Die Gleichnisse von Jesus
Gleichnisse waren eine übliche Erzählform zur Zeit des Alten Testaments: Natan erzählte David die Geschichte zweier Männer in 2. Samuel 12,1-5. Der Weinberg als Gleichnis für Israel steht in Jesaja 5. Propheten wie Jeremia, Hesekiel und Hosea mussten selber zeichenhafte Handlungen vornehmen, um Gottes Botschaft zu veranschaulichen und zu verdeutlichen. Dazu ein jüdisches Sprichwort: "Der Reiche hilft dem Armen in dieser Welt, doch der Arme hilft dem Reichen in der zukünftigen Welt." Wahrer Reichtum besteht nicht darin, was man sich anhäuft, sondern darin, was ich verschenke! Auch Ambrosuis wusste: "Das Herz der Armen, die Häuser der Witwen und der Mund der Kinder sind die unvergänglichen Scheunen dieser Welt".
Gleichnisse sind ausgebaute Vergleiche (Martin Forster): Eine Geschichte oder ein Bild steht für die eigentliche Sache, die geistliche Wahrheit, die erklärt werden will: Himmelreich, Frohbotschaft Gottes, Bussruf, Endzeit. Gleichnisse haben zwei Ebenen: eine Erfahrungsebene und eine Offenbarungsebene. Vater, König, Richter, Hausherr, Gastgeber, Hirte und Weinbergbesitzer stehen für Gott, Kinder, Knechte, Schuldner, Gäste und Schafe für die Menschen. Die Erfahrungsebene ist nur scheinbar real, sie ist pseudorealistisch und stilisiert (Susanne Schmid). Das äussert sich an Abweichungen zum Ueblichen, beispielsweise in übertriebener Härte wie "Knecht in Stücke hauen", in spezifischen Zahlen wie die zehn Jungfrauen, ungeschicktem Verhalten und in Sprechchören
Die Gleichnisse haben oft Galiläa als Hintergrund und setzten Lebensart, Gewohnheiten, historische Ereignisse und aramäische Sprache der Bewohner voraus. Galiläa war ein königliches Land mit dörflich-landwirtschaftlichen Strukturen, das an verdiente Leute, die Haushalter oder Verwalter, verpachtet wurde. Diese waren verantwortlich für eine gute Bewirtschaftung und Geschäftsführung. Die eigentlichen Grundstückbesitzer wohnten aber meistens weit weg, ausserhalb von Galiläa. Orientalische Erzähler haben Freude an grossen Zahlen, wunderbaren Vorgängen und Uebertreibungen und setzen dies gekonnt ein.
Die Gleichnisse sind an drei verschiedene Adressaten gerichtet: die Jünger, das Volk oder die Pharisäer. Die Adressaten sind wichtig, damit wir nicht falsche Schlüsse ziehen.
Gleichnisse sind zudem sprachliche Waffen, denn das Gegenüber kann schockiert und zur sofortigen Reaktion herausgefordert werden. (frei nach Joachim Jeremias). Gleichnisse sind auch ein Weg, um zu Menschen in "Trance", im Sinne von Verblendung und Fixiertheit, zu sprechen; Menschen, die eigentlich sehen und hören können, es aber trotzdem nicht tun (nach Clarence Thomson)
Es gibt viele Mehrfachgleichnisse: zwei oder mehrere verschiedene Gleichnisse, die den gleichen Sachverhalt, die gleiche Wahrheit mit unterschiedlichen Geschichten beleuchteten. Zum Beispiel: Lukas 15: drei Gleichnisse, die Gottes Erbarmen illustrieren: Das verlorene Schaf, das verlorene Geldstück und der verlorene Sohn. Lukas 16: zwei Gleichnisse zum Umgang mit Geld und Besitz ("Mammon"): Der untreue Verwalter und der Reiche und der arme Lazarus. Dann gibt es längere Gleichnisse, die zwei Höhepunkte haben: die Einladung zum Hochzeitmahl und der Mann ohne Festgewand
Jedes Gleichnis hat eine "Pointe", einen springenden Punkt. Klaus Berger, der deutsche Theologe schreibt in seinem Buch "Jesus" auf Seite 238 dazu: Das Gleichnis (vom verlorenen Groschen in Lukas 15,8-10) handelt aber von Gott. Im Bild dieser Frau steht seine närrische Suche im Zentrum, seine, Gottes wahnsinnige Freude. Denn er, der Herr der Welten, ist auf der Suche nach jedem verlorenen kleinen Menschen. Er kehrt das Haus um, auf dass er den Letzten finden kann. Die normale Weltordnung ist hier verkehrt worden: Nicht wir müssen Gott suchen, den mächtigen und barmherzigen, sondern er sucht uns. Verzweifelt fast, um jeden Preis. Und wer sein Haus umkehrt, um einen Groschen zu suchen, der tut es auf Knien. Nicht wir knien hier, sondern Jesus schildert hier Gott auf Knien. Ein merkwürdiger Gott – versteht der denn gar nichts von Würde?
Oder zum Beispiel Lukas 16: Der untreue Verwalter. Der springende Punkt ist, dass die Klugheit dieses Betrügers gelobt wird! Er schafft sich Freunde mit dem Geld. Auch wir sollen klug sein im Umgang mit Geld und uns ewige Freunde damit verschaffen!
Zum Gleichnis vom vierfachen Acker sagte der deutsche Theologe Helmut Thielicke: Gottes Gnade ist keine billige Gnade; man muss sie mit allem, was man ist und hat, bezahlen. In die Hölle kann man bummeln. Das Himmelreich kann man nur mit Gewalt an sich reissen. Ja, es ist sehr aufregend, ein Christ zu sein. Da geht es immer ums Ganze. Und auf den stillen Aeckern passiert mehr als an den grossen Knotenpunkten des Verkehrs, wo die roten und grünen Ampeln hängen.
Labels: Altes Testament, aramäisch, Barmherzigkeit, Bibel, Christentum, Erzählung, Gleichnisse, Gott, Jesus Christus, Liebe, Orient, Sprache, Theologie, Wahrheit
0 Comments:
Kommentar veröffentlichen
<< Home