Sonntag, Februar 22, 2015

Parker Palmer: Burn-out

Gestern hat mir meine Frau ein Zitat aus dem Buch von Peter Scazzero: Mitten am Tag bist du mir nah; vorgelesen. Dabei geht es um eine Definition von Burn-out, die der Amerikaner Parker Palmer geschrieben hat: "Burn-out ist ein Zeichen dafür, dass ich mein eigenes Wesen im Namen irgeindeines noblen Ziels verletze. Üblicherweise hält man Burn-out für eine Folge dessen, dass jemand "zu viel gibt". Aber meiner Erfahrung nach resultiert es eher aus dem Versuch, etwas geben zu wollen, das uns nicht gehört - das heisst, letztendlich zu wenig zu geben! Burn-out ist sicherlich ein Zustand der Leere, aber sie kommt nicht daher, dass ich alles gebe, was ich habe. Sie offenbart einfach nur das Nichts, aus dem heraus ich versucht habe, etwas zu geben." Dem kann ich aus Erfahrung nur zustimmen.
Leerer Fischerhafen von Kao Takiab (Thailand) am Abend

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Peter Scazzero: Das Paulus-Prinzip

Peter Scazzero hat zusammen mit Warren Bird das Buch "The Emotionally Healthy Church" geschrieben. Es wurde in Deutsch mit dem eher unglücklichen Titel "Das Paulus-Prinzip. Warum Schwäche ein Gewinn sein kann" versehen und ist im Jahr 2008 im Francke-Verlag in Marburg unter der ISBN 978-3-8612-998-8 erschienen. Zum Autor: Peter Scazzero wurde in New York als Sohn von italienischen Einwanderern geboren. Er studierte Theologie, arbeitete danach für die christliche Studierendenorganisation Intervarsity und lernte in Costa Rica die spanische Sprache. Im New Yorker Stadtteil Queens gründetete er eine englisch- und eine spanischsprachige Gemeinde. Trotz vieler Arbeit und Erfolg wandte sich später ein Grossteil der Hispanics-Gemeinde ab und auch seine Ehe mit Geri war sehr angespannt, was ihn zum Umdenken zwang. Er begann mehr auf einen gesunden Lebensrhythmus und emotionale Reife und Stärke zu achten, das Sein vor Gott statt das Tun bekam Priorität. Zum Buch: Scazzero nimmt uns mit auf seine Lebensreise, die von seinen Eltern und den Idealen der heutigen westlichen Welt geprägt war. Er konnte dadurch einen grossen Arbeitseinsatz und eine überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit entwickeln. In seinem Dienst als Pastor stellte er aber fest, dass geistliche Mittel nicht für alle seelischen und Beziehungsprobleme helfen (Seite 20). Das Ziel sollte sein, Jesus als Menschen an die höchste Stelle des Lebens zu setzen, um andere wirklich zu lieben (Seite 24). Er begann, die Dynamik der Verbindung zwischen seelischer Gesundheit und geistlicher Reife zu begreifen. Wir brauchen geistliche Väter und Mütter. Das innere Leben eines Leiters ist wichtiger als sein Wissen, seine Gaben und seine Erfahrung (Seite 26). Durch unsere sündige, verletzte, verwundete und unreife Persönlichkeit stecken wir Gott (oft) unwissentlich in einen starren, engen Kasten statt ihn in den Tiefen unseres Innern wirken zu lassen und auch unsere tiefen Gefühle zuzulassen. Das führe zu seinem falschen Verständnis von geistlichen Begriffen wie demütig sein, Leiden, Kreuz auf sich nehmen und Sterben. Wenn wir unsere tiefsitzenden und negativen Gefühle verdrängen, werden wir zu zerrissenen Menschen, beispielsweise war Bob Pierce von Word Vision ein solch getriebener Mensch. Im Roman „Giftholzbibel“ wird Nathan Price als Missionar im Kongo ebenso beschrieben, der sogar das Leben seiner Familie aufs Spiel gesetzt hat, um seinen falsch verstandenen Missionsdienst weiter ausführen zu können. Eine der Ursache ist, dass die griechische Philosophie Platos über Augustinus und andere Kirchenlehrer in die christliche Kirche und viele Gemeinden gekommen ist. Alles Körperliche wurde dadurch entwertet, negative Gefühle wurden zu Sünden, Wut gar zu Unrecht zur Todsünde erklärt. Wir wurden aber zum Bild Gottes geschaffen, was den ganzen Menschen einschliesst. Gefühle sind eine Sprache der Seele (nach Dan Allender und Tremper Longman). Viele Christen können ihre Gefühle nicht (mehr) identifizieren, weil sie keinen wirklichen Zugang zu ihnen erlernen konnten. Sie sind dann wie eingefroren, was in der Folge zu Schauspielerei und Heuchelei führen kann. Geistliches Leben und Führung muss