Donnerstag, Mai 06, 2010

Aktueller Fundamentalismus




Der ungarische Rabbi Chaim Elieser Schapira (1872-1937) aus Munkaes war ein orthodoxer Chassidim und Antizionist, der den Gehorsam gegenüber der Tora forderte. Mit dem Studium der Tora und dem Halten der Gebote werde die innere Leere wieder gefüllt. Dagegen stellte der Rav Abraham Isaak Kook die unteilbare Dreiheit von Land, Volk und Tora heraus. Wenn man eines aufgebe, dann stürze man alle ins Verderben. Diese Haltung gipfelte in der gewaltsamen Besetzung Hebrons. Der „Gusch Emunim“ ist gemäss den Kook-Anhänger und –Nachfolger unter Rabbi Levinger eine aggressive Gegenbewegung zur säkularen Kultur, die 1974-77 ihren (vorläufigen?) Höhepunkt erreichte. Dabei sind die „garin“, die Siedlungen und „awoda“, die man als Anbetung durch politische Aktionen bezeichnen könnte, elementar.

Der Pakistani Abu l-A’la al Maududi, 1903-79, war Journalist und Politiker, proklamierte die Gottesherrschaft, also einen totalitären islamischen Staat. Aus einer Notlage heraus, dem Hintertreffen gegenüber dem Westen, befürwortete er einen universellen „Dschihad“, den heiligen Krieg.
Sein geistiger Nachfolger war der Aegypter Sayyid Qutb, 1906-66, führendes Mitglied und Vordenker in der Muslimbruderschaft. Er landete im Gefängnis und wurde 1966 hingerichtet, als die Regierung die Muslimbruderschaft nach Aufständen verfolgte. Er prangerte die „dschahiliyya“, die prinzipielle Auflehnung gegen Gott an, die heute schlimmer sei als früher, da sie wissentlich geschehe. Er wies auf die vier Stadien Muhammads hin: „dschama’a“ Vereinigung der Gläubigen, Absonderung und Auszug, Konsolidierung und Kampf gegen die Ungläubigen. In der Zeitung der Muslimbruderschaft „ad-Da’wa“, der Aufruf, wurde folgende als Feinde des Islam bezeichnet:
· Westliches Christentum „as-Salibiyya“ mit Kreuzzügen und seinem Imperialismus
· Kommunismus
· Säkularismus
· Zionismus (durch Protokolle der Weisen von Zion und das Camp-David-Abkommen)

Der islamistische Studentenverband „dschama’at al-islamiyya“ wurde von Sadat noch bis 1977 unterstützt, obwohl Sadat eher westlich gesinnt war. Der Studentenverband sah den Islam als einziges Gegenmittel zum westlichen Einfluss. 1979 gab es studentische Gewalt in der Universitätsstadt Mittelägyptens al-Minya, was zum Verbot dieses Studentenverbands führte. Jusuf al-Qaradawi war damals der berühmteste Muslimbruder und sagte folgendes zu Sadat: „Aegypten ist muslimisch, nicht pharaonisch... Nicht die Pyramidenallee, die Theatervorstellungen und Filme, sondern die jungen Menschen der dschama’at al-islamiyya sind die wahren Vertreter Aegyptens... Aegypten, das sind nicht nackte Frauen, sondern verschleierte Frauen, die sich an die Gebote des göttlichen Gesetzes halten. Aegypten, das sind junge Männer, die sich den Bart wachsen lassen... Aegypten ist das Land von al-Azhar.“

Im Iran ist ein Wohnhaus grundsätzlich in drei Bereiche eingeteilt: „biruni“ ist der äussere, „darni“ der innere und „batini“ der verborgene. Ayatollah Khomeiny erlangte im Protest und Kampf gegen den westlich orientierten Schah eine überragende Stellung wie Moses gegen den Pharao. Ob er wohl der lang ersehnte und erwartete verborgene Imam sei? 1960 hielt er Vorlesungen über islamische Ethik in Qom, dem Zentrum der Schia im Iran. 1963 protestierte er gegen den Schah und landete im Gefängnis. Immer mehr wurde seine Lehre zu einer „Theologie des Zorns“. Denn bei der Schia geht es hauptsächlich um soziale Gerechtigkeit und Unsichtbares oder die verborgene Welt „batin“ 1964 wurde er des Landes verwiesen und ging zuerst in den Irak und dann nach Frankreich.

Generell meint Armstrong sagen zu können, dass fundamentalistische protestantische Christen mehr zur Orthodoxie im Sinn der rechten Lehre neigen; Juden und Muslime tendieren stärker zur Orthopraxie, zur Ausübung und Anwendung des richtigen Glaubens.
(Und ich würde ergänzen, dass der Islam von allen drei das grösste und stärkste Gewaltpotential besitzt, weil Koran, Sunna und Scharia Gewaltanwendung legitimiert, fordert und anwendet.)
In Israel nehmen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Muslims zusätzliche Dimensionen an: Die Existenz Israels wird zur religiös-ethischen Auseinandersetzung von Muslimen kontra Juden. Aber eine neue Kluft vergrössert sich zwischen säkularen und religiösen Juden; denn hier geht es um Aufklärung, Geistfreiheit und Selbstbestimmung im Gegensatz zu Tradition, Offenbarung und Gehorsam gegenüber Gott. Ueber diese Kampflinie schreibt Armstrong am Schluss des Buchs auf Seite 514 und 515: „Dieser Kampf für Gott war ein Versuch, die Leere im Herzen einer auf wissenschaftlichen Rationalismus gegründeten Gesellschaft zu füllen. Statt die Fundamentalisten zu schmähen, hätte das säkularistische Establishment gelegentlich durchaus profitieren können, wenn es sich manche Gegenkulturen einmal länger und genauer angesehen hätte...
Wenn die Fundamentalisten zu einer stärker von Mitgefühl geprägten Einschätzung ihrer Feinde gelangen müssen, so müssen sich die Säkularisten ihrerseits mehr um das Wohlwollen, die Toleranz und den Respekt vor dem Menschen bemühen, die charakteristisch für die moderne Kultur in ihrer besten Erscheinungsform sind, und sich mit mehr Empathie den Aengsten, Sorgen und Bedürfnissen zuwenden, die so viele ihrer fundamentalistischen Mitmenschen empfinden und die zu missachten sich keine Gesellschaft mehr leisten kann.“

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