Freitag, Mai 20, 2016

Larry Siedentop: Die Idee des Fundamentalgesetzes

9. Neue Einstellungen und Gewohnheiten. Als Kaiser Justinian die philosophischen Schulen Athens geschlossen hatte, ging das rationale Denken nicht zu Ende und wich dem christlichen Glauben, sondern es war bereits in die Lehren der Kirche eingegangen. Die Frauen erhielten eine zunehmend bessere soziale Stellung und auch Bildung, zuerst die reichen, dann auch alle andern. Was Paulus nur andeutungsweise gesagt hatte, betonte Gregor von Nyssa (335-394) unmissverständlich und klar: Sklavenhaltung ist gegen das Recht Gottes wegen der Gottesebenbildlichkeit der Menschen. Diese neuen Erkenntnisse und Einstellungen flossen auch in den Codex Theodosianus (438 unter Theodosius 2) und in den Corpus Iuris Civilis (529-533 unter Justinian). In der Folge konnten nicht nur römische Bürger Bischöfe werden, sondern jeder, der von der Gemeinde gewählt wurde! 10. Geistliche und weltliche Macht. 476 ging das weströmische Reich zu Ende und äusserer und innerer Zerfall setzte ein. Klerus und Bischöfe übernahmen nun auch politische Aufgaben wie Verwaltung, Verteidigung und Diplomatie. Klöster wurden zu Zufluchtsorten der Gemeinschaft, des Gebets, der Bildung und des Wissens. 11. Barbarische Gesetze, römisches Recht und christliche Anschauungen. Eine Verlagerung der moralischen Autorität von der Familie zum Klerus fand statt. Das Abendmahl wurde zum Messopfer, das nur Priester darbringen konnten. Karl der Grosse kam in eine Zwischenzeit hinein, nach dem Rom der Antike und vor dem Europa der Moderne. 12. Der karolingische Kompromiss. Karl der Grosse wollte ein christliches Reich schaffen. Er verpflichtete einzelne Menschen, nicht mehr Familien, für sich, sein Reich und den christlichen Glauben. Sein Berater und Bildungsreformer war der Mönch Alkuin von York. Je jenseitiger das Christentum wurde, desto bessere Voraussetzungen lieferte es paradoxerweise für soziale Reformen.

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