immer auch seelische Reifung einschliessen! Eigene Schwäche und Bedürftigkeit zu zeigen ist oft hilfreicher als andern nur helfen, ihre Probleme zu lösen (Seite 97). Das Evangelium sage, dass wir sündiger sind als wir je geglaubt haben, und dass wir geliebter sind, als wir je zu hoffen gewagt haben. Jesus biete uns einen Tausch an: Sünde zu- und abgeben und Gerechtigkeit erhalten (nach 2. Korintherbrief 5,21; Seite 101). Die Bibel berichtet auch ungeschminkt über Glaubenshelden wie Abraham, der mit seinen Nachkommen ein Wahrheitsproblem hatte, und David, der und seine Nachkommen ein Treueproblem hatten. Gerade Kleingruppen könnten schwierige Fragen wie Kontrollsucht, Aggression, Streitkultur, Konflikt-bewältigung, Vergebung und Wiederherstellung zu Themen machen, um diese in einem vertrauten Klima zu bearbeiten und über Erfahrungen auszutauschen. Die Herkunftsfamilie objektiv zu sehen ist schwer, gerade auch, weil wir ein Teil davon sind, und es Geheimnisse und ungeschriebene Regeln gibt, die schwer zu fassen sind. Aber die Wahrheit über uns selbst zuzugeben ist wichtig, weil es der Ausgangspunkt der Veränderung sein wird (Seite 148). Wenn wir uns dafür entscheiden, den unpopulären Weg der Schwäche und Zerbrochenheit zu wählen, werden Menschen von uns angezogen sein, so wie sie von Jesus angezogen wurden. Als Scazzero aus Verletzlichkeit heraus zu reden und zu leiten begann, stellten viele Menschen fest, dass sie ihm vertrauen konnten (Seite 156). Das Gebet des unbekannten Soldaten begleitete ihn dabei: „Ich bat Gott um Stärke, aber machte mich schwach, damit ich Bescheidenheit und Demut lernte. Ich erbat seine Hilfe, um grosse Taten zu vollbringen, aber er machte mich kleinmütig, damit ich gute Taten vollbrächte. Ich bat um Reichtum, um glücklich zu werden, aber er machte mich arm, damit ich weise würde. Ich bat Gott um alle Dinge, damit ich das Leben geniessen könne; aber ich erhielt nichts davon, was ich erbat; aber alles, was gut mich war. Gegen mich selbst wurden meine Gebete erhört. Ich bin unter allen Menschen ein gesegneter Mensch.“ Gott will, dass wir zu Vätern und Müttern des Glaubens heranwachsen, wie Jesus den Vater im Gleichnis des verlorenen Sohnes beschrieben hat: liebend, mitfühlend, umarmend, da seiend und freimütig vergebend und schenkend. Denn (nur) bedingungslose Liebe ist übernatürlich. Seelisch gesunde (oder vielleicht besser: geheilte) Menschen erkennen, verstehen und akzeptieren fröhlich Gaben und Grenzen der Persönlichkeit, Lebensphase, Lebenssituation und Belastbarkeit , die Gott ihnen gegeben und zugemutet hat. Sie anerkennen die Souveränität Gottes, das macht sie zufriedener und führt zu einer guten Selbsteinschätzung und -fürsorge. Scazzero bringt auch Beispiele amerikanischer Theologen, die Verluste erlitten und denen daraus Segen geworden ist, so Gerald Sittser: Trotzdem will ich das Leben lieben. Wie ein grosser Verlust zum Segen werden kann; und Nicholas Wolterstorff: Klage um einen Sohn. Letzter hat durch „das Prisma seiner Tränen einen leidenden Gott gesehen“. Verluste und Enttäuschungen sind eigentlich die Norm, nicht die Ausnahme. Wir brauchen Zeiten und Orte zum Trauern, der Verlust und der daraus entstandene Schmerz muss gespürt werden und darf nicht nur analysiert, verleugnet oder betäubt werden durch suchtartiges Verhalten wie Arbeiten und Konsumieren. Trauern macht barmherzig; und erst danach kann losgelassen werden. Wann wurde in ihrer Gemeinde das letzte Mal ein Klagelied gesungen? Es muss uns nicht wundern, dass Ängste und Depressionen heute stark zunehmen. In vielen Psalmen ist gemäss des amerikanischen Theologen Walter Brueggemann ein Ablauf und Muster vorgezeichnet: Es geht von Orientierung über Desorientierung zu Neuorientierung. Jesus hat drei Verhaltensweisen besonders gelebt und gezeigt: in die Welt der andern eintreten, an sich selbst festhalten und zwischen zwei Welten hängen. Es beginnt mit reflektivem Zuhören, der Gehörte erfährt diese Zuwendung als Liebe und wird zum Geliebten. Schon Jonathan Edwards hat gesagt: „Wenn wir in der Liebe leben, leben wir im Reich Gottes“. Und wenn wir wachsen wollen, müssen wir unsre Schutzpanzer sprengen lassen und ablegen.

