Montag, Oktober 17, 2011

Gerhard Jankowski: Die grosse Hoffnung

Gerhard Jankowski wurde 1937 geboren und studierte Theologie. Er war 1965 bis 1998 Pfarrer in mehreren rheinischen Gemeinden, so in Bad Breisig. Er ist Mitherausgeber der exegetischen Zeitschrift Texte & Kontexte. Heute ist er im Ruhestand und lebt in Siegburg.

Der Untertitel dieses Buchs lautet: Paulus an die Römer. Eine Auslegung.
Es ist im Alektor Verlag Berlin 1998 unter der ISBN-Nummer: 3-88425-069 8 erschienen. Noch ein Buch über den Römerbrief, gibt es nicht schon genug? Ja, aber es ist ein Werk mit einem anderen Ansatz und Fokus, denn Jankowski versteht Paulus primär als jüdischen Lehrer und Vermittler zwischen Juden- und Heidenchristen. Und er begründet dies auch anhand des Textes. Noch selten habe ich von einem exegetischen Buch so viel gelernt und fundierte neue Sichtweisen erhalten wie bei diesem unscheinbaren Buch in schlichtem Grün mit seinen 335 Seiten.

Jankowski geht zwar auch am Anfang auf Luthers Vorlesung über den Römerbrief von 1515/16 ein, die zur bedeutenden evangelischen Rechtfertigungslehre und Freiheit geführt hat. Luther habe sich aber weitgehend noch an den lateinischen Text gehalten, bei dem die Kernbegriffe „peccatum“ (Sünde) und „iustitia“ (Gerechtigkeit) immer auch eine stark juridische Bedeutung hatten im Gegensatz zu Paulus. Obwohl Luther das theologische System und die Praxis der katholischen Kirche zu hinterfragen und kritisieren begann, war er doch vom lateinischen Denken der Kirchenlehrer und seiner Zeit geprägt. Er „bellte“ zwar gegen die Philosophie und die Scholastik, die sich auf Aristoteles berufen hatte, und wollte die Theologie davon befreien, damit sie wieder einfach, beweglich und lebendig würde. Doch Luther schien mit der Botschaft von Paulus recht frei umgegangen zu sein. Denn das Hauptthema wäre bereits in den ersten Sätzen des Römerbriefs angedeutet: „an die Geliebten Gottes und die gerufenen Heiligen“. Das sind für Jankowski das Volk Israel und die „Gojim“, die Heiden. Der Römerbrief sei also zur Hauptsache eine Abhandlung über dieses Problem, das Verhältnis von Juden, Judenchristen und Heidenchristen, das seinen Höhepunkt in den Kapiteln 9 bis 11, in der Mitte des Römerbriefs erreichen wird.

Jankowski skizziert auch in präzisen, kurzen Zügen die Situation des römischen Reichs. Trastavere war damals der jüdische Stadtteil Roms, dort lebten Sklaven aus Israel, die später häufig freigelassen wurden. Es gab zudem gottesfürchtige Heiden, die nach einem Jahr zu Proselyten werden konnten. Man zählte damals ungefähr zwölf Synagogen in Rom.
Kaiser Augustus und Tiberius waren autoritäre Herrscher, aber erst Caligula war ein willkürlicher Despot, der ausschweifend und erpresserisch lebte, was sich negativ auf die römischen Bürger und zerrüttend auf das Staatswesen auswirkte. Der Historiker Th. Mommsen sagte über diese Zeit: „Um Geld verkaufte der Staatsmann den Staat, der Bürger seine Freiheit, die vornehme Dame gab sich preis wie die Dirne, Urkundenfälschung und Meineide waren gewöhnlich. Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit waren vergessen.“
Claudius herrschte bis 54 nach Christus, danach kam Nero, während dessen Herrschaft der Römerbrief von Paulus geschrieben wurde. Schon früher sagte der Dichter Vergil etwas sehr Treffendes über das Proprium des „Imperium Romanum“: „Du, Römer, denk daran, die Völker mit Gewalt zu regieren; das werden deine Künste sein – im Frieden Ordnung aufzu-richten, die Unterworfenen zu schonen und die Uebermütigen völlig zu besiegen.“ Dieser Kontext ist unbedingt zu beachten, will man den Römerbrief wirklich richtig verstehen und ihn für die Gegenwart nutzbar machen.

