Montag, November 14, 2011

Zürich, warum ich es mag...




Schon früh war ich ein Aussenseiter. Einer, der die Dinge gerne etwas anders sieht als der Mainstream. Deshalb gilt meine Bewunderung auch Zürichs Geschichte und Dynamik, während mich Berns Behäbigkeit, Besitzstandwahrung und Beamtentum nie sonderlich begeisterte. Letzte Woche hatte ich nun die einmalige Gelegenheit im Rahmen der VCH-Tagung an einer Führung durchs Zürcher Grossmünster teilzunehmen. Noch war der kundige Führer, ein älterer Mann, anfänglich etwas zögerlich, kam aber immer mehr in Fahrt und begeisterte mich für Zürichs eindrückliche Stätte der Reformation. Von aussen nach innen führte uns der Weg in dieses monumentale romanische Bauwerk. Heute besuchen diese Kirche vor allem Touristen aus aller Welt wegen den Glasfenstern des deutschen Künstlers Sigmar Polke, die seit 2009 eingebaut sind. Gerade die Fenster, die aus durchscheinendem und farbigen Achatstein gefertigt sind, sind in verschiedener Weise einzigartig. Die Themenfenster drücken für mich dagegen mehr vom postmodernen Zeitgeist aus, der ganz unterschiedlichste Interpretationen offen und zulässt.
Meine Begeisterung und Faszination hat hingegen der Chorbereich erhalten: Hier ist unter anderem eine Zürcherbibel von 1531 ausgestellt, die Zwingli zusammen mit seinen Mitstreitern vorher übersetzt und diskutiert hatte. Es war ein Gemeinschaftswerk, daher heisst sie auch Zürcher- und nicht Zwinglibibel! Holbein der Jüngere hat sie farbig illustriert, die meisten Reformatoren waren also mitnichten Puristen und wütende Bilderstürmer wie häufig behauptet wird, und Froschauer hatte sie gedruckt. Ein Exemplar kostete damals ein Vermögen, etwa einen Halbjahreslohn eines Handwerkers. Doch bereits nach weniger Zeit waren die ersten siebenhundert Exemplare vergriffen, so dass nachgedruckt werden musste, das Interesse war riesig. Die Stadtbevölkerung betrug damals nur gut 5'000 Personen. Noch heute finde ich die Zürcherbibel von den besten im deutschen Sprachraum, mir gefällt ihre schnörkellose, präzise und feine Sprache sehr; und ich ziehe sie der "blumigeren" Lutherbibel vor.
Neben dem Chor ist eine Art Sakristei angeordnet, wo einfaches Abendmahlsgeschirr und riesige Bibeln und Folianten aus der Reformationszeit aufbewahrt werden. Ebenso sind Fotografien der Grossmünsterpfarrer der letzten Jahrhunderte aufgehängt. Die erste Frau darunter war die erste in Zürich ausgebildete Theologin, die aber nur Pfarrhelferin werden konnte damals Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich kam mir vor wie in einem lebendigen Museum, das noch viele Geschichten zu erzählen hätte. Dem Führer ist es jedenfalls gelungen, mir diese Gemäuer, Räume und Einrichtungen lebendig und bedeutsam zu machen mit seiner feinen Art und innerem Feuer. Zu guter Letzt war noch eine Turmbesteigung möglich, die uns eine schöne Novembernebelsicht auf die grösste Schweizer Stadt bescherte.



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