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Freitag, Februar 13, 2015

Schalom Ben-Chorin: Bruder Jesus

Dies ist gar kein neues Werk, sondern ein Buch, das erstmals 1967 bei List in München erschienenen ist mit dem Untertitel: Der Nazarener in jüdischer Sicht. Eine spätere Auflage kam 1977 beim Taschenbuch Verlag in München unter der ISBN-Nummer: 3-423-01253-6 heraus. Zum Autor: Schalom Ben-Chorin wurde 1913 in München geboren und studierte Literaturgeschichte bei Artur Kutscher und vergleichende Religionswissenschaft bei Joseph Schnitzer. Nach mehrfacher Verhaftung durch die Gestapo emigrierte er 1935 nach Jerusalem. Er gilt als Vorkämper für ein besseres Verhältnis zwischen Juden und Christen, im speziellen zwischen Israelis und Deutschen. Für sein Wirken erhielt er viele Auszeichnungen, so den Leo-Beack-Preis 1959 des Zentralrats der Juden in Deutschland, das Bundesverdienstkreuz 1969 und die Buber-Rosenzweig-Medaille 1982. Zum Buch: Wie der Titel sagt, sieht Ben-Chorin Jesus als Bruder und nicht als Messias. Doch seine Darstellung ist nicht abwehrend und gar abwertend, sondern wohlwollend, argumentierend und begründend von seiner Herkunft, dem Judentum, her. Er sieht Jesus in der eher sanftmütigen Tradition von Hillel, während er Johannes den Täufer der schroffen Schule von Schammai zuordnet. Die Synagoge war und ist „Beth-Haknesseth“, das Haus der Versammlung für den Wortgottesdienst, wo im Geist und in der Wahrheit angebetet wird. Nach Samson Raphael Hirsch ist das Gebet der innere Gottesdienst, der eine Vorbereitung zum tätigen ist und seinen Zweck nur in ihm findet. Im Judentum zur Zeit Jesu stehe das Liebesgebot klar über dem Kultgebot. Jesus begann seine öffentliche Tätigkeit als „Schedim“, als Arzt; damals waren Heilender und Heiliger noch ungetrennt; Daneben gab es auch „Rabbis“ und „Zaddiks“. Die Bergpredigt bezeichnet er als jüdisches Lehrgut in der Tradition des Rabbiners Jesus. „Maschal“ sind Gleichnisse, die damals eine übliche Erzählform waren. Die Gleichnisse des verlorenen Schafs, des verlorenen Groschens und des verlorenen Sohns im Lukasevangelium 15 waren sogenannte „Teschuba“-Gleichnisse, in denen Gnade vor Recht herrscht. Vollkommenheit lasse sich auf Heiligkeit zurückführen. Wohltätigkeit sei ein Akt der „Zedeka“, der Gerechtigkeit. „Bejn adam le-chavero“ waren Gebote zwischen den Menschen, „bejn adam la-makom“ Gebote zwischen Gott und Mensch. Gott sei der Ort der Welt, nicht die Welt sei der Ort Gottes. Das Unser Vater-Gebet stehe der jüdischen Art zu beten nahe: „Dein Name werde geheiligt“ komme auch im Kaddisch-Gebet vor, „Dein Reich komme“ drücke die jüdische Naherwartung von Gottes Herrschaft aus und „Unser tägliches Brot gib uns heute“ war ein wichtiges Anliegen der damaligen Zeit, in der viele in bitterer Armut leben mussten. Ben Chorin macht darauf aufmerksam, dass es für den Begriff „Menschensohn“ zwei hebräische Wörter gibt: „Bar Enosch“, der in Daniel 7,13+14 messianisch gebraucht wird, und „Ben Adam“, der bei Hesekiel für einen Propheten vorkommt. Jesus sei vor allem ein Wanderprediger im provinziellen Galil gewesen, er habe Jünger gehabt, habe Gleichnisse erzählt, gepredigt und Kranke und Dämonisierte geheilt. Das Wallfahren nach Jerusalem zum Heiligtum geschah zu Passah, Schawuoth (Wochenfest) und Sukkoth (Laubhüttenfest). Die Palmzweige, die Jesus willkommen geheissen haben, könnten aufs Laubhüttenfest hinweisen. Der Gang Jesu nach Jerusalem zum Tempel fand ein- oder dreimal statt, worüber die synoptischen Evangelien und das Johannesevangelium unterschiedlich berichten. Analog dazu gibt es auch die Lesung der Tora auf zwei Arten, einmal pro Jahr im Rahmen des Babylonischen Talmuds, dreimal im palästinensischen Talmud. Die Juden haben in Beziehung zu den römischen Machthabern drei ganz verschiedene Strategien gewählt, die auch in anderen Bereichen festzustellen sind: ·Assimilation, Anpassung durch die Sadduzäer; ·Gegnerschaft, Kampf durch die Zeloten; ·Ignoranz, Aussteigertum durch die Pharisäer und Essener. Das Abendmahl fand während dem jüdischen Sedermahl statt, unter dem griechischen Einfluss kamen dabei auch Elemente wie die Polster des Symposions dazu. Das Passah mit Lamm, Mazzen und Bitterkraut bestand aus fünf Schritten: ·„wehozejti“: Überschreitung, Becher der Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft; ·„wehizalti“: Mazzoth, Fest der ungesäuerten Borte mit Becher der Rettung; ·„wegaalti“: Chag-Haaviv, Frühlingsfest der Erlösung; ·„welakachti“: Seman Cheruthenu, Zeit der Annahme unserer Befreiung; ·Essig mit Ysop war der 5. Becher, von dem Jesus wünschte, dass er an ihm vorübergehe. Der Prozess gegen Jesus war ein kurzer politischer Prozess gegen einen jüdischen Patrioten, jedoch mit langen Folgen. Die Voruntersuchung geschah durch Hannas, der nächtliche Vorprozess war unter Kaiphas und endete mit einer Vollsitzung des Syhedrions. Der rote Mantel, der Jesus umgelegt wurde, weckt zwei Assoziationen, ein jüdische und eine römische: ·Der Hohepriester zog spezielle Kleider an am Versöhnungstag; ·Römische Offiziere und der Cäsar trugen rote Mäntel. Die Bezeichnung am Kreuz „INRI“ weist nicht nur auf den König der Juden hin, sondern kann auch als Anspielung auf den Gottesnamen „JHWH“ verstanden werden: „Jeschu(a) Hanozri Wumelech Hajehudim“.

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