Sonntag, Oktober 16, 2011

Ein Grund für Antisemitismus in christlichen Kirchen

Der Hamburger Theologe Klaus-Peter Lehmann hat in der exegetischen Zeitschrift "Texte und Kontexte" Nr. 88 4/2000 unter dem Haupttitel „Blut ist Leben?“ einen beachtenswerten Artikel verfasst: "Der Born des Antisemitismus im Herzen der Kirche. Messtheologie & lutherische Gesetzeslehre weisen den Weg in eine antijudaistische Oekumene."
Er bringt das Problem der heutigen christlichen Oekumene auf den Punkt, sie ist nämlich unbewusst antijudaistisch! Die christlichen Konfessionen sind sich zwar weitgehend einig im Glauben an Jesus Christus. Sie sind sich aber uneins, was sie von Kirche und ihrer Autorität halten sollen. Die Kirchen sind sich wiederum häufig einig, dass Israel enterbt sei und sie an seiner Stelle getreten seien. Das wird zwar nicht mehr so explizit formuliert, aber unbewusst ausgelebt und davon sind sie geprägt. Das ist jedoch Oekumene auf unbiblischer Basis und mit antisemitischer Färbung.

Lehmann versucht plausibel nachzuweisen, dass dieses Problem eine lange Geschichte hat. Er weist auf das 4. Laterankonzil 1215 hin, das aufgrund seiner Grösse wesentlichen Einfluss und Wirkung auf die katholische Kirche und die westliche Gesellschaft hatte. Das Papsttum mit Innozenz III war auf seinem Höhepunkt, über 1'000 geistliche und weltliche Würdenträger und Abgesandte nahmen am Konzil teil. Einfluss und Macht zeigten sich darin, dass Albigenser, Waldenser, Joachim de Fiore und Amalrich von Bena verurteilt wurden und erfolgreich bekämpft werden konnten. Auch wurde Otto IV abgesetzt, die Inquisition eingeführt und die Beichtpflicht verordnet. Antijüdische Gesetze wurden formuliert, die die Juden kennzeichneten und diskriminierten, was zur Ghettoisierung führte. Dieser meist fiktive, kollektive Judenhass wuchs. Lehmann macht mit L. Poliakov darauf aufmerksam, dass Antisemitismus eigentlich noch schlimmer sei als Rassismus, weil Juden diabolisiert wurden, hingegen Farbige „nur“ bestialisiert.
Gleichzeitig nahmen anschliessend Vorwürfe der Hostienschändung und Ritualmorde zu. Das hat auch mit dem sakramentalen Verständnis des Abendmahls zu tun, dass Wein und Brot in Blut und Leib Christi gewandelt würden. Diese Hostien wurden natürlich verehrt und Hostienwunder immer wieder behauptet. Die Macht der Kirche begünstigte die materielle Gleichsetzung von Gott und Hostie, das Heil wurde vergötzt. Dieser Vorgang der Wandlung wurde Transsubstantiation genannt, lateinisch „consecratio“. Sprachlich vereinigt sie aber verschiedene hebräische Worte, deren Bedeutungen aber nicht austauschbar sind: Heiligung, Salbung, Weihung, Ueberführung und sogar Kinderverbrennung (Ez 16,21). Consecratio war zuerst ein Begriff der römischen Staatsreligion, bei dem Profanes zu Sakralem wurde. Das heidnische Denken vergötterte zunehmend den römischen Kaiser. Das hat aber nichts mehr mit dem jüdischen Verständnis zu tun, der Vorrang Israels wurde somit verneint und der Ethos der Bibel ignoriert.
Nicht nur die katholische Kirche hatte ein Judenproblem, leider war auch der Reformator Martin Luther ein Judenfeind. Das zeigte sich, indem er die Tora paganisierte (heidnisch interpretierte), sich im Alleinbesitz der Wahrheit wähnte und starke Vorurteile gegenüber Juden hatte.

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