Donnerstag, August 13, 2015

Die Schallmauer

Wachsender christlicher Glaube fängt oft mit zunehmendem Vertrauen zu Gott an. Ich nehme seine Sicht über mich an. Und ich beginne Jesus nachzufolgen, indem ich ihn ernst nehme und tue, was er sagt. Er leitet mich an, brauchbar zu werden und andern Menschen zu dienen. Aber meistens kommt irgendwann eine Ermüdung, eine Krise, die mich zwingt, die Reise nach innen anzutreten und den Glauben vertiefen zu lassen. Viele Christen sind diesen unangenehmen Weg gegangen und haben ihn auch beschrieben als „Nacht der Seele“ oder mit andern Begriffen. Peter Scazzero benutzt dafür das Wort Schallmauer, einen etwas eigenartigen Ausdruck, um den oft langen Weg der Grenzüberschreitung, den Gott mit uns gehen will, zu bezeichnen. Als Schallmauer wird der Übergang bei der Geschwindigkeit in den Überschallbereich bezeichnet. Als das erste Mal diese Grenze überschritten wurde, wusste man noch nicht, was genau dabei und danach passieren würde. Eigentlich ereignete sich dabei gar nicht so viel, aber es brauchte einen mutigen Piloten, der sich auf diesen unbekannten Vorgang eingelassen hatte. Das ist ein gutes Bild für Schritte, den Weg mit Gott in unbekanntes Land, in noch nie gemachte Erfahrungen. In der Regel sind das Ereignisse und Prozesse, die sich in der zweiten Lebenshälfte abspielen; denn die erste Lebenshälfte ist dazu da, das „Wir“ und das „Ich“ aufzubauen. Eine gefestigte Identität, mit entsprechenden Aufgaben und Rollen, ist auszubilden, einzunehmen und auszuüben. Diesen Prozess sollten wir bei uns und den uns Anvertrauten nicht eigenmächtig verkürzen. Es heisst nicht umsonst, dass Abraham 75 Jahre alt war, als er von Haran auszog. Auch Mose war 80 Jahre alt, als er am Dornbusch in der Halbwüste berufen wurde. Nur Josef wurde als junger Mann überraschend in die Sklaverei verkauft und erlebte dabei völlig Unvertrautes und Traumatisches. Es ist oft so, dass spezielle Umstände oder Lebensereignisse wie Beziehungsabbrüche, Arbeitsplatzverluste oder unerwartete Todesfälle, nie dagewesene Fragen und Prozesse in uns auslösen. Auch in der Bibel kommen solche Situationen vor, und sie beginnen ganz lapidar mit „da“, „und“, „eines Tages“ oder „und es geschah“. Eines der krassesten Beispiele ist Hiob. Seine Geschichte wird oft nur verkürzt gelesen und erzählt. Aber seine Verluste sind kaum zu überbieten, sein Erleben ist so notvoll und seine Aussprüche und sein Klagen vor Gott sind heftig. Doch am Schluss wird er und nicht seine frommen Freunde rehabilitiert! Er soll für sie opfern und beten, damit Gott gnädig gestimmt wird. Gott hat also mehr Gefallen an aufrichtiger Anklage und Wahrheit als an frommer Rechtschaffenheit und Korrektheit!

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