Sonntag, Oktober 22, 2006

Ein Gedicht von Billy Collins

Zehn werden

Die blosse Vorstellung lässt mich so fühlen
als ob ich mir etwas einfange
das schlimmer ist als jeder Magenschmerz
oder das Kopfweh, das ich bekomme, wenn ich in schlechtem Licht lese –
Eine Art Masern des Geistes,
Mumps der Psyche,
hässliche Seelen-Windpocken.

Du sagst, es sei zu früh für einen Rückblick,
aber das liegt daran, dass du vergessen hast:
die vollkommene Schlichtheit, eins zu sein,
und die wundervolle Komplexität, die die Zwei bringt.
Aber ich kann in meinem Bett liegen und mich an jede Ziffer erinnern.
Mit vier war ich eine arabischer Zauberer.
Ich konnte mich unsichtbar machen,
indem ich ein Glas Milch auf eine bestimmte Weise trank.
Mit sieben war ich Soldat, mit neun Prinz.

Aber jetzt stehe ich meistens am Fenster und schaue in das Licht des Spätnachmittags.
Früher fiel es nie so feierlich auf mein Baumhaus,
und mein Fahrrad stand nie an die Garage gelehnt, so wie heute,
die ganze dunkelblaue Geschwindigkeit herausgetropft.

Das ist der Beginn der Traurigkeit, sage ich mir,
während ich das Universum in meinen Turnschuhen durchquere.
Es ist Zeit, meine imaginären Freunde zu verabschieden,
Zeit für die erste grosse Zahl.

Es kommt mir so vor, als hätte ich noch gestern geglaubt,
dass es unter meiner Haut nichts als Licht gäbe.
Wenn du mich geschnitten hättest, hätte ich geleuchtet.
Aber wenn ich jetzt auf die Gehwege des Lebens falle,
schürfe ich mir die Knie auf. Ich blute.

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