Den Juden wurden die Sprüche Gottes anvertraut, die Gottes Treue verkünden. Aber sie haben den Heiden nichts voraus, weil sie die Thora nicht eingehalten haben. Alle sind unter der Sünde, von Gott getrennt, und allen, die Gott vertrauen und mit Treue antworten, kommt seine Bewährtheit und Treue zugute. Jesus verkörpert Gottes Programm, er löst die Menschen aus, wir sind keine Sklaven der Sünde mehr, sondern befreit, um versöhnt zu leben. Gott hat Jesus als „kaporet“ oder „hilasteerion“ hingestellt, das entspricht der Deckplatte oder Bedeckung der Bundeslade, die mit Blut besprengt wurde (Kapitel 3).
Zwar hatte der zweite Tempel keine Bundeslade mehr, aber am leeren Platz wurde trotzdem dieses Entsündigungs- und Sühneritual vom Hohepriester am „Jom Kippur“ vollzogen. Um Jude zu werden, musste ein „goj“, ein Heide, sich beschneiden lassen, an Jom Kippur Blut des Bundes für sich spritzen lassen und ein Tauchbad nehmen.
Taufe ist also keine christliche Erfindung, der Ursprung ist das jüdische Tauchbad, um Unreinheit abzuwaschen und rein erklärt zu werden. Tauchbad und Taufe begründen Eintritt in die jüdische respektiv christliche Gemeinschaft. „Messianische Taufe“, Taufe auf Jesus hebt auch Feindschaft, Abgrenzung und unheile Verhältnisse auf. Nun können sich Juden und Heiden gemeinsam auf den Weg machen. Befreiung heisst frei vom Sklavendienst Aegyptens und Roms zum befreiten Sklavendienst Gottes. Da gehörte auch die Heiligung des NAMENS „kiddusch ha-schem“, Thora tun, Gebet und Hingabe bis zum Martyrium dazu. Durch die Thora bekam die Freiheit die entsprechende Disziplin. Aber in der römischen Diaspora konnte ein Jude kaum leben, ohne die Thora zu übertreten. Paulus spricht deshalb im Kapitel sieben wohl als Anwalt der Nichtjuden zu seinen jüdischen Brüdern.

72mal verwendet Paulus insgesamt den Begriff „sarx“, was meist mit Fleisch übersetzt wurde, 26 mal kommt er im Römerbrief vor, davon elf mal im Kapitel 8. Selten braucht er ihn wortwörtlich, sondern zur Bezeichnung verwandtschaftlicher Beziehungen (in 4,1 und 9,1), als Synonym für die Beschneidung, als Einheit von Mann und Frau und für Israel. Der hebräische Begriff, der ihm zugrunde liegt ist „bassar“. Die drei Konsonanten stehen auch noch für „boschah“ Scham, Schande; „serucha“ Gestank, Verwesung; „rimma“ Gewürm. Mit diesen Begriffen bekommt bassar jedoch eine eher negative Bedeutung, das „Fleisch“ beeinflusst also das menschliche Leben negativ.

Israels Fertilität (Fruchtbarkeit) ist eine von Gott her zugesagte, gewährte und geschenkte. In den „toledot“ (Geschlechterfolgen) Israels gibt es nicht nur natürliche Folgen, sondern auch ungewöhnliche Durchbrechungen und teilweise Unordnung. Denn nicht immer ist der Erstgeborene der „bechor“ (Stammhalter), weil Gott nicht das Grosse und Starke erwählt, sondern das mindere. Und er verwirft die, die Schwachen und Zuspätgekommenen unterdrücken und verfolgen. Wie ein Töpfer (Jes 44 und 45) ist Gott souverän, er schuf Israel, um es zu befreien. Ziel dieser Traditionskette ist das Aufrufen der befreienden Taten Gottes und ihre Vergegenwärtigung. Dies geschieht durch Vertrauen, das aber nur möglich ist, wenn zuerst hingehört wird, was kundgemacht wird (Seite 238). Der Gesandte und Profet hat also die Aufgabe, Gottes Taten zu verkündigen, der Hörer der Botschaft, Vertrauen in Gott zu setzen.

Gnade ist Solidarität, die das Zusammenleben neu gestaltet. Israel ist nicht verstossen, weil Gott sein Volk nicht verstossen kann. Israel ist nach wie vor da in einem Rest. Es muss in den messianischen Gemeinschaften einen schleichenden Antijudaismus gegeben haben, besonders in Philippi. Die Ermutigung zum Zusammenleben von Juden- und Heidenchristen ist ein Anzeichen dafür. Einige wollten Israel beerben, indem sie es enterbten. Dagegen wendet sich Paulus vielfältig in den Kapiteln neun bis elf.

Kapitel 12 bis zum Schluss sieht Jankowski als „halacha“, die Juden und Christen gemeinsam beachten und tun sollen, um gottgefällig zu leben. Halacha kommt von „hlkh“, was gehen bedeutet.
Gott befreite Israel aus Aegypten, das war bereits das Hauptstichwort der Exoduserzählung. Die Befreiung aus der römischen Unterdrückung war ein Hauptanliegen des Paulus, aber nicht in einem direkten, kriegerischen Sinn, sondern dass dem Befreier Israels das letzte Wort und alle Macht gehört. Deshalb sind ungerechte Grossmächte wie Rom vorläufig zu dulden und Christen haben sie zu akzeptieren und sich ihnen unterzuordnen, weil Gott über Rom verfügen und ihm zu seiner Zeit ein Ende setzen wird (Kapitel 13). Das ist die (grosse) Hoffnung, die wir haben können kraft des heiligen Geistes, wie Paulus beim inhaltlichen Schluss in Kapitel 15,13 schreibt!

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