Mittwoch, August 19, 2015

Frank Crüsemann: Der Gott der jüdischen Bibel und die Messianiät Jesu (Teil 2)

7. „Erfüllung“ oder „Bestätigung“ der Schrift (Seiten 229-257) Nach Justin dem Märtyrer ist das Alte Testament prophetische Vorhersage des Lebens Jesu Christi. Was aber heissen eigentlich das hebräische male’ und das griechische pleróo, die oft mit erfüllen wiedergegeben werden? Sie bedeuten: voll machen, füllen (wörtlich und bildlich), erfüllen, halten der Gebote der Tora, ins Recht setzen, bestätigen, bekräftigen, unterstreichen und entsprechen. „Wer andere liebt, hat die Tora erfüllt“ entspricht auch, dass die Fülle der Tora die Liebe ist. Bei Paulus werden keine Verheissungen erfüllt, sondern die Tora wird erfüllt. Im Matthäusevangelium hat es viele Erfüllungszitate (1,22; 2,15-23; 4,14; 8,17; 12,17; 13,55; 21,4; 26,54-56; 27,9+35). Erfüllung heisst für Crüsemann vollmächtige Inkraftsetzung der Schrift (Seite 255); denn die Schrift lasse sich nicht auf das christologisch Relevante reduzieren. . . . 8. „Gibt es keine Auferstehung der Toten, dann ist auch Christus nicht auferstanden“ (1Kor 15,13). Auferstehung als Schriftauslegung (Seiten 258-287) Crüsemann beginnt hier mit der Feststellung, dass heute ein breiter Konsens im christlichen Glauben bestehe, dass die Auferstehung Jesu Dreh- und Angelpunkt sei. Viele finden, dass dies auch das Neue sei, doch Crüsemann weist dagegen auf die Kontuinität der Schriften hin, weil es „auferweckt nach den Schriften“ (1 Kor 15,3-5) oder „wie die Schriften sagen“ (Luk 24,27-45) heisse. Damit wird auf Stellen wie Gen 22,4; Ex 19,11-16; 2 Kön 20,5; Esth 5,1; Jes 53; Hes 37; Hos 6,2-4 und Jon 2,1 Bezug genommen. Die Totenauferstehung spielte in der jüdischen Tradition anfänglich kaum eine Rolle, in den Psalmen wurde der Tod ambivalent behandelt, aber in der spätjüdischen Apokalyptik hatte sie einen wichtigen Platz. Jesus gab den Sadduzäern, den Gegnern der Auferstehung, (Mt 22,23-33) und im Gleichnis vom reichen Mann (Lk 16,19-31) eine pharisäische Antwort, in der er von der Auferstehung ausging. Gottes Macht über den Tod war bereits im Alten Testament vielfach bezeugt, diese Fülle spiegelt sich dann auch im Neuen. Die Rede über die Auferstehung Jesu ist auf die Sprache, die Vorstellungen und auf die Verheissungen des Alten Testaments angewiesen, um sie richtig verankern zu können. . . . 9. „Zur Rechten Gottes“ – Die Erhöhung und Präexistenz des Christus und die Identität des Gottes Israels (Seiten 288-314) Psalm 110,1: „Setze dich zu meiner rechten Hand“ kommt 16 resp. 21 mal im Neuen Testament und ist somit das häufigste Zitat aus dem AT. Mit „sitzend zur Rechten Gottes“ hat es sogar Eingang ins Apostolikum gefunden. Die christlichen Theologen haben das Alte Testament zunehmend nur mehr im Horizont der Offenbarung Gottes in Christus gelesen, ausgelegt und dogmatisiert. Crüsemann dagegen plädiert dafür, dass das Neue Testament dem Alten die Wahrheit ganz zugestehe. Denn der Gott Israels war auch im AT schon immer ein Befreier und Gerechter, so wie er in Exodus 20,2 und anderswo beschrieben wurde. Christus handelte nicht von sich aus, sondern Gott handelte an Christus am Kreuz, in Auferstehung und Erhöhung, wie diese Machtübergabe im Matthäusevangelium 28,18-20 beschrieben wurde. Und der Messias wird am Ende Gott seine Macht übergeben respektiv zurückgeben (1Ko 15,28 u.a.). Deshalb war es falsch, Christus gegen das Judentum zu lesen. . . . 10. Der Wahrheitsraum der Schrift und das neutestamentliche „Jetzt“ des Heils (Seiten 315-341) Im Lukasevangelium wird von „heute“ gesprochen, während Paulus das „jetzt“ im Römerbrief (besonders 3,21) und die Fülle der Zeit im Galaterbrief (in 4,4) hervorstreicht. Im Hebräerbrief 3,7 wird dazu Psalm 95,7 zitiert. Geist und Schrift sind zuerst zwei unterschiedliche Sachen, die auf zwei Ebenen liegen; bei ersterem geht es um Geschehen und Handlung, beim zweiten um Lesung und Auslegung. Sie sind aber in einer Art Kreislauf miteinander verbunden und bewirken so Leben und Lebendigkeit. Denn die Geistkraft wirkt so, dass die in der Schrift bezeugten grossen Taten Gottes erzählt werden und Gott dadurch gross gemacht und gepriesen wird (Seite 333). Die Schrift ist durch Gottes Geist bewirkt und ist Grundlage des Glaubens und Heils. Paulus entfaltet seine Theologie als Mischung von alttestamentlichen Schriftzitaten und Schriftauslegung. Das Neue Testament beansprucht nirgends, selbst Produkt des Geistes zu sein.; sondern beschreibt die Lebendigkeit des Geistes, die untrennbar mit der inspirierenden Schrift zusammengehört. Erst im nachbiblischen zweiten Jahrhundert nach Christus ist es dann zur zweigeteilten christlichen Bibel gekommen, worin der erste Teil herabgesetzt wurde. Crüsemann leistet mit diesem Buch einen wertvollen Beitrag, um diese altkirchliche Einseitigkeit und fatale Fehlentwicklung mit grossen Auswirkungen bis in die Gegenwart zu korrigieren.

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