Die Berglehre von Jesus
Jesus war Jude und seine Zuhörer und Nachfolger waren es damals auch. Das heisst alles, was er sagte, basierte auf dem Alten Testament, besonders auf dem Gesetz/Weisung ("Tora", die fünf Bücher Mose) und den Profeten (alle übrigen Bücher des AT), das er und seine Zuhörer von Kind an gehört, auswendig gelernt und verinnerlicht hatten. Vieles muss ihnen daher bekannt vorgekommen sein, weil Jesus Worte, Themen und Aussagen des AT aufgriff, besonders aus Exodus (2. Buch Mose), Deuteronomium (5. Buch Mose) und aus den Psalmen.
Jesus hat damals in aramäischer Sprache gesprochen, was dem Hebräischen sehr nahe kam. "Selig" heisst in Hebräisch „asch're“ und bedeutet auch "Glück, glücklich, Heil, Seligkeit oder Wohl" und kommt in zahlreichen Stellen des Alten Testaments vor, so auch in folgenden:
Psalm 1,1 & 2: Selig(keit) der Mann, der nicht wandelt im Rat der Bösen, noch sitzt im Kreis der Spötter, sondern hat Gefallen an der Weisung Jahwes und raunt (oder: murmelt, spricht leise) darüber nach Tag und Nacht.
Psalm 2,12b: Seligkeit (oder: Heil) allen, die sich bergen bei ihm (=Jahwe)!
Psalm 32,1: Wohl, wem verziehen wurde Vergehen, zugedeckt Sünde.
Psalm 32,2: Wohl dem Menschen, dem Jahwe nicht Missetat anrechnet.
Psalm 34,9b: Wohl dem Mann, der sich in ihm (=Jahwe) birgt.
Psalm 112,1b: Heil dem Mann, der Jahwe fürchtet, an seinen Geboten hat er sehr Gefallen!
Psalm 119,1 & 2: Selig, die untadeligen Weges sind, die wandeln nach der Weisung Jahwes!
Selig, die bewahren seine Zeugnisse, die ihn mit ganzem Herzen suchen!
An vielen Stellen des Alten Testament ist vom "Tun-Ergehen-Zusammenhang" die Rede, vom kausalen Prinzip des "wenn" und "dann". (Am stärksten in Dt 30,15-20: Siehe! Heute habe ich dir Leben und Heil, Tod und Unheil vor Augen gestellt. Wenn du den Geboten Jahwes, deines Gottes, gehorchst, die ich dir heute anbefehle, ...) Das kausale Prinzip beinhaltet die Gefahr der Selbstgerechtigkeit und Ueberheblichkeit: z. B. der betende Pharisäer in Lukas 18,9-14.
Jesus greift all dies in der Bergpredigt auf, aber bleibt nicht dort stehen, sondern verändert die Blickrichtung und stellt Gott und das Himmelreich in die Mitte:
(Das Matthäusevangelium kann auch als Evangelium vom Himmelreich verstanden werden, die Bergpredigt als Verkündigung der Charta des Himmelreichs. Anmerkung in Jerusalemer Bibel)
Selig die Armen im Geist, denn ihrer ist das Reich der Himmel. Das ist eine Anknüpfung an Psalm 34,19: Nahe ist JaHWeH den gebrochenen Herzen und einem zerschlagenen Geist hilft er auf.
Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Erinnert an Ps 126,5: "Die in Tränen säen, sie werden ernten in Freude." oder an Jesaja 61,2: Der Messias tröstet Trauernde...
Selig die Sanftmütigen, denn sie werden als Besitz empfangen die Erde. Erinnert an Psalm 37,11: Und die Sanftmütigen werden Land besitzen, und sie werden sich laben an der Fülle des Friedens.
Selig die Hungernden und Dürstenden nach Gerechtigkeit denn sie werden gesättigt werden. Erinnert an Psalm 119,123: Nach deiner Hilfe schmachten meine Augen voll Sehnsucht, nach der Gerechtigkeit...
Selig die Barmherzigen, denn sie werden mit Erbarmen beschenkt werden. Es liegt hier keine unmittelbare Anknüpfung an eine AT-Stelle vor, aber Barmherzigkeit, "racham" gehört zum Gehalt des AT!
Selig die Reinen im Herzen, denn sie werden Gott sehen. Erinnert an Ps 24,3+4: Wer wird hinaufsteigen auf den Berg JaHWeHs und wer wird stehen an der Stätte seines Heiligtums? Ein Unschuldiger an Händen und Reiner im Herzen, der seine Seele nicht zu Eitlem erhoben und nicht falsch geschworen hat.
Selig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Es liegt hier keine unmittelbare Anknüpfung an eine AT-Stelle vor, aber Frieden, "schalom" gehört zum Kerngehalt des AT!
Selig die Verfolgten wegen Gerechtigkeit, denn ihrer ist das Reich der Himmel.
Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und sagen alles Böse gegen euch, sie lügen meinetwegen. Freut euch und frohlocket, denn euer Lohn ist gross im Himmel. Denn so haben sie auch die Propheten vor euch verfolgt.
"Die Bibel muss ausgelegt werden. Wenn sie nicht ausgelegt wird, kann sie auch nicht in die Tat umgesetzt werden. Wenn es uns also ernst ist mit Gott, dann müssen wir die Bibel auslegen. Man kann nicht "einfach tun, was die Bibel sagt". Man muss erst einmal festlegen, was das für uns bedeutet. ... Die alten Rabbis verstanden, dass die Bibel noch nicht abgeschlossen ist und interpretiert werden muss. Und sie verstanden, dass ihre Rolle in der Gemeinschaft darin bestand, zu forschen und zu meditieren, zu beten und zu diskutieren und dann eben ihre Entscheidungen zu treffen. Rabbis sind wie Dolmetscher, die den Menschen helfen zu verstehen, was Gott ihnen durch den Text sagt und was es bedeutet, den Text ins Leben umzusetzen. ... Man beachte, was Jesus in einer seiner ersten Botschaften sagt: "Meint nur nicht, ich bin gekommen, das Gesetz ... aufzuheben. Im Gegenteil, ich werde es voll zur Geltung bringen und erfüllen." Damit meint er im Wesentlichen: "Ich bin nicht gekommen, das Wort Gottes abzuschaffen; ich bin gekommen, den Menschen zu zeigen, wie es aussieht, wenn das Gesetz vollkommen ausgelebt wird, bis ins kleinste i-Tüpfelchen. Ich bin hier, um den Worten Fleisch und Blut zu verleihen." ... Ein Rabbi, der mit shmikah (hebräisches Wort für Vollmacht) lehrte, sagte beispielsweise: "Ihr habt es so gehört ... aber ich sage euch ..." (steht in Matthäus 5,21 & 22 & 27 & 28 & 31-34 & 38 & 39 & 43 & 44!). Damit will er sagen: "Ihr habt eine bestimmte Auslegung dieses Verses gehört, aber ich sage euch, was Gott eigentlich mit diesem Vers meint." Die Rabbis hatten einen Fachausdruck für diesen endlosen Prozess des Verbietens und Erlaubens und Interpretierens. Bei ihnen hiess das "binden und lösen". Etwas zu "binden" hiess, es zu verbieten. "Lösen" hiess, etwas zu erlauben (Jesus zu Petrus in Matthäus 16,19 und allgemein in 18,18)... Hier passiert etwas Bedeutsames. Er gibt Menschen, die sich an ihm orientieren, die Vollmacht, die Bibel neu zu interpretieren. Er gibt ihnen die Erlaubnis zu sagen: "Das haben wir an diesem Vers bisher nicht beachtet. Kürzlich erst sind wir zu dem Schluss gekommen, dass er eigentlich das und das bedeutet."
Rob Bell in "Jesus unplugged" Brunnen Giessen 2006 (Ausschnitte von Seite 41-45)
Labels: Altes Testament, Bibel, Christentum, Evangelien, Exegese, hebräische Sprache, Jesus Christus, Judentum, Psalmen, Reich Gottes, Theologie, Thora
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