Zeige, dass du leistungsfähig bist! Zeige, dass du besser als die andern bist! Zeige, dass du das Leben meisterst, dass du es alleine schaffst! Nimm dein Leben an die Hand! etc."
Nouwen schreibt: "Sucht ist das vielleicht treffendste Wort für die Verlorenheit, die unsere heutige Gesellschaft durchdringt. Es geht um Macht, Reichtum, Geltungsdrang und Verschwendung, doch diese stillen niemals unsere tiefsten Bedürfnisse."
Doch es gibt einen Weg heraus und zurück, auch wenn er uns alles abverlangt. Er fängt mit der Einsicht an, dass ich meine wahre Identität als Sohn oder Tochter verspielt habe. Ich muss bereit werden, meine falsche Identität aufzugeben und den Vater, um Vergebung zu bitten. Ich muss so weit kommen, dass ich keine Forderungen und Bedingungen mehr stelle. Ich kann nicht mehr abschätzen, was mit mir dann passieren wird. Zu Gott kann ich nur leer, demütig und als Verlorener kommen. Der Zöllner schlug sich an die Brust und betete: "Gott, sei mir Sünder gnädig!" (Lk 18,13b). Um beim Bild zu bleiben: Fast alles ist dem jüngeren Sohn genommen oder verschlissen worden auf seinem falschen Weg: Haare, Kleider (Mantel) und Schuhe. Die Sünde nimmt uns letztlich alles, aber sie gibt uns nichts wirklich.

Die Frage an dich lautet: Wann und wie stark habe ich mich schon mit dem jüngeren Sohn identifiziert